Veröffentlicht am 13.08.2015 16:38

Spuren hinterlassen

Doktorwürden mit 70 Jahren: Gabriele Pfeifer mit ihrer Doktorandenurkunde (Foto: us)
Doktorwürden mit 70 Jahren: Gabriele Pfeifer mit ihrer Doktorandenurkunde (Foto: us)
Doktorwürden mit 70 Jahren: Gabriele Pfeifer mit ihrer Doktorandenurkunde (Foto: us)
Doktorwürden mit 70 Jahren: Gabriele Pfeifer mit ihrer Doktorandenurkunde (Foto: us)
Doktorwürden mit 70 Jahren: Gabriele Pfeifer mit ihrer Doktorandenurkunde (Foto: us)

Ein Leben lang arbeitete Gabriele Pfeifer (71) gemeinsam mit ihrem Mann als selbstständige Verlagskauffrau. Doch nachdem sie in Ruhestand gegangen waren, lockte noch einmal die Schulbank. So schrieben sich beide 2004 an der LMU ein, um „Geschichte von unten“, wie sie sagt, zu studieren. „Mich haben schon immer die einfachen Leute und ihr Alltag interessiert. Da lag ein Studium der Kulturanthropologie und der bayerischen Kirchengeschichte nahe.“

Zur Magisterarbeit 2009 suchte sich Pfeifer ein empirisches Thema aus. „Es ging um das Essverhalten von Menschen auf der Straße. Doch das Befragen, das Leute-Zählen und Vergleichen empfand ich als anstrengend. Zur Promotion wollte ich ein wirkliches Archivthema bearbeiten.“ Denn dass nach dem Magister der Doktortitel folgen müsste, das war den beiden Pfeifers von Anfang an klar.

Wenn Studium im Alter, dann bitte mit Promotion!

Schon ihr erster Professor an der LMU, Helge Gerndt, setzte ihnen diesen Wunsch in den Kopf. „Er hat uns sehr herzlich willkommen geheißen und fand es toll, dass wir uns mit 60 geistig noch einmal so fordern wollten. Aber er meinte auch immer, dass ein Studium im Alter mit der Promotion abschließen müsste. Das gehörte für ihn als optimale Abrundung des Studiums dazu und außerdem bleibt etwas von einem bestehen. Man hinterlässt Spuren“, setzt Pfeifer hinzu und verweist auf die nun fertige, vor ihr liegende Doktorarbeit.

„Seit kurzem ist meine Arbeit im Netz zu finden“, meint sie stolz. „Von nun an bin ich die Anwältin meiner Arbeit. Jeder kann die Arbeit einsehen und zu Forschungszwecken weiterentwickeln. Ich freue mich darauf.“ Ihr Thema hieß „Auswertung von Taufmatrikeln in Passau und München von 1600 bis 1820, unter besonderer Berücksichtigung der Münchner Findelkinder“.

„Ich habe es immer gut gehabt und bin wohlbehütet aufgewachsen. Dieses Glück wollte ich weitergeben und habe mich immer für Kinder und Flüchtlingsfrauen ehrenamtlich engagiert und neben unserer Tochter auch unser Pflegekind Sonja groß gezogen.“ Mit diesem Thema schließe sich für sie nun ein Kreis, sagt Gabriele Pfeifer.

Was „sprechende Namen“ erzählen

„Dazu gibt es bisher noch keine Literatur und wenig Interesse. Überhaupt habe ich während meiner Arbeit viele überraschte Blicke geerntet. Das Thema ist ein harter Brocken, keiner kann sich vorstellen, dass Findelkinder früher gang und gäbe waren und auch heute noch Straßen- und Familiennamen auf eine Existenz als Findelkind hinweisen. Je tiefer ich eingetaucht bin, um so erstaunter war ich, wie wenig die Materie erforscht ist.“

Dabei seien Hungersnöte, Kriege oder Besetzungen früher nichts Außergewöhnliches gewesen, jede dieser Alltagskatastrophen habe eine Flut von Findelkindern hinterlassen. Das Schicksal von 1.200 Münchner Findelkindern habe sie in ihrer Arbeit aufgezeigt. „Vielfach sind sie nach dem Ort benannt, wo sie gefunden wurden, wie Ziegler – auf dem Ziegelboden, Strassinger – auf der Straße. Oder sie sind nach der Art und Weise oder der Jahreszeit ihres Fundes benannt.

Studentenparty mit 70

Mit einem Seniorenstudium sei ihre akademische Arbeit keineswegs zu vergleichen. „Das ist ein vollwertiges Studium mit allem Drum und Dran, auch mit Studentenpartys und gemeinsamem Lernen mit den viel jüngeren Kommilitonen. Wir hatten stets sehr guten Kontakt im Studienjahr.“ Das Doktorarbeit-Schreiben sei dagegen ein einsames Vergnügen. „Die meisten Doktoranden stehen im Beruf und schauen, wie sie nebenbei mit ihrer Arbeit vorankommen. Wir haben den Luxus, dass wir uns voll und ganz auf die wissenschaftliche Arbeit konzentrieren können.“

Nur eine Sache galt es abzuklären. Das Haus mit großem Garten wurde während des Studiums zu einer Belastung, die Pfeifers wollten ihre Zeit ausschließlich in die Wissenschaft stecken und zogen in eine kleine Wohnung. Nachdem dies erledigt war, legte zuerst Manfred Pfeifer los. Er schrieb seine Doktorarbeit zum Thema „Diskriminierung, ein stetiger Reisebegleiter in Afrika-Reiseberichten“.

Freude am gemeinsamen Vorankommen

„Es ist sehr befriedigend, wenn der Partner mitzieht, wenn man sich gegenseitig stärken kann“, betont Gabriele Pfeifer. „Andere machen Wellness, wir machen Wellness fürs Gehirn.“

Nun haben die Pfeifers ihre Doktorwürden erhalten. „Es ist erstaunlich, wie sich die Wahrnehmungen ändern. Ich würde nun einschätzen, dass der Doktortitel nur ein wunderschönes Abfallprodukt unserer Bemühungen ist. Unsere Themen haben jeweils wirklich unseren Nerv getroffen. Ich glaube, dass uns die Materie nie mehr loslässt. Ich werde mich noch lange, lange mit den Findelkindern weiterbeschäftigen. Viele Themenkreise habe ich nur kurz streifen können und die möchte ich nun weiterverfolgen. Und meinem Mann geht es genauso.“

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