Veröffentlicht am 14.10.2014 09:42

„A Stückl von zuhaus”

Im Karlsfelder Heimatmuseum sind mehrere Mohnmühlen ausgestellt, wie sie früher zur Zubereitung der Kirchweihkuchen benutzt wurden. (Foto: hö)
Im Karlsfelder Heimatmuseum sind mehrere Mohnmühlen ausgestellt, wie sie früher zur Zubereitung der Kirchweihkuchen benutzt wurden. (Foto: hö)
Im Karlsfelder Heimatmuseum sind mehrere Mohnmühlen ausgestellt, wie sie früher zur Zubereitung der Kirchweihkuchen benutzt wurden. (Foto: hö)
Im Karlsfelder Heimatmuseum sind mehrere Mohnmühlen ausgestellt, wie sie früher zur Zubereitung der Kirchweihkuchen benutzt wurden. (Foto: hö)
Im Karlsfelder Heimatmuseum sind mehrere Mohnmühlen ausgestellt, wie sie früher zur Zubereitung der Kirchweihkuchen benutzt wurden. (Foto: hö)

In Karlsfeld ist Ilse Oberbauer als Kuratorin des Heimatmuseums und ehemalige Grundschullehrerin bekannt. Doch die 75-Jährige lebte nicht immer in der Gemeinde. Vor 60 Jahren floh sie mit ihrer Familie aus dem Egerland. Ihre böhmische Heimat ließ sie damals zurück, an einer Tradition hält sie jedoch bis heute fest: Jedes Jahr zu Kirchweih backt Ilse Oberbauer ihren traditionellen Egerländer Mohnkuchen. Für die Heimatvertriebene ist das Gebäck nicht nur ein Ritual, sondern vielmehr „a Stückl von zuhaus“.

Flucht aus der Heimat

Ilse Oberbauer verbringt ihre frühe Kindheit in der Kreisstadt Tachau im Nord-Westen Böhmens, einem Gebiet das heute in Bayern und Tschechien liegt. Noch vor der amtlichen Vertreibung der Sudetendeutschen durch die Tschechen, flieht die Familie im Dezember 1945 nach Bayern. Der Vater ist im Krieg gefallen und so kämpft sich die Mutter mit ihren sechs Kindern, unter ihnen die damals siebenjährige Ilse, über verschiedene Auffanglager schließlich an den Tegernsee durch. Den Lebensmittelgroßhandel mit rund 45 Angestellten muss die Familie aufgeben. „Das mussten wir alles zurücklassen und ganz von Neuem beginnen“, erinnert sie sich. Einer Tradition bleibt die heimatvertriebene Familie jedoch treu: dem handtellergroßen Mohnkuchen zu Kirchweih.

Ein Kuchen für jedes Kind

„Meine Mutter ist auf dem Land groß geworden und hat uns Kindern erzählt, dass die Bauersfrauen dort zu Kirchweih wagenradgroße Kuchen gebacken haben“, erinnert sich Ilse Oberbauer. Aus dem überdimensionalen Gebäck entwickeln sich in den entbehrungsreichen Jahren der Nachkriegszeit die handtellergroßen Kuchen, wie sie Ilse Oberbauer noch heute zubereitet. „Das war aus der Not heraus, damit jedes Kind einen Kuchen bekam. Mein Bruder hat allerdings immer zwei bekommen, er war schließlich der einzige Mann in der Familie“, schildert sie.

„Das kannte hier niemand”

In ihrer neuen bayerischen Heimat ist das Gebäck eine Besonderheit. „Das kannte hier ja niemand“, erzählt Ilse Oberbauer und erinnert sich freudig an ihr erstes Kirta-Hutschen am Tegernsee. Denn als Backzutat war Mohn hierzulande wenig bekannt und vor allem in der Küche der Sudetendeutschen beliebt. Nicht ohne Grund wurden die schwarzen Samen auch als „böhmisches Hasch“ bezeichnet. Unter den Namen Kleckslkuchen und böhmische Kolatsche existieren bis heute zahlreiche Varianten des Hefegebäcks.

Neue Heimat in Karlsfeld

Anfang der 1960er Jahre siedelt sich Ilse Oberbauer wie tausende andere Flüchtlinge in Karlsfeld an - und fühlt sich in der Gemeinde auf Anhieb wohl. „Es war kein Problem sich hier einzugewöhnen. Am Tegernsee war das anders, da war ich immer das Flüchtlings-Madel”, erzählt sie. 39 Jahre lang arbeitet sie als Lehrerin in der Grundschule an der Krenmoosstraße, seit 2003 leitet sie das Karlsfelder Heimatmuseum.

Erinnerungsstücke aus dem Egerland

Im sogenannten Flüchtlingszimmer des Museums sind auch zahlreiche Stücke aus der Kindheit der Kuratorin ausgestellt, darunter ein traditionelles Trachtengewand und mehrere historische Mohnmühlen. Beim Anblick der geschichtsträchtigen Stücke kommen Besuchern mit einer ähnlichen Vergangenenheit schon mal die Tränen, erzählt Ilse Oberbauer. „Es ist eine Last, das kann man drehen und wenden wie man will. Man hat eben die Heimat verloren.”

„Der Mohnkuchen bleibt”

Umso glücklicher ist sie, dass sich ihr Sohn Peter und der Enkel Sebastian den Egerländer Wurzeln noch immer verbunden fühlen und jedes Jahr zu Kirchweih sehnsüchtig auf Ilse Oberbauers Mohnkuchen warten. Und obwohl die Rentnerin durch ihre Arbeit im Museum täglich an die Geschichte ihrer Vertreibung erinnert wird: So richtig nah fühlt sie sich dem Egerland nur an Kirchweih. „Es ist ein Gefühl der Heimat. Alles andere verliert sich, aber der Mohnkuchen erinnert mich immer an das Egerland.”

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