Bürgerprojekt auf den Spuren des Jüdischen Lebens in Au und Haidhausen

Binswangers und andere

Gründer der Unionsbrauerei Josef Schülein.

Gründer der Unionsbrauerei Josef Schülein.

Au/Haidhausen · Wo wohnten, arbeiteten und feierten die jüdischen Nachbarn in Au und Haidhausen? Was geschah mit ihnen in den Jahren der Entrechtung, Verfolgung und Deportation durch die Nazis?

Dieses Thema gilt bisher als fast weißer Fleck der Stadtteilgeschichte. Einiges weiß man über den Gründer der Unionsbrauerei, später Löwenbräu, Josef Schülein – dank Hermann Wilhelm vom Haidhausen-Museum.

Ansonsten ist wenig bekannt über die Juden in Haidhausen und der Au. Das soll sich ändern. »Jüdisches Leben in Au und Haidhausen« heißt ein Bürgerprojekt, das im Viertel auf Spurensuche gehen will. Fünf Träger unterstützen das ehrgeizige Projekt, auch finanziell: die Kirchengemeinde St. Johannes, die Vereine »Gegen Vergessen – Für Demokratie«, »Weiße-Rose-Stiftung«, das Kulturzentrum der Israelischen Kultusgemeinde und die Stadtbibliothek Au.

Laut ersten Nachforschungen gab es allein in der Au über 40 damals so genannte »nichtarische« Wohnungen, Häuser und Geschäfte. Die bisher sechs Aktiven, allesamt keine Historiker, verbindet ein Interesse für die »Geschichte vor der Haustür«, wie die Sprecherin Veronika Krapf erzählt.

Um nachzuforschen, ob und wie jüdisches Leben hier stattgefunden hat, ist das Stöbern in Archiven und Bibliotheken unerlässlich, wie im Bayerischen Wirtschaftsarchiv am Orleansplatz oder im Bayerischen Staatsarchiv. Erste Anhaltspunkte findet man z.B. in den Akten der Nazi-Zeit wie Deportationslisten.

Jüdische Bürger lebten freilich schon in Au und Haidhausen, als die noch Vorstädte waren. Beim Sichten historischer Quellen gibt es viel zu entdecken. Im Bereiteranger hatte die bedeutende Likörfabrik Meyer & Hirsch ihren Sitz. Nachweislich wurde sie 1906 von der jüdischen Unternehmerfamilie Binswanger übernommen, und in den 30er Jahren »arisiert«. Wie wurden diese Menschen aus dem Wirtschaftsleben verdrängt und der Existenzgrundlage beraubt?

Wer hat davon profitiert? Das sind mögliche Fragen der Geschichtswerkstatt. Aber auch: Gab es ein kulturelles Leben? Wie verbrachten sie ihre Freizeit, wo gingen die Kinder in die Schule? Der Blickwinkel des Projekts ist dabei eher subjektiv, der Alltag der Menschen von Interesse: Welches Schicksal verbirgt sich hinter den Namen?

Dabei will man ins Gespräch kommen und den Schatz der Erinnerungen der alteingesessenen Bewohner bergen. Das Gespräch mit dem Sohn des ehemaligen Dekans Wohlmacher von St. Johannes brachte Unglaubliches zu Tage.

Die Jüdin Irma Manz fand während des NS-Regimes Unterschlupf im Hinterraum des Pfarramtes, damals in der Holzhofstraße. Sie überlebte. »Es liegt uns fern, anzuklagen«, wirkt Krapf möglichem Misstrauen entgegen, »wir wollen ein lebendiges Bild jüdischen Lebens erfahren«. Dafür werden noch Mitarbeiter, besonders Zeitzeugen und Bildmaterial gesucht. Veronika Krapf ist zu erreichen unter Telefon 60 17 503. ms

Artikel vom 02.10.2002
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