Landkreis muss bis zu 106 Flüchtlinge aufnehmen

Ebersberg · Heimatlos ohne Heim

Hamid Afsali, vor 20 Jahren selbst nach Deutschland ausgewandert, unterrichtet die Flüchtlinge im Familienzentrum Ebersberg. Foto: Sybille Föll

Hamid Afsali, vor 20 Jahren selbst nach Deutschland ausgewandert, unterrichtet die Flüchtlinge im Familienzentrum Ebersberg. Foto: Sybille Föll

Ebersberg · „Ich hätte gerne mehr Kontakt zu den Menschen hier, würde gerne zu Veranstaltungen oder Ausstellungen gehen“, sagt S. langsam, jedes Wort bedächtig auswählend, auf Englisch. Der 39-Jährige ist einer von 69 Flüchtlingen, die vorwiegend aus Afghanistan und Syrien stammen und derzeit im Landkreis Ebersberg leben. Vor acht Monaten kam er aus Afghanistan nach Deutschland, seit sechs Monaten ist er in einer Wohnung in Ebersberg untergebracht.

Er hatte Glück. Viele andere Flüchtlinge warten in Sammelunterkünften in ganz Bayern darauf, in ordentliche Behausungen ziehen zu können. Doch die sind rar. Der Landkreis Ebersberg ist verpflichtet, 106 Asylbewerber aufzunehmen. Aber laut Marion Wolinski vom Landratsamt Ebersberg gibt es kaum freie Wohnungen. Dass die Stadt Ebersberg kürzlich gemeindeeigene Wohnungen in Zentrumsnähe und in Oberndorf zur Verfügung stellen konnte, war eher die Ausnahme. Jeden Moment kann es passieren, dass die Regierung von Oberbayern Flüchtlinge zuweist – dann muss sofort eine Lösung gefunden werden.

Doch das ist nicht das einzige Problem. „Bis eine Duldung ausgesprochen wird, können Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Bis dahin muss sich jemand um die Menschen kümmern“, erklärte Anna Cohrs, Vorsitzende des Ebersberger Vereins Ausländerhilfe. Derzeit hat der Verein 25 ehrenamtliche Helfer, aber laut Cohrs bräuchte man mehr, vor allem Deutschlehrer. Die Kinder der Flüchtlinge gehen hier zur Schule. Im besten Fall gebe es für sie Förderunterricht, sagt Cohrs. „Nach dem Asylbewerbergesetz haben Flüchtlinge kein Recht auf staatlich geförderten Unterricht, also versuchen wir, ihnen unsere Sprache beizubringen.“ Doch nicht jeder Lehrer ist dafür qualifiziert. Das persische Alphabet ist völlig anders als das deutsche. Letzteres bringt Hamid ­Afsali den Schülern bei, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Danach übernehmen andere Freiwillige. Eine davon ist Elisabeth Kajnath von der evangelischen Kirche, Deutschlehrerin und Religionspädagogin. Ihr Vorteil ist, dass sie schon Erfahrung in der Erwachsenenbildung hat. „Trotzdem war es am Anfang spannend, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt“, erzählt sie. Es läuft sehr gut, die Schüler sind gelehrig. Nach einem Monat haben sie ihr gesagt, was sie üben möchten. Drei Mal in der Woche für jeweils drei Stunden findet der Unterricht in den Räumen des Vereins an der Von-Feury-Straße 10 in Ebersberg statt. Die Fahrtkosten zum Unterricht wurden bis Juni aus einem Spendentopf des Landratsamtes bestritten, doch der ist leer. Nun werden neue Quellen gesucht. Kajnath chauffiert ihre Schüler mit dem Kirchenbus.

Sieben junge Männer, die von einer Wirts-Familie in Emmering in deren Ferienwohnungen aufgenommen wurden, absolvieren einen PC-Kurs. Unterrichtet werden sie ehrenamtlich von einer VHS-Kursleiterin, einmal pro Woche für drei Stunden, die Räume stellt die VHS Grafing zur Verfügung. Ein weiteres Problem: Die Flüchtlinge dürfen nicht arbeiten. Erst nach einem Jahr Aufenthalt wird ein eingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt. Dann dürfen sie „niederschwellige“ Jobs annehmen – meistens Putzarbeiten. „Viele von uns sind junge Leute mit einer Ausbildung und Talenten, die berufstätig waren. Jetzt haben wir nichts zu tun, uns fehlt eine Tagesstruktur – das ist deprimierend“, sagt S., der selbst zwölf Jahre lang in einem Büro tätig war. Damit sie wenigstens Ausflüge machen können, sucht der Verein Fahrräder und Leute, die kostenlos Fahrräder reparieren würden. Kontakt: Telefon 0 80 92/2 08 88, E-Mail: interkulturelle_kommunikation@web.de.

Wer eine Wohnung anbieten kann, wendet sich an das Landratsamt, Tel. 0 80 92/82 31 20, das die ortsübliche Miete zahlt und auch für eventuelle Schäden aufkommt.

Von Sybille Föll

Artikel vom 12.07.2012
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