In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor

Zentrum · Stadt-Menschen

Hella Schlumberger: Weltenbummlerin und »Türkenstraßlerin«, Zwischen »Biergarten« und Istanbul

Zentrum · »Ich fahr gern weg und komm ganz gern hierher zurück«, beschreibt Hella Schlumberger das Gefühl, das sie mit der Türkenstraße verbindet. Seit 1967 wohnt sie in ihrer gemütlichen Wohnung, die einen ganz eigenen, sie selbst sagt »putzigen« Charme hat: Ein Straßenschild der »Münchner Freiheit«, ein Foto eines Jungen aus dem Jemen, unzählige Pflanzen und eine Yuccapalme, die demnächst einen »Blühorden« von ihrer Besitzerin verliehen bekommt, begrüßen die Besucher der engagierten Münchnerin.

In Pommern geboren, ist sie nach der Flucht vor den Russen in einem Rosinenbomber mitgeflogen, die Kindheit hat sie im Schwarzwald verbracht und in Tübingen hat Schlumberger Romanistik und Germanistik studiert – bis es sie in den 60er Jahren das erste Mal nach München zog. Mit einem Freund überführte sie für »eine obskure Firma aus dem Bahnhofsviertel« Autos nach Teheran, nichtsahnend mit Waffen für die Kurden an Bord.

Das in der Türkei unterdrückte Volk ist neben Georg Elser, Lateinamerika und der Türkenstraße eines von unzähligen Themen, für das sich Hella Schlumberger seit Jahren einsetzt. Hat sie doch ein Buch über ihre geliebte Straße geschrieben, den Georg-Elser-Platz ins Leben gerufen und wegen ihres Engagements für die Kurden in einem türkischen Gefängnis gesessen. »Weil ich Kraft und Gerechtigkeitsgefühl hab«, ist ihre einfache Antwort auf die Frage nach den Gründen für ihren Einsatz. Außerdem ist sie sich sicher, dass sie »an dem Begriff ‚Türke’ einfach nicht vorbeikommt« – ein Vorfahre war Schachtürke und der österreichische Zweig ihrer Familie wurde wegen seines heldenhaften Kampfes gegen die Türken geadelt.

Die bunte Mischung an Charakteren in der Türkenstraße mag Hella Schlumberger ganz besonders, denn hier leben Alt und Jung, Arm und Reich, Künstler und Handwerker zusammen »wie in einem Dorf«. Oder besser: Die Straße ist wie »ein großer Biergarten«, findet die Autorin und Weltenbummlerin, die sich neben München auch in Bolivien, im Irak, im Iran oder in Syrien daheim fühlt.

Obwohl der »Türkenstraßenrabatt« ein Auslaufmodell ist und es auch nur eine »türkische Dönerkiste« in der Umgebung gibt, ist es laut Hella Schlumberger doch ein ganz spezielles Gefühl »ein Türkenstraßler zu sein«. Darauf trinkt man gern ein Bier in Hellas Küche, in der es über Masken aus dem Kongo, isländischem Moos und einer Tür mit italienischen Gedichten viel zu bestaunen gibt. Dort säen Hella Schlumberger und ihre Nachbarn auch Ideen für ein Fest zum 200-jährigen Bestehen der Türkenstraße. Eine Krimilesung im Abwasserkanal, Science-Fiction auf dem Turm des Heizwerks oder ein Droschkenrennen zählen zu den Veranstaltungen, die sich die Literaturwissenschaftlerin vorstellt.

Doch ob der Bezirksausschuss Hella Schlumberger unterstützt ist unklar – schließlich musste sie auch für den Elser-Platz drei Jahre lang kämpfen, bis die »Herrschaften von der Stadt« 1997 den Platz zum Gedenken an den Hitlerattentäter offiziell eingeweiht haben. Ein bisschen Angst, dass die Straße mit dem Beinamen »Wanzenallee« genau wie Schwabing dem Kommerz verfällt, hat sie ja schon. Sie will, dass die Türkenstraße ein »urbanes Dorf« bleibt: wo man sich kennt, sich in der Werkstatt im Hinterhof trifft und wo früher der kleine Lausbub Gerhard Polt aus der Amalienstraße »Türkenstraßler festgenommen hat und ihnen das Brennglas vom Opa auf den Zeh gehalten hat, bis er qualmte«. Janina Lichnofsky

Artikel vom 17.02.2005
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