Gehörlose Zornedinger Sportlerin räumt 69 Titel ab

Zorneding · Athletikwelt lautlos

Die gehörlose Leichtathletin Georgina Schneid aus Zorneding nimmt alle Hürden mit Bravour. 69 sportliche Titel hat sie sich bislang gesichert. Foto: ka

Zorneding · Sie ist nett, hat ein freundliches Lächeln und eine offene Art: Wer der Zornedingerin Georgina Schneid mit ihrem Trainer Florian Cucu auf dem Sportplatz des TSV Vaterstetten zuschaut, ahnt nicht, dass die Leichtathletin gehörlos ist.

Die junge Sportlerin ist auch in der Welt der Hörenden erfolgreich, sie geht ihren nicht immer leichten Weg mit Charme und Ausdauer. Einen langen Atem beweist Georgina Schneid nicht nur auf der Tartanbahn. Ob es der Siebenkampf bei nationalen oder internationalen Wettkämpfen, bei Europa- oder Weltmeisterschaften oder die Teilnahme an den Deaflympics, den Olympischen Spielen für die Gehörlosen ist, Georgina Schneid misst sich mit gehörlosen wie hörenden Athleten ebenso gern wie erfolgreich.

69 Titel hat die 20-Jährige bisher geholt, ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. »Ich konnte als Kind nie stillsitzen«, erzählt Schneid. Als sie dann eine Freundin der Familie auf den Vaterstettener Sportplatz mitnahm, konnte sich die Grundschülerin nach Herzenslust austoben – die Bewegung braucht sie auch heute noch wie die Luft zum Atmen. »Wenn ich ein paar Tage nicht trainieren kann, bin ich auch in der Schule nicht gut«, erzählt sie. Und umgekehrt hat ihr in der Schule oft das geholfen, was ihr die sportlichen Erfolge neben ihrem Talent auch noch sichert: Ehrgeiz und Disziplin. Nicht zuletzt auch dank dieser beiden Eigenschaften hat Georgina Schneid es geschafft, an einer Fachoberschule zur sonderpädagogischen Förderung in Pasing ihren Abschluss zu machen. Selbst wenn man sich als Hörender nur ein paar Minuten die Ohren zuhält, wird man kaum nachvollziehen können, wie wenig das öffentliche Leben sonst auf Menschen, die nur eingeschränkt oder gar nicht hören, eingestellt ist.

Aufgewachsen in einer Familie mit einer gehörlosen Mutter, einer hörenden Schwester und einem Vater, der sein Gehör im Alter von sieben Jahren in Folge einer Hirnhautentzündung verlor, hat die Leichtathletin ein bewundernswertes Talent für das Lippenlesen entwickelt. Sie kann sich wunderbar verständlich ausdrücken und verliert nicht nur im Dialog mit ihrem Trainer keinen Moment die Geduld, wenn die Kommunikation mal weniger geschmeidig läuft. »Wir verstehen uns auch ohne Worte«, sagt Florian Cucu. Der 70-Jährige ist für seinen Schützling fast ein zweiter Vater geworden. So ist er auch ganz stolz, dass »Gina«, wie er sie nennt, im September ihre Ausbildung zur Industriekauffrau anfängt.

Er bewundert ihr Talent und fördert es nach Kräften. Cucu betont, dass die gehörlose Sportlerin auch in solchen Disziplinen reüssiert, in denen ihr das Hörvermögen schon sehr helfen würde. Beim Hürdenlauf etwa wäre es für den richtigen ­Rhythmus viel leichter, sie würde ihre Schritte auch hören. Doch Georgina geht buchstäblich ihren Weg. Dies bringt ihr die Achtung und den Respekt auch der Jüngeren ein. Schon einige Teenie-Sportlerinnen haben sich das eine oder andere Wort aus der Gebärdensprache von ihr beibringen lassen. »Sie ist ein Vorbild«, sagt Florian Cucu. Und so glaubt man der jungen Frau aufs Wort, dass sie ab Herbst auch Ausbildung und Training, Familie und Freund unter einen Hut bringen wird. »Weitermachen« heißt ihre Devise.

Kein Wunder, dass sie schon vom Gehörlosen-Verband zur Sportlerin des Jahres gewählt wurde und vergangene Woche als einzige gehörlose Sportlerin samt Trainer zur großen Sportlerehrung des Bayerischen Leichtathletik-Verbandes nach München eingeladen wurde. Rund 80.000 gehörlose Menschen leben in Deutschland. Hörende sollten den Kontakt mit ihnen nicht scheuen, denn Wissen übereinander baut Vorurteile ab. Wer sich unsicher ist, bekommt beim Berufsbildungswerk München (www.bbw-muenchen.de) kostenfrei anschaulich aufgemachte Kommunikationskarten mit vielen hilfreichen Tipps zur Kommunikation mit hörgeschädigten Partnern. Auch der Gehörlosenverband München und Umland (www.gmu.de) hilft nicht nur gehörlosen, sondern auch hörenden Menschen gerne weiter.

Ina Berwanger

Artikel vom 02.08.2011
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