Veröffentlicht am 02.03.2009 15:55

„Stupides Auswendiglernen”

Die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) sowie der Direktor des Ludwigsgymnasiums, Anton Bauer (von links), sind darüber einig, dass Kinder künftig besser gefördert  werden müssen als bisher. (Foto: tg)
Die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) sowie der Direktor des Ludwigsgymnasiums, Anton Bauer (von links), sind darüber einig, dass Kinder künftig besser gefördert werden müssen als bisher. (Foto: tg)
Die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) sowie der Direktor des Ludwigsgymnasiums, Anton Bauer (von links), sind darüber einig, dass Kinder künftig besser gefördert werden müssen als bisher. (Foto: tg)
Die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) sowie der Direktor des Ludwigsgymnasiums, Anton Bauer (von links), sind darüber einig, dass Kinder künftig besser gefördert werden müssen als bisher. (Foto: tg)
Die Landtagsabgeordneten Georg Eisenreich (CSU) und Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) sowie der Direktor des Ludwigsgymnasiums, Anton Bauer (von links), sind darüber einig, dass Kinder künftig besser gefördert werden müssen als bisher. (Foto: tg)

An Bayerns Schulen brodelt es. Die Eltern wollen sich nicht länger mit einem Schulsystem abfinden, das ihre Kinder, die Lehrer und sie selbst überfordert. Viele Kinder sowie Erwachsene sogar krank macht. Bei einer Podiumsdiskussion über die „Schulpolitik in Bayern“ machten Eltern und Lehrer ihrem Verdruss Luft. Eingeladen hatte dazu der Elternbeirat des Ludwigsgymnasiums München gemeinsam mit der Studiengenossenschaft Ludoviciana. Auf dem Podium in der Mensa der Schule saßen die Abgeordneten des Bayerischen Landtags Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) und Georg Eisenreich (CSU). Sie repräsentieren die Spitze des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport im Parlament des Freistaats. Pfaffmann sitzt dem Gremium vor, Eisenreich ist sein Stellvertreter. Für den Elternbeirat eine „einmalige Chance“, ihre Anliegen mit „absoluten Fachleuten“ zu diskutieren und ihre Sorgen loszuwerden. Anton Bauer, Direktor des Ludwigsgymnasiums, leitete die Diskussion.

Die Eltern kritisierten, ihren Kindern werde ein „reines Bulimie-Lernen“ abverlangt. Was soviel heißt wie, sie werden mit Daten, Fakten und Vokabeln in kürzester Zeit vollgestopft und müssen das in sie Hineingepresste bei der nächsten „Ex” schnell wieder „auskotzen“. Eine Mutter klagte: „Wir sind seit drei Jahren hier in Bayern. Mein Sohn hat das Fragen verlernt. Er will nur noch stopfen, stopfen, stopfen.“ Es bleibe keine Zeit dazu, so die Frau, sich zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, der Atomkraft oder der Stammzellenforschung zu positionieren. Die Kinder müssten ihre Zukunft und die Gesellschaft neu gestalten, aber sie hätten keine Zeit dazu, mit dem Lehrer solche Fragen zu diskutieren. Eine andere Mutter pflichtete ihr bei. „Weder in England noch in Frankreich habe ich erlebt, dass an den Schulen ein solch stupides Auswendiglernen wie in Bayern verlangt wird.“ Ihr Fazit: „Die Freude am Lernen geht hier verloren.“

2.700 neue Lehrer

Georg Eisenreich machte 1990 am Ludwigsgymnasium das Abitur. Entsprechend „ungewohnt“ fühlte er sich an „seiner“ Schule. Er versprach, die Informationen der Eltern und Lehrer in seine Arbeit im Ausschuss einzubeziehen. Gleichzeitig allerdings bekannte er sich zum gegliederten differenzierten Schulsystem in Bayern. „Dazu stehe ich.“ Die Durchlässigkeit der Schularten müsse jedoch weiter verbessert werden. Es werde auch künftig in das qualitätvolle öffentliche Schulsystem viel investiert werden, kündigte er an. Der CSU-Abgeordnete: „Jedes Jahr müssen mindestens tausend zusätzliche Lehrer eingestellt werden. In den nächsten zwei Jahren werden 2.700 neue Stellen geschaffen.“ Die Frage von Anton Bauer, ob es sich um einen echten Netto-Zuwachs handele, konnte Eisenreich nicht beantworten. „Die Aufteilung der 2.700 Stellen auf die verschiedenen Schularten ist noch nicht bekannt.“ Bei 5.000 Schulen in Bayern könne nicht einmal gesagt werden, ob jede Schule einen Lehrer bekomme, rechnete Hans-Ulrich Pfaffmann vor. „Da erübrigt sich die Frage, wie sich das auf die Klassenstärke auswirken wird“, kommentierte eine Mutter resigniert.

„Leistungsdruck reduzieren”

Pfaffmann sieht dramatischen Handlungsbedarf. „Wer das G8 einführt, muss für die Rahmenbedingungen sorgen.“ Die individuelle Förderung der Kinder müsse dringend verbessert werden. Pfaffmanns Hauptforderung: „Die Grundschulzeit muss verlängert werden, um den Leistungsdruck zu mindern.“ Kinder seien mit zehn Jahren zu jung, um die Entscheidung für einen Übertritt zu treffen. Der SPD-Parlamentarier plädierte darüber hinaus dafür, „die Attraktivität des Lehrerberufs zu steigern, damit die jungen Leute wieder auf Lehramt studieren.“ In Bayern sei es seit vielen Jahren versäumt worden, das aufs Lehramt zielende Studium attraktiv zu machen. Pfaffmann: „Wir müssen in der Lage sein, künftig mehr Lehrer einzustellen. Keine Klasse darf mehr als 25 Kinder fassen.“ Die derzeitige Situation bezeichnete eine Lehrerin als „sehr unbefriedigend“. Alles laufe auf eine „Steinzeitpädagogik“ hinaus. „Der Stoff wird durchgepaukt, um die Klassen ruhig zu halten. Wir versuchen immer wieder, den alten Frontalunterricht aufzubrechen.“

„Bildungssystem ist geprägt von Parteipolitik”

Der Vorwurf aus der Elternschaft, parteipolitische Querelen dienten der Sache nicht, konterte Pfaffmann mit den Worten: „Das ist ein demokratischer Prozess. Meine Partei hat diese Meinung. Die CSU eine andere. Die Bürger müssen sich für das entscheiden, was sie für richtig halten.“ Doch gerade das beklagte ein Vater: „Unser Bildungssystem ist geprägt von Parteipolitik. Dass ein anderes abgelehnt wird, wird auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen.“ Viele Eltern kritisierten, es werde zu wenig über das Wohl der Kinder diskutiert. Eine Mutter: „Die Lehrer machen auf mich, wie auch die Kinder, einen völlig überforderten Eindruck.” Sie fragte: „Wo bleibt der kindgerechte Ansatz?“ Das Fazit der Mutter: „Wenn wir auch noch selbst für die Nachhilfe zuständig sein sollen, überfordert uns das alle!“

„Wenn Sie vier Kinder hätten, würden Sie anders sprechen“, musste sich Georg Eisenreich anhören. Und: „Nehmen sie die Kritik mit, vielleicht veranlasst das Sie und Ihre Partei zum Umdenken.“ Mit „sehr interessant, aber gebracht hat es nichts“, kommentierte eine Gruppe von Eltern beim Nachhauseweg die Diskussion. Eine fortschrittliche Bildungspolitik sei für die kommenden Jahrzehnte nicht in Sicht.

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