Menschenrechtsorganisation stellt Deutschland-Bericht vor

Amnesty International fordert mehr Verantwortung bei der Polizei

Seit mehr als zwei Jahren sucht die Staatsanwaltschaft in München nach mutmaßlichen Tätern in Uniform. Foto: rk

Seit mehr als zwei Jahren sucht die Staatsanwaltschaft in München nach mutmaßlichen Tätern in Uniform. Foto: rk

Werden in Deutschland Polizisten übermäßiger Gewaltanwendung oder Misshandlungen verdächtigt, sei in der Regel kein Täter zu ermitteln. Das schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem neuen Bericht „Täter unbekannt – Mangelnde Aufklärung von mutmaßlichen Misshandlungen durch die Polizei in Deutschland“. Der Bericht dokumentiert verschiedene Fälle im Berichtszeitraum 2004 – 2009.

„Misshandlungsvorwürfe gegen Polizisten werden häufig nicht umgehend, unabhängig und umfassend untersucht. Am Ende verlaufen viele Ermittlungen im Sande“, klagte Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. „Nicht selten scheitern Verfahren daran, dass kein Täter ermittelt werden kann – besonders bei Einsätzen in geschlossenen Einheiten. Die Polizisten mauern, teilweise herrscht ein falsch verstandenes Wir-Gefühl unter Kollegen.“

Amnesty International betont, dass sie keine systematische rechtswidrige Polizeigewalt in Deutschland sehen, jedoch strukturelle Probleme im Umgang mit Vorwürfen übermäßiger Gewaltanwendung und Misshandlung. „Polizisten haben einen schwierigen, oft gefährlichen Job und sie sind berechtigt, im Dienst Gewalt anzuwenden“, sagte David Díaz-Jogeix, Europa-Experte im Internationalen Sekretariat von Amnesty in London. „Wenn Polizisten dieses Recht aber missbrauchen, dürfen sie nicht über dem Gesetz stehen.“ Zu oft bleibe der Staat in solchen Fällen tatenlos. Deutschland unterscheide sich da kaum von anderen mitteleuropäischen Ländern.

„In Deutschland bleiben Polizisten meistens anonym – vor allem wenn sie Helme tragen und in geschlossenen Einheiten agieren“, sagte Amnesty-Generalsekretärin Lüke. Deswegen fordert Amnesty eine generelle Kennzeichnungspflicht für Polizisten durch Namen oder Nummern. Damit gebe es gute Erfahrungen in Großbritannien, Schweden und Spanien. Unerlässlich seien auch unabhängige Untersuchungen. „Es zeigt sich häufig, dass Polizisten nicht gründlich genug gegen Kollegen ermitteln“, sagte Lüke. „Das verletzt die Menschenrechte und schadet dem Vertrauen in die Polizei.“

Auch in München ereignete sich im Dezember 2007 ein Fall mutmaßlicher Polizeigewalt, der bis heute Öffentlichkeit, Staatsanwaltschaft und auch Amnesty International beschäftigt. Mitglieder der umstrittenen Polizeisondereinheit Münchner Unterstützungskommando (USK) sollen bei einem Fußballspiel, zwischen den zweiten Mannschaften des FC Bayern und des TSV 1860 im Grünwalder Stadion, massive Körperverletzungen gegen abwandernde Zuschauer begangen haben. Mehrere betroffene Fans des TSV 1860 hatten nach den Vorkommnissen Strafanzeige gestellt.

Die zuständige Staatsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren gegen die USK-Beamten jedoch zweimal ein. Die Begründung für die Einstellungen wirkt widersprüchlich. In ihrem ersten Bericht stellte die Staatsanwaltschaft zunächst „massive Aggressionshandlungen von Polizeibeamten mittels Schlagstöcken“ fest. Das Verfahren wurde dennoch eingestellt, da die verdächtigen Beamten einheitlich gekleidet und weder durch Namen, noch durch Nummern gekennzeichnet seien, wodurch die Schuldigen nicht ermittelt werden könnten.

Auf öffentlichen Druck und eine anwaltschaftliche Beschwerde hin musste das Verfahren erneut aufgenommen werden. Doch auch die zweite Ermittlung blieb erfolglos. Was sich änderte, war hingegen die Begründung für die Einstellung. Diesmal erklärte die Staatsanwaltschaft, die Beamten hätten ihre Schlagstöcke lediglich zur Abwehr kreisend vor dem Körper geschwungen. Zielgerichtete Schläge gegen Unbeteiligte könnten nicht nachgewiesen werden.

Nachdem der Anwalt der mutmaßlichen Opfer, Marco Noli, erneut Beschwerde gegen die Einstellung eingelegt hatte, ging der Fall an die Generalstaatsanwaltschaft, die die Dienst- und Fachaufsicht über die ihr nachgeordnete Staatsanwaltschaft führt. Die Generalstaatsanwaltschaft sah nach Prüfung der Akten weiteren Klärungsbedarf und beauftragte die Ermittler mit Nacharbeiten, ehe sie entscheiden will, ob sie die zweite Verfahrenseinstellung billigt, oder die Angelegenheit ein drittes Mal verfolgt werden muss. Irritierend erscheint der Umstand, dass in einem Video, das sogenannte Beweissicherungsbeamte des USK gedreht haben, offenkundig entscheidende Sekunden fehlen. Begründet wurden die Lücken von der Polizei mit einem Hinweis auf technische Mängel an der Ausrüstung. Ein nicht alltäglicher Vorgang, der zeigt, mit welchen Schwierigkeiten Ermittlungen gegen Polizeibeamte in Deutschland verbunden sind.

Für den 16. Juli 2010 lädt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einem Fachgespräch mit Diskussion zum Thema „Polizei unabhängig kontrollieren“ in den Bayerischen Landtag ein. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr im Saal 3 des Maximilianeums. Angekündigt ist ein Vortrag von Nicholas Long, Vertreter der Independent Police Complains Commission (IPCC), einer unabhängigen englischen Behörde mit umfassenden Ermittlungskompetenzen. Darüber hinaus referieren Vertreter der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), des Lehrstuhls für Strafrecht und Kriminologie der Universität Regensburg sowie der deutschen Sektion von Amnesty International, vertreten durch Dr. Katharina Spieß, Referentin für Polizei und Menschenrechte.

Alfons Seeler

Artikel vom 08.07.2010
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