Kolumne „Philipp auf der Insel“: Im Gespräch mit Mayor Paul Woodruff (Teil II)

München · Ein Mayor repräsentiert

Interview und Tee statt Pressekonferenz und roter Teppich: Bürgermeister Woodruff nahm sich Zeit für Philipp.	F.: phil

Interview und Tee statt Pressekonferenz und roter Teppich: Bürgermeister Woodruff nahm sich Zeit für Philipp. F.: phil

Montag, Mittwoch, Freitag,- wie komme ich dazu, den Bürgermeister von Lancaster dreimal in derselben Woche zu treffen? Ganz einfach: Sobald es sich um seine geliebte Stadt im Nord-Westen der Insel dreht, ist seinem Redefluss kein Ende mehr gesetzt.

Goodbye Germany, England we’re coming

Auf die Weise haben wir bei unserem ersten Treffen für einen Teil meines Interviews eine Stunde gebraucht und den Rest vertagt. Am Mittwoch habe ich ihn und das ganze Council dann in Aktion erlebt, bei der die Fetzen geflogen sind.

Im ersten Teil des Interviews hat Mayor Paul Woodruff über sich selbst erzählt – heute fühle ich nun der britischen Politik auf den Zahn. Ob diese auch so trocken ist wie der Humor?

Philipp: Jetzt haben Sie, Mr. Mayor, bei unserer ersten Tasse Kaffee vergangene Woche von sich selbst unter anderem als Nussverkäufer und Ihren politischen Manifesten als revolutionärer und freidenkerischer Independent erzählt. Können Sie mir, obwohl Sie sich diesem nicht unterordnen, beschreiben, wie sich das politische System auf der Insel zusammensetzt?

Woodruff: Menschen haben mich schon immer mehr interessiert als Systeme (lacht). Lass uns am Fundament der Pyramide beginnen: Die Bürger entscheiden, wer sie im Stadtrat vertreten soll. Natürlich gibt es auch hier auf lokaler Ebene die kreativsten und schöpferischsten Parteien, für die man schon beinahe einen Wettbewerb eröffnen sollte, aber „Ausbüxer“ wie ich haben genauso eine Chance. Und soll ich dir den Grund nennen? Es kommt nicht darauf an, dass eine Gruppierung überzeugt, sondern auf Menschen, denen die Bürger vertrauen.

Philipp: Verhält es sich denn in höherer Instanz genauso?

Woodruff: Wir klettern hierbei eine Stufe höher und landen in der Regionalebene: Lancashire. Hier werden die Parteien schon ausschlaggebender, denn wer aus Blackpool kennt schon den Mayor aus Lancaster? Niemand. Das County Council vertritt zwar eine ganze Region und fasst alle Gemeinden zusammen, hat aber lokal, wenn es hart auf hart kommt, keine entscheidende Relevanz.

Philipp: Wer ist denn dann für Sie als Bürgermeister die entscheidende Instanz?

Woodruff: Meine Frau – wie bei jedem Ehemann... Aber im Ernst: Die Spitze der Pyramide, das Parliament, dem der Prime Minister vorsteht, hat natürlich in politischen Dingen das letzte Wort. Auf landesweiter Ebene hat ein Einzelkämpfer wie ich keine Chance: Ich habe vielleicht eine Stimme, aber ich werde ganz einfach nicht gehört. Das ist für mich der Grund „meinem“ Lancaster treu zu bleiben – Interview und Tee statt Pressekonferenz und roter Teppich.

Philipp: Sie waren letzte Woche für einige Tage in The Houses of Parliament in der Hauptstadt zu Besuch. Versetzen Sie sich noch einmal in die endlosen Korridore und die nicht weniger langen Besprechungen! Wie ist die Temperatur direkt am Entscheidungsherd des United Kingdom?

Woodruff: Unter uns gesagt: beinahe am Siedepunkt. Nicht die Themen bringen den Kochtopfdeckel zum Abheben, sondern die niemals endende Rivalität zwischen den Parteien. Du würdest lachen, wenn du sehen würdest, wie die einzelnen Lager in Gruppenformation die Gänge entlang wandeln und wie sogar die Begrüßung auf dem Gang von der Parteizugehörigkeit abhängt. Hier wird sehr viel Zeit damit verbracht, sich über innere Strukturen den Kopf zu zerbrechen, die eigene Position zu sichern und die nächste Sprosse der Karriereleiter zu erklimmen. Dass demnach nicht alle Entscheidungen zum Guten der Sache und aus bestem Wissen und Gewissen gefällt werden, liegt auf der Hand. Politikverdrossenheit kommt nicht von ungefähr.

Philipp: Apropos „roter Teppich“: Haben Sie jemals Ihre Majestät, die Queen, getroffen?

Woodruff: (lacht) Das hängt jetzt von der wörtlichen Definition ab. Im vergangenen Juni war ich tatsächlich im Herzen von London in die Gärten des Buckingham Palace zum Lunch eingeladen. Klingt das nicht großartig? Bis dahin glaubte ich nicht daran, dass dreitausend (!) Politiker einen Nachmittag lang friedlich auf einer Grünanlage verweilen können. Das „triumphierende Highlight“ der Veranstaltung war aber dann doch das Erhaschen eines Blickes auf den purpurroten Hut Ihrer Majestät. Diese dafür bereits im Winter in Aussicht gestellte Einladung war übrigens Hauptanlass für meine Frau, mich als Bürgermeister kandidierend sehen zu wollen.

Philipp: Welche Rolle hat der Mayor, wenn er nicht gerade zu Gast bei der Royal Family ist?

Woodruff: Das ist eine sehr gute Frage, weil darin ein großer Unterschied zwischen England und Deutschland existiert. Der Mayor repräsentiert sozusagen die Stadt, das City Council fällt jedoch sämtliche Entscheidungen. Ganz anders in deiner Heimat, wo der Bürgermeister exekutiv tätig ist. Meine Position als Mayor lässt sich meiner Meinung nach am besten im verkleinerten Maßstab mit dem deutschen Bundespräsidenten vergleichen – hoffentlich nicht gerade in diesen Tagen sondern eher generell (lacht).

Philipp: In Deutschland werden wir bald die Einführung des neuen Präsidenten miterleben. Wie ging Ihre Zeremonie im vergangenen Mai vonstatten?

Woodruff: Das war ein ganz besonderer Tag für mich. Du musst wissen, dass ich seit 69 Jahren in dieser Stadt lebe. Die Tatsache, dass ich 365 Tage der Vertreter meiner Stadt sein darf und mich in die Galerie der Würdenträger einreihe, bedeutet mir ungeheuer viel. An jenem Abend also, dem 14. Mai 2011, hielt zuerst mein Vorgänger eine sehr humorvolle Rede. Anschließend wechselten wir unter Beobachtung des gesamten Publikums traditionell unsere Mäntel, ich gab weniger eine politische Rede, sondern viel mehr eine auf das Essen hinführende Vorlesung der Speisekarte zum Besten, und letztendlich wurde die britische Tradition mit mexikanischen Tapas gebrochen.

Philipp: Und das war nicht die letzte Tradition, die Sie gebrochen haben. Worin liegt Ihr persönlicher Schwerpunkt und Herzenswunsch in Ihrem Jahr als Mayor von Lancaster?

Woodruff: Mein absoluter Schwerpunkt liegt in der Bildung - warum jetzt gerade darin wirst du fragen? Zum einen ist es der wichtigste und vielleicht einzige Einfluss auf die Zukunft und zum anderen hat Lancaster allein aufgrund der Universität, die jüngstens zu den besten auf der Insel gehört, und den Grammar Schools, die tatsächlich die besten weit und breit sind, in den vergangenen Jahren gewaltig an Internationalität und Fortschritt gewonnen. Morgen werde ich meine 112. Schule besuchen – 150 schaffe ich bis Mai!

Philipp: Wenn junge Menschen sehen, wie frei und autark Sie Ihre Meinung kundtun und verteidigen, beginnen sicher nicht zu wenige darüber nachzudenken, auch eines Tages („wenn ich einmal groß bin“) in die Welt der Diskussionen und Entscheidungen auszuwandern. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten drei Schlagworte, die den Prime Minister von morgen ausmachen?

Woodruff: Aufrichtigkeit. Charisma. Ausdauer.

Philipp: Dann ist es bei Ihnen tatsächlich nur die fehlende Partei, die Lancaster Road von Downing Street 10 trennt. Am Weg nach München hindert Sie das jedoch nicht und genau dort werden wir dann an unser Interview anknüpfen. Mr. Mayor, vielen herzlichen Dank für unsere Bergtour auf den Gipfel der britischen Politik – die Aussicht und Übersicht ist umwerfend!

Gespräch mit Mayor Paul Woodruff (Teil I)

Artikel vom 08.03.2012
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