Zeitzeugen trafen sich bei Gedenkveranstaltung für Widerstandskämpfer

Puzzle der Erinnerungen

Erinnerungen an einen fast vergessenen Helden: Otto Müller, Franz Keindl, Richard Hölzle (v.li.).

Erinnerungen an einen fast vergessenen Helden: Otto Müller, Franz Keindl, Richard Hölzle (v.li.).

»Der Walter, der war ziemlich klein und oft in Gedanken versunken.

Einmal ist er mit gesenktem Kopf gegen einen Briefkasten gelaufen.« Franz Keindl lächelt bei der Erinnerung an seinen einstigen Klassenkameraden, doch es ist ein wehmütiges Lächeln. Denn der kleine Walter ist schon lange tot.

Nicht älter als 19 Jahre durfte er werden, dann setzten die Nationalsozialisten seinem jungen Leben ein Ende. Am 5. August 1943 wurde Walter Klingenbeck im Gefängnis Stadelheim hingerichtet, weil er es gewagt hatte, sich dem Unrechts-Regime zu widersetzen (wir berichteten).

60 Jahre sind seitdem vergangen, und die Öffentlichkeit scheint den Mantel des Vergessens über Klingenbeck gebreitet zu haben. Bei einigen seiner Zeitgenossen hat die Erinnerung offensichtlich im Verborgenen überlebt.

Bei der Gedenkfeier zum 60. Todestag Klingenbecks, initiiert vom Bezirksausschuss Maxvorstadt (BA 3) in Zusammenarbeit mit der Pfarrei St. Ludwig, kamen nun Menschen aus dem einstigen Umfeld des Widerstandskämpfers zusammen.

Sie sind sich noch nie, bzw. seit Jahren nicht mehr begegnet: Franz Keindl und Otto Müller etwa, die dereinst mit Walter die Schulbank in der Amalienschule drückten, Anneliese Miller, Walters Schwester, die heute allerdings zu bewegt ist, um zu reden, und Richard Hölzle aus Pfaffenhausen bei Mindelheim. Dorther stammten Walters Eltern und dorthin kehrten sie regelmäßig in den Ferien zurück. »Wir haben Fotos mit Walter im Schubkarren.

Da ist er als Bub immer am liebsten gesessen«, erzählt Hölzle. Aus ihrer entschieden anti-nationalsozialistischen Haltung habe die streng katholische Familie Klingenbeck nie einen Hehl gemacht. »Doch dass Walter so weit gehen würde, davon hatten wir keine Ahnung.«

Nach seiner Hinrichtung hätten die Eltern für einige Zeit Zuflucht in Pfaffenhausen gesucht. »Aber es wurde nie offen über die Tragödie gesprochen.« Franz Keindl und Otto Müller erfuhren erst lange nach dem Krieg von der Ermordung ihres früheren Klassenkameraden. »Wir waren 1943 an der russischen Front, wie die meisten unserer Mitschüler«, erklärt Keindl.

Erinnerungen, die sich wie Puzzlesteine zusammenfügen. Zwar fehlen noch viele Teile, um ein umfassendes Bild entstehen zu lassen, doch der Anfang ist gemacht. Und dafür ist es auch höchste Zeit, wie Klaus Bäumler, Vorsitzender des BA 3, betonte: »Der Fall Klingenbeck muss in die Topografie des Widerstands eingegliedert und auch in Wechselbeziehung zur Weißen Rose untersucht werden.«

All dies sei nicht zuletzt Aufgabe des geplanten NS-Dokumentationszentrums. Eine Dokumentation über Walter Klingenbeck, ist gegen eine Schutzgebühr von 5 Euro im Pfarrbüro von St. Ludwig erhältlich.

Artikel vom 14.08.2003
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