Das Kraut auf der Arche

Slow Food rettet Lebensmittelkultur mit Hilfe der Verbraucher

Nikolaus Kraus (li.) und Max Kraus sind die letzten »Ismaninger Krautbauern«. Der Krautkopf, den sie im Bild präsentieren, bringt locker zehn Kilo auf die Waage.	Foto: cr

Nikolaus Kraus (li.) und Max Kraus sind die letzten »Ismaninger Krautbauern«. Der Krautkopf, den sie im Bild präsentieren, bringt locker zehn Kilo auf die Waage. Foto: cr

Von Carsten Clever-Rott
München · Nichts gegen Fastfood – manchmal ist das sicher eine brauchbare Lösung und darf auch dann sein, wenn man einfach mal Lust drauf hat. Aber mit Genuss hat das nichts zu tun. »Der Unterschied zwischen Konsum und Genuss ist das Wissen«, erklärt Rudolf Böhler vom Convivium München des Vereins Slow Food.

»Convivium« ist die Bezeichnung für eine Ortsgruppe des Vereins. Bundesweit gibt es etwa 85 Convivien, die sich für einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln einsetzen. Dazu gehört auch die Rettung von »aussterbenden« Lebensmitteln, die in die »Arche des Geschmacks« aufgenommen werden. Jetzt hat diese Arche vom Münchner Convivium den dritten Passagier bekommen: Nach dem Werdenfelser Rind und der Münchner Brotzeitsemmel will Slow Food das Ismaninger Kraut retten. Klingt alles ein bisschen kurios, hat aber einen ernsthaften Hintergrund. Das Ismaninger Kraut ist einzigartig und erhaltenswert. So kann man das Bemühen und den Erhalt in zwei Worten zusammenfassen. Das Ismaninger Kraut gibt es nur in Ismaning. Die bis zu zehn Kilogramm schweren Weißkrautköpfe gedeihen auf dem speziellen Ismaninger Boden auf eine Art, wie sie bislang nirgendwo nachgeahmt werden konnte. Doch nicht nur der Boden ist speziell, das Gewächs ist es ebenso. Form und Größe machen eine maschinelle Ernte unmöglich. Nachdem die Köpfe auf dem Feld nicht gleichzeitig reif werden, muss der Reifegrad regelmäßig geprüft werden. Das bedeutet, der Landwirt muss immer wieder aufs Feld und schauen, welche Köpfe dann durchaus mühevoll per Hand geerntet werden können. Diesen ganzen Aufwand scheuen immer mehr Ismaninger Landwirte. Gerademal zwei sind noch übriggeblieben, die diese Form des landwirtschaftlichen Ismaninger Kulturerbes anbauen und vor dem endgültigen Untergang retten wollen. Nikolaus Kraus und Max Kraus wollen aber nicht die Letzten ihres Standes als Ismaninger Krautbauern bleiben. Gemeinsam mit Slow Food setzen sie sich für den Erhalt des Ismaninger Krauts ein.

Der Verein Slow Food will den vom Verschwinden bedrohten Lebensmitteln eine Lobby geben, Fürsprecher sein, sie in den Köpfen der Menschen neu verankern. Sie sollen wieder interessant werden und eine zentrale Rolle spielt dabei auch die Gastronomie, die diese Lebensmittel auf die Speisekarte nimmt. So wie »Der Pschorr« am Viktualienmarkt, der seinen Gästen schon das Werdenfelser Rind anbietet und auch dem Ismaninger Kraut wieder nach vorne helfen möchte. Die geschützte geografische Angabe spielt dabei eine bedeutende Rolle. Sie ist ein starkes Indiz für die Einzigartigkeit des Lebensmittels. Für die Aufnahmes des Ismaninger Krauts auf die Arche war das ein starkes Argument. Für Slow Food geht es vor allem um das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln. »Essen muss einen Wert haben«, betont Böhler. So lange wir in Deutschland pro Kopf 80 Kilogramm Lebensmittel pro Jahr wegwerfen, haben wir diesen Wert nicht erkannt. Diesen Wert kann man im Einzelfall sogar beziffern: Ein Kilo Weißkraut direkt vom Hof kostet etwa 1,50 Euro. Das Ismaninger Kraut – selbst unter Berücksichtigung aller Umstände, die das Gemüse in der Erzeugung dem Landwirt bereitet – kostet gerade mal 2,50 Euro pro Kilo. Das muss man halt wissen. Über 3.000 Lebensmittelprodukte haben es weltweit auf die Arche geschafft, davon 59 aus Deutschland und davon wiederum 18 aus Bayern. Aber wann ist ein solches Lebensmittel qualifiziert für die erhoffte Rettung? Böhler nennt die Kriterien: »Es muss vom Aussterben bedroht sein. Jemand muss den Wert des Erzeugnisses erkennen. Eine kritische Kommission prüft den Vorschlag ergebnisoffen.« Klingt sehr bürokratisch, aber es steckt einiges an Arbeit, auch an Recherche, drin. Arbeit, die ehrenamtlich gemacht wird, denn Slow Food ist ein eingetragener Verein, der auf die Mitarbeit seiner Mitglieder angewiesen ist.

Die Arche ist ein Versuch zu retten, was noch zu retten ist. »Wir sind innerhalb weniger Generationen dabei, Erzeugnisse zu vernichten, für die die Natur Tausende und Millionen Jahre gebraucht hat«, klagt Rudolf Böhler. So seien von rund 2.000 Reissorten aus Indien nur noch zwei Dutzend übriggeblieben. Im heimischen Handel gebe es oft nur vier Sorten Äpfel – früher seien es Dutzende gewesen. Die Rettung ist kein Selbstläufer, dabei ist sie grundsätzlich einfach. Essen bedeutet retten: »Die Verbraucher müssen die Lebensmittel annehmen.« Die Arche solle kein totes Museum sein. Sie will informieren und Nachfrage schaffen. Die Nachfrage steigt, wenn auch langsam. Slowfood komme beim Verbraucher an, besonders dann, wenn er sein Essen frisch zubereitet. Um das Wissen vom »Kochen für den Hausgebrauch« ist es jedoch schlecht bestellt. Dabei wäre auch das keine Zauberei. Oder wie Rudolf Böhler eben sagt: »Der Unterschied zwischen Konsum und Genuss ist das Wissen.«

Artikel vom 03.03.2017
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