Neue Erinnerungszeichen für Neuland, Heims und Dünkelsbühler

München erinnert

Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Präsidentin der IKG München und Oberbayern, Dr. h.c. Charlotte Knobloch überreichten ein Erinnerungszeichen für deren Großmutter Albertine Neuland der Öffentlichkeit. Foto: Stadtarchiv München/T. Hauzenberger

Oberbürgermeister Dieter Reiter und die Präsidentin der IKG München und Oberbayern, Dr. h.c. Charlotte Knobloch überreichten ein Erinnerungszeichen für deren Großmutter Albertine Neuland der Öffentlichkeit. Foto: Stadtarchiv München/T. Hauzenberger

München · Ende letzter Woche wurden gleich mehrere Erinnerungszeichen in München der Öffentlichkeit übergeben. Am Donnerstag, 23. Juli, weihte Oberbürgermeister Dieter Reiter am Bavariaring 15 gemeinsam mit der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Dr. h.c. Charlotte Knobloch, für deren Großmutter Albertine Neuland, die am 19. Januar 1944 im Ghetto Theresienstadt verhungert war, ein Erinnerungszeichen ein.

In München erinnern Gedenktafeln und Stelen an die Opfer der NS-Diktatur

Am vergangenen Freitag, 24. Juli, weihte Bürgermeisterin Verena Dietl gemeinsam mit Staatsminister Prof. Dr. Michael Piazolo und Ingrid Reuther die Erinnerungszeichen für Elisabeth Heims und Alexander Dünkelsbühler in der Katharina-von-Bora-Straße 10 ein.

„Die Erinnerungszeichen in unserer Stadt bieten uns eine sehr würdige Möglichkeit, an all diejenigen zu erinnern, die während der NS-Diktatur aus München, ihrer Stadt, ihrer Heimat, in den sicheren Tod geschickt wurden. Eine von ihnen war Albertine Neuland, die Großmutter unserer hochverdienten Münchner Ehrenbürgerin und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Heute auf den Tag vor 78 Jahren wurde Albertine Neuland nach Theresienstadt deportiert. Sie kam nie wieder zurück. Als Oberbürgermeister dieser Stadt und auch ganz persönlich freut es mich besonders, Albertine Neuland mit diesem Erinnerungszeichen einen festen Platz in unserer Stadtgesellschaft zurückgeben zu können. Diese Erinnerungszeichen müssen uns alle aber auch aufrütteln, das „Nie wieder“ jeden Tag aufs Neue zu verteidigen und noch deutlicher, noch rigoroser Position zu beziehen, wann immer Jüdinnen und Juden angefeindet oder sogar angegriffen werden, ob im privaten Umfeld, am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Es ist unsere klare Pflicht, hier deutliche und unmissverständliche Worte zu finden und selbstverständlich danach zu handeln“, so Oberbürgermeister Dieter Reiter anlässlich der Einweihung des 35. Erinnerungszeichens seit dem Sommer 2018.

Prof. Dr. Moris Lehner, Mitglied des Vorstands der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, verwies auf die Bedeutung des Gedenkens auf Augenhöhe im öffentlichen Raum und auf seine besondere Botschaft: „Diese Botschaft kann vor dem Hintergrund der jüdischen Religion, der jüdischen Geschichte und der jüdischen Kultur, in der Albertine Neuland gelebt hat, mit einem einzigen Wort zum Ausdruck gebracht werden. Es ist das biblische Wort Sachor. Sachor bedeutet: ›Erinnere Dich‹.“ Professor Lehner hob das hohe Engagement von Charlotte Knobloch beim Bau des Jüdischen Zentrums am St.-Jakobs-Platz hervor und fügte hinzu: „Ihre Großmutter wäre sehr stolz auf Sie.“

Mit sehr persönlichen Worten würdige Charlotte Knobloch ihre Großmutter, die ihr in der Zeit der Entrechtung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten bis zu ihrer Deportation Halt und Wärme gab. Heute sei Erinnern möglich, weil die Menschenfeinde, die Albertine Neuland und Millionen jüdische Menschen ermordet haben, besiegt seien. Doch müsse dieser Sieg erhalten und unsere heutige Freiheit genutzt werden, um Erinnerung an die Opfer auch weiterhin wahren und unsere Demokratie schützen zu können. „Nur wenn wir die Schrecken der Vergangenheit nicht verdrängen, können wir dafür sorgen, dass sie uns nicht wieder ereilen. Nur das Erinnern stellt sicher, dass kein Kind, kein Sohn und keine Großmutter jemals wieder durchleiden muss, was Albertine Neuland, mein g’ttseliger Vater und ich damals durchlitten haben“, so ihre eindringliche Mahnung an alle.

Mit dem El Male Rachamim für Albertine Neuland, vorgetragen von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman, endete die Gedenkveranstaltung.

Erinnerung auch in der Katharina-von-Bora-Straße

Einen Tag später, am 24. Juli, wurde an Elisabeth Heims und Alexander Dünkelsbühler in der Katharina-von-Bora-Straße 10 erinnert.

Die Initiatorin des Erinnerungszeichens, die Münchnerin Ingrid Reuther, verlas die von ihr recherchierten und verfassten Biografien. Der konfessionslose Rechtsanwalt, der wegen seiner jüdischen Herkunft ab 1933 verfolgt wurde, hatte am 24. September 1935 Suizid verübt. Auch die Quäkerin Elisabeth Heims war jüdischer Herkunft, die Nationalsozialisten deportierten sie am 20. November 1941 nach Kaunas, wo sie vier Tage später erschossen wurde.

Bürgermeisterin Verena Dietl hob die Bedeutung der Erinnerungszeichen an die Opfer des NS-Regimes in München hervor, ließ es aber dabei nicht bewenden: „Ein später Triumph gegenüber der Unmenschlichkeit ist das Erinnerungszeichen trotzdem nicht, das wäre anmaßend gegenüber den Leiden der Opfer. Es ist vielmehr das Mindeste, das wir ihnen schuldig sind aus unserer historischen Verantwortung heraus, dass wir sie nicht vergessen, dass wir uns mit ihrer Geschichte auseinandersetzen und dass wir daraus die notwendigen Lehren für heute ziehen. Also klare Kante gegen Rassismus und Antisemitismus, in Worten und Taten. Niemand darf mehr abseits stehen, wenn hier etwa wie vor wenigen Tagen ein Rabbiner auf offener Straße antisemitisch beleidigt wird.“

„Erinnerungszeichen sind wichtige Bausteine in unserer Erinnerungskultur. Unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger haben Bayern über Jahrhunderte mitgestaltet und viele Spuren hinterlassen, bevor sie mitten in unserer Stadt mitten aus dem Leben gerissen wurden. Mit den Erinnerungszeichen möchten wir diese Spuren wieder sichtbar machen“, ergänzte Staatsminister Prof. Dr. Michael Piazolo.

Prof. Dr. Ulrich Pfisterer, Direktor des Zentralinstituts für Kunstgeschichte, ging auf die Entstehung, Inszenierung und Auslöschung von Erinnerung am Ort Katharina-von-Bora- Straße 10 ein, wo bis 1934 das Palais der jüdischen Familie Pringsheim und das Wohnhaus von Elisabeth Heims und Alexander Dünkelsbühler standen. Die Nationalsozialisten zwangen die Pringsheims zum Verkauf, ließen die Gebäude abreißen und den NSDAP-Verwaltungsbau errichten. 1945 installierte die US-Militärregierung hier den Central Collecting Point zur Erfassung von Raubkunst, ehe das Gebäude seine heutige Bestimmung als Haus der Kulturinstitute erhielt. Das Erinnerungszeichen für Elisabeth Heims und Alexander Dünkelsbühler an diesem Ort verdeutliche, dass Erinnerung eine dauernde Herausforderung darstelle, nicht rückwärts gewandt, sondern immer zugleich auf das Jetzt und die Zukunft gerichtet sei, so Professor Pfisterer.

Tafeln und Stelen

Erinnerungszeichen ermöglichen ein individuelles Gedenken auf Augenhöhe an Frauen, Männer und Kinder, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Sie werden auf Antrag in Form von Tafeln an der Hauswand oder von Stelen vor den Orten errichtet, an denen diese Menschen früher gelebt und gearbeitet haben oder an ihren Todesorten. Zusätzlich werden im Internet Biografien dieser Menschen veröffentlicht.

Erinnerungszeichen werden nach Entwürfen des Münchner Büros stauss processform ausgeführt. Die Wandtafeln bestehen aus einem 72 Zentimeter langen Element aus gebürstetem Edelstahl, in das bis zu fünf vergoldete, 12 x 12 Zentimeter große Tafeln eingefügt werden können. Die Anbringung ist horizontal und vertikal möglich. Erinnerungsstelen sind 186 Zentimeter hohe schlanke Edelstahlstäbe mit einer Kantenlänge von 60 Millimetern. Sie können maximal zwölf der vergoldeten, dreidimensionalen Hülsen aufnehmen.

In die Tafeln und Hülsen werden mit einem Laser die Lebens- und Verfolgungsdaten sowie gerasterte Bilder eingeschnitten. Die dadurch entstehende gelochte Oberfläche vermittelt nicht nur visuell Informationen, sie ist auch taktil erfahrbar. Alle Texte und Bilder sind auf Augenhöhe lesbar.

Die Erweiterbarkeit der Erinnerungszeichen ermöglicht es an einem Ort mehrerer Menschen zu gedenken. Durch eine entsprechende Anordnung werden die familiäre Strukturen der Opfer sichtbar gemacht. Das Anliegen von Familienangehörigen hat Priorität - gegen ihren Willen werden keine Erinnerungszeichen realisiert.

Mehr Infos gibt es unter www.muenchen.de

Artikel vom 29.07.2020
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