Facetten der Gewalt

Abwehrtechnik lernen beim SV Anzing und von Kripobeamten

Silvia Oszwald, Trainerin der Anzinger Karatekas, zeigt einer Teilnehmerin einfache Abwehrtechniken gegen einen Angreifer. Der Kripo-Beamte Andreas Fernberger (kl. Foto) gibt Verhaltenstipps für Gefahrensituationen. 	Fotos: SV Anzing

Silvia Oszwald, Trainerin der Anzinger Karatekas, zeigt einer Teilnehmerin einfache Abwehrtechniken gegen einen Angreifer. Der Kripo-Beamte Andreas Fernberger (kl. Foto) gibt Verhaltenstipps für Gefahrensituationen. Fotos: SV Anzing

Anzing · Tatort Anzing: Samstagabend, ein stark angetrunkener Mann, lange Haare, schwarze Stiefel und Motorradlederjacke, Bierflasche in der Hand, steigt in den Bus. Er setzt sich neben eine junge Frau und wird sofort zudringlich, verbal und körperlich. Was tun in einem solchen Fall?

»Öffentlichkeit schaffen, das heißt, andere Fahrgäste gezielt ansprechen und um Hilfe bitten, zum Beispiel: ›Sie in dem roten Anorak, kommen Sie bitte, Sie müssen mir helfen‹«, erklärt Kriminaloberkommissar Andreas Fernberger, Präventionsbeamter und erfahrener Selbstverteidigungsspezialist des Bayerischen Landeskriminalamtes.

Die eingangs beschriebene Situation war im Nebenzimmer der Gaststätte Anzinger Forsthof nur nachgestellt und der pöbelnde Fahrgast Fernberger in Verkleidung. In Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Jakob Deischl von der Verhaltensorientierten Kriminalprävention der Kripo Erding und der Karateabteilung des Sportverein Anzing (SVA) brachte er diese und andere Verhaltensweisen in Gefahrensituationen interessierten Bürgern bei einem zweitägigen Kurs bei. »Anzing ist zwar ein friedlicher Ort, aber es geht in dem Kurs auch nicht nur darum, sein eigenes Leben zu schützen, sondern um richtiges Verhalten in Extremsituationen im Allgemeinen«, erläutert der Kripo-Beamte.

Wer sich niemals mit dem Thema beschäftigt hat, sei im Notfall überfordert. »Tu was – Zivilcourage« nennt sich das Programm, mit dem die Polizei seit einigen Jahren Bürger aufklären und ihnen Mut zum Einschreiten machen möchte. Mit 25 Teilnehmern, auch aus umliegenden Gemeinden, war der Kurs ausgebucht und soll daher in Kürze wiederholt werden. Vier Stunden Theorie am ersten Tag, drei Stunden praktische Tipps zur Selbstverteidigung am zweiten Tag stehen auf dem Programm.

»Gewalt hat viele Facetten«, sagt Fernberger. Das fange bei Rangeleien auf dem Schulhof oder Beschimpfungen von Ausländern an, und gehe über Exhibitionismus bis hin zur Messerstecherei und Kindesentführung. »Leider schauen die Menschen oft weg, teilweise aus Angst, selbst zu Schaden zu kommen, teilweise aber auch aus Unsicherheit, etwas falsch zu machen«, erklärt der Kripo-Beamte. Kaum jemand kenne zum Beispiel den sogenannten »Jedermann-Paragrafen« 127 der Strafprozessordnung. Dieser besagt: Wird jemand auf frischer Tat beobachtet, ist jedermann befugt, ihn festzunehmen oder festzuhalten, bis die Polizei eintrifft. Doch nicht immer sei es ratsam, selbst einzuschreiten, so Fernberger. Vor allem nicht alleine. »Holen Sie andere Passanten hinzu, machen Sie Fotos mit dem Handy, das schreckt die Täter oft schon ab«, rät der Fachmann.

Zumindest sollte jedoch ein Notruf unter der 110 abgesetzt werden, der nicht nur vom Festnetz, sondern auch von jedem Handy kostenlos ist. Wichtig dabei: Zuerst den eigenen Namen, eine Rückrufnummer und die Adresse des Tatortes nennen, und die Dringlichkeit deutlich machen. »Wenn jemand nur sagt ›Hier ist eine Schlägerei‹, dann kommt wahrscheinlich nur eine Streife, obwohl es vielleicht schon Schwerverletzte gibt, die dringend einen Notarzt benötigen.«

Neben diesen Tipps und rechtlichen Grundlagen beinhaltet der Kurs auch Rollenspiele, in denen verschiedene Situationen nachgestellt werden, und einen kleinen Exkurs in die Psychologie und Kommunikationswissenschaft: »Nach dem so- genannten Eisberg-Modell kommunizieren wir zu 70 Prozent auf körperlicher Ebene wie Gestik, Mimik, Geruch und Auftreten, nur 30 Prozent sind Sprache«, erklärt Fernberger. Wer zum Beispiel Angst ausstrahlt, signalisiert damit: »Ich bin leicht zu überwältigen« und mache sich selbst damit zum Opfer. Wie man selbstbewusster auftreten kann, lernen die Teilnehmer am zweiten Tag im Praxis-Teil, außerdem einfache Abwehrtechniken.

»Drei Stunden sind natürlich etwas wenig, deshalb bieten wir noch einen regelmäßigen Selbstverteidigungskurs an«, sagt Stephanie Oszwald, Trainerin und Abteilungsleiterin der Karateabteilung des SV Anzing. Geleitet wird er von Andreas Fernberger, der auch Mitglied der Anzinger Karatekas ist. Der Kurs ist speziell auf die oben genannten Themen ausgerichtet und findet ab 30. April bis zu den Sommerferien zwölf Mal immer mittwochs von 19 bis 20 Uhr in der Judo-Halle Anzing statt. Das Mindestalter beträgt 16 Jahre. Information und Anmeldung unter Tel. 0 89/9 04 42 26 oder per E-Mail unter mail@karate-anzing.de. Sybille Föll

Artikel vom 22.04.2014
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