Gedanken zur Weihnacht

Erst aus dem Warten heraus entsteht echte Weihnachtsfreude

Pfarrer Thomas Lotz von der evangelischen Kreuz-Christi-Kirche in Höhenkirchen-Siegertsbrunn hat sich für die Leser des Südost-Kuriers Gedanken über Weihnachten gemacht.	F.: hw

Pfarrer Thomas Lotz von der evangelischen Kreuz-Christi-Kirche in Höhenkirchen-Siegertsbrunn hat sich für die Leser des Südost-Kuriers Gedanken über Weihnachten gemacht. F.: hw

Höhenkirchen-Siegertsbrunn · Ewig schien sich der Tag hin zu ziehen, das begann schon nach dem viel zu frühen Aufwachen, bis es endlich Frühstück gab. Aber wie soll man lang schlafen, wenn Weihnachten ist!

Den Tag über blieb die gespannte Erwartung ständig spürbar, erst recht als es dann dämmrig wurde und die Zeit der Bescherung immer näher rückte.

Natürlich war es die Erwartung der Geschenke, die mich und meine Schwester damals in Hochstimmung versetzte. Aber es darauf zu beschränken, hieße Kinder zu unterschätzen. Das alleine war es nicht; es war die Erwartung des ganzen Festes, das sich jedem Kind einprägt, das es einmal erlebt hat und verstanden hat, dass es jedes Jahr im Winter wiederkehrt. Es war die Vorfreude auf den Christbaum, der seit Tagen schon aufgestellt und von den Eltern geschmückt war, der vor uns Kindern aber durch ein großes, von der Decke herabhängendes Tuch verborgen wurde, die Vorfreude auf seine vielen Lichter und den Baumschmuck. Und auf die Weihnachtsplätzchen, die es – anders als Lebkuchen und Stollen – erst zu Weihnachten gab, nicht schon im Advent.

So war die ganze Adventszeit für uns Kinder eine Zeit des Wartens, sichtbar in den sich Tag für Tag öffnenden Türchen am Adventskalender und den Kerzen am Adventskranz, jeden Sonntag eine mehr. Aber die hohe Schule des Wartens war dieser 24. Dezember. Natürlich haben wir gemerkt, wenn die Eltern langsam an die Vorbereitungen im Wohnzimmer gingen. Aber das erhöhte die Spannung nur. Dann endlich ertönte die Glocke, die das ganze Jahr im Zimmer stand, aber nur an diesem Tag geläutet wurde. Wir eilten herbei, und es war immer noch einmal anders, schöner als wir es uns hatten vorstellen können in unserer Vorfreude.

Ja, ich bin davon überzeugt, dass es echte Weihnachtsfreude nur geben kann, wenn wir auf Weihnachten warten. Warten: Das wird in unserem Alltag ziemlich negativ angesehen. Das Zeitmanagement kennt kein Warten, schließlich lässt sich in jeder Minute bis zum nächsten Ereignis etwas erledigen, und sei es nur das Handy herausziehen und nach neuen Nachrichten schauen. Warten und dabei wirklich nichts zu tun zu haben, das gilt als Zeitverschwendung. Am besten aber vermeidet man Wartezeiten ganz und geht davon aus, dass alles sofort losgeht, sobald man zur Stelle ist. Mit Weihnachten aber geht das so nicht. Das ist der Grund, warum Erwachsene das Fest oft weniger tief empfinden als die Kinder: dass sie nicht mehr warten können. Die Beschleunigung des Erwachsenenlebens führt dazu, dass Weihnachten schon längst ist, obwohl es noch nicht ist – ein Blick in den Supermarkt zeigt das ebenso wie »Weihnachtsmärkte« schon vor dem 1. Advent und »Weihnachtskonzerte« am Ewigkeitssonntag, natürlich mit Christbaum und Weihnachtsliedern. Wenn Weihnachten dann tatsächlich kommt, ist längst die Luft raus, Spannung hat sich gar nicht erst entwickeln können.

Der Advent ist die Zeit des Wartens. Und Warten heißt, etwas vermissen, etwas ersehnen. Einen Wunsch haben, eine Vorstellung davon, dass mit meinem Leben und in dieser Welt vieles anders sein könnte. Wenn dieses Vermisste ausbleibt und auf sich warten lässt, kann das weh tun. Doch dieser Schmerz ist wertvoll, weil er die Hoffnung nährt. Warten heißt auch, sich einzugestehen: Ich kann es nicht selber machen, ich bin angewiesen auf Gott, der es machen kann.

Der Weg zu Weihnachten führt über die Sehnsucht nach Veränderung. Veränderung die nötig ist, weil wir etwas vermissen, weil wir an etwas leiden, weil uns etwas nicht in den Kopf will, weil wir etwas eben nicht hinnehmen können.

So erging es den Propheten, die aus dieser Sehnsucht Visionen vom Kommen des Messias zu schreiben anfingen. Und ebenso waren die Hirten auf dem Feld gestimmt, die auf einen Weg aus ihrem Elend hofften. Nur weil sie diese Sehnsucht kannten, folgten sie dem, was die Engel zu ihnen gesagt hatten. So wird sich der Sinn von Weihnachten für uns daran entscheiden, ob wir Weihnachten überhaupt brauchen können, ob wir bedürftig sind nach dem Gott, der unter uns Menschen kommt und uns Menschen verwandeln will.

Thomas Lotz – evang. Pfarrer der Kreuz-Christi-Kirche Höhenkirchen

Artikel vom 20.12.2017
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