Sie haben eine Stimme

München · Europa wählt am 26. Mai ein neues Parlament

Eine Stimme, ein Kreuzchen, eine Zukunft: Wer die Politiker kritisieren will, der muss mitreden und wählen. Foto: cr

Eine Stimme, ein Kreuzchen, eine Zukunft: Wer die Politiker kritisieren will, der muss mitreden und wählen. Foto: cr

Von Carsten Clever-Rott
Man kann von "Europa", also von der EU, halten, was man will, aber der Vorwurf der überbordenden Bürokratie und Verwaltung trifft nicht uneingeschränkt zu. Wenn (im Sinne von "sobald" und "falls") Großbritannien die Europäische Union verlässt, werden die dann verbliebenen 445 Millionen EU-Bürger in 27 Staaten von 705 Abgeordneten vertreten.

Zum Vergleich: Der deutsche Bundestag, der "nur" 82 Millionen Einwohner repräsentiert, zählt aktuell 709 Abgeordnete. Zahlen. Nur daran lässt sich die Bedeutung der Institutionen nicht messen. Das wissen auch die Deutschen. Trotz großer Unzufriedenheit mit Politik und deren Hauptakteuren haben drei Viertel der Wahlberechtigten in Deutschland bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimmen abgegeben. Bei der Europawahl 2014 lag die Wahlbeteiligung in Deutschland dagegen nur bei 48,1 Prozent, EU-weit sogar nur bei 42,6 Prozent. Es gibt einen Grund für diese Schere und dieser Grund heißt "Wissen". Die Politikwissenschaftlerin Dr. Daniela Braun vom Geschwister-Scholl-Institut der LMU München erklärt in dem Beitrag "Warum sind Europawahlen (immer noch) so unsichtbar?" für die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (www.dvpw.de/blog/blog-beitraege/2019/europawahl-2019-warum-sind-europawahlen-immer-noch-so-unsichtbar-ein-beitrag-von-daniela-braun): "Je ausgeprägter das Wissen einer Person über (europa-)politische Sachverhalte, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Wahlteilnahme." Was einmal war, kann jeder wissen. Auch das, was jetzt gerade ist. Aber was sein wird, darüber kann man nur spekulieren - und über demokratische Wahlen zumindest ein Stück weit mitbestimmen. Das sollte den Wahlberechtigten nicht egal sein, denn "die Europawahlen 2019 könnten aus verschiedenen Gründen den Beginn einer längerfristigen Veränderung darstellen", prognostiziert die Politikwissenschaftlerin. Sie sieht eine Stimmenverlagerung an die Ränder, sowohl nach links als auch nach rechts. Das hat Einfluss auf die Bildung von Mehrheiten und auf die Akzeptanz der EU bei den Wählern. Denn die Stimmen der Skeptiker auf beiden Seiten werden lauter. Dem steht die Wahlteilnahme transnationaler Gruppierungen wie Volt und DiEM25 gegenüber, die sich klar proeuropäisch positioniert haben. Auch hier zeigt sich: Die Gesellschaft ist alles andere als homogen. So wird um jede Stimme gerungen, mal mit mehr, meist mit weniger Tiefgang. Dabei fallen die Populisten unter den EU-Kritikern, EU-Skeptikern und EU-Gegnern auf, besonders im EU-Ausland. Sie sind weit verbreitet, von Boris Johnson und Nigel Farage in Großbritannien über Matteo Salvini in Italien bis zu Viktor Orbán in Ungarn. Bei unseren Nachbarn in Österreich beschäftigen sich die Populisten gerade mit sich selbst, ansonsten sind auch sie keine Leisetreter. Und auch in Deutschland gibt es die EU-Skeptiker, die alle Staatsgewalt für Deutschland allein von Deutschland ausgehen sehen möchten. Die Europawahl ist im Vergleich zu den anderen politischen Wahlen in Deutschland die einfachste, wenngleich nicht die leichteste. Jede und jeder Wahlberechtigte hat genau eine Stimme. Diese Stimme geht an die von ihm oder ihr angekreuzte Liste. Das war's. Kein Kumulieren, kein Panaschieren; einfache, landesweit (nicht EU-weit!) wählbare, unveränderliche Listen. Es gibt auch keine Fünf-Prozent-Hürde. Die vor wenigen Jahren in Deutschland eingeführte Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen wurde ebenfalls wieder gekippt. Deutschland stehen 96 der 705 Parlamentssitze zu. Dieser Anteil wird aus der Einwohnerzahl errechnet. Weil Deutschland das bevölkerungsreichste Land der EU ist, bekommt es die meisten Sitze. Malta, Zypern und Luxemburg wählen jeweils nur sechs Abgeordnete. In ihrer neuen Zusammensetzung wählen die EU-Parlamentarier in der Folge den Präsidenten der Europäischen Kommission. Amtsinhaber Jean-Claude Juncker tritt nicht mehr an. Die aussichtsreichsten Bewerber um das Amt sind der Niederländer Frans Timmermans (PvdA/SPE) und der Deutsche Manfred Weber (CSU/EVP). Sie sind die Spitzenkandidaten der beiden Parteien, die aktuell die größten Fraktionen im Europaparlament stellen. Aber wie es nach der Europawahl aussieht, ist noch unklar. Deshalb kann jeder mitreden. An der Urne. Sie haben eine Stimme.

Artikel vom 25.05.2019
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