Veröffentlicht am 24.10.2013 09:36

„Bist du nun ein Schatten?”

Besonderes Erlebnis: als Raum-, Klang- und Windskulptur hängen rund 1.000 Liebensbriefe von Kindern an Verstorbene bei der Blütenwiese am Urnenfeld im Obermenzinger Friedhof. (Foto: US)
Besonderes Erlebnis: als Raum-, Klang- und Windskulptur hängen rund 1.000 Liebensbriefe von Kindern an Verstorbene bei der Blütenwiese am Urnenfeld im Obermenzinger Friedhof. (Foto: US)
Besonderes Erlebnis: als Raum-, Klang- und Windskulptur hängen rund 1.000 Liebensbriefe von Kindern an Verstorbene bei der Blütenwiese am Urnenfeld im Obermenzinger Friedhof. (Foto: US)
Besonderes Erlebnis: als Raum-, Klang- und Windskulptur hängen rund 1.000 Liebensbriefe von Kindern an Verstorbene bei der Blütenwiese am Urnenfeld im Obermenzinger Friedhof. (Foto: US)
Besonderes Erlebnis: als Raum-, Klang- und Windskulptur hängen rund 1.000 Liebensbriefe von Kindern an Verstorbene bei der Blütenwiese am Urnenfeld im Obermenzinger Friedhof. (Foto: US)

An Allerheiligen erwartet Besucher des Obermenzinger Friedhofs eine bemerkenswerte Ausstellung. Über 1.000 Briefe von Kindern an Verstorbene werden als lange Open-Air-Galerie zu sehen sein. Die Initiatorin des Projektes, Marielle Seitz, erklärte dazu: „Tod gehört zum Leben. Das wissen Kinder und gehen ganz natürlich damit um. Dabei kann es sich um das tote Eichhörnchen handeln, das geliebte Haustier und natürlich um die Urgroßeltern und Großeltern, deren Tod die Kinder mitbekommen.”

Aber Kinder würden auch Antworten über das Sterben, den Tod und letztendlich auch über Begräbniszeremonien erwarten, so Seitz. „Dies ist in unserem Kulturkreis oft nicht so ohne weiteres möglich. In unserem Projekt ist viel Raum dafür, sich über das Leben und seine Geheimnisse auszutauschen, gemeinsam über Erlebtes zu sprechen, Fragen zu stellen und Antworten zu finden.“ Die Künstlerin, Kunstpädagogin und Leiterin des Institutes für Kreativität und Pädagogik ging deshalb auf über 20 Kindereinrichtungen und Schulen in und um München zu, um für die Teilnahme zu werben. „Die Reaktionen waren überwältigend. Ich hätte noch viele mehr ansprechen können.“

Gedanken im Wind

Nun sind es knapp über 1.000 Kinder, die angeleitet durch ihre Erzieher und Lehrer an Menschen oder auch Tiere, die nicht mehr hier auf Erden sind, schreiben und zeichnen. „Es sollte eine sinnliche und sinnvolle Kommunikation werden, deshalb werden die „Liebensbriefe” auf einer Blindenfolie mit weißem Stift geschrieben“, so Seitz.

„Die Stifte prägen die Folie und hinterlassen Spuren, die später nicht nur gesehen, sondern auch ertastet werden können. Weiße auf weißer Folie – das soll auch für Spiritualität stehen.“ Als Installation auf dem Friedhof werden die L i ebensbriefe ganz sacht im Wind rascheln, „so wie leicht bewegte Blätter. Die Kinder geben also ihre Gedanken mit dem Wind auf die Reise.“

Alle Glaubensrichtungen angesprochen

Die Grundschulen griffen das Projekt zumeist im Religions- und Ethikunterricht auf. „Bei den Viertklässlern, also den Neun- und Zehnjährigen sorgte das Thema zwar zu Anfang für Kichern, aber es wurde schnell klar, dass jedes Kind recht klare Vorstellungen vom Tod hat und diese auch unbefangen mit anderen teilt“, so Ethiklehrerin Katharina Apfelbeck aus der Oselschule. „Ich war überrascht, wie viele Wortmeldungen es gab.“

Doch die Fragen überwogen: Was tut man, wenn man gestorben ist?, wie fühlt man sich?, wohin geht man?. „Das sind alles sehr praktische Dinge, die die Kinder wissen wollten“, erzählte Kollegin Sabine Adam-Stoiber. „Auch wir haben viel von den Kindern erfahren. Zum Beispiel wie der Islam zum Tod steht und welche Begräbnisrituale es dort gibt.“ Und Gerlinde Hahn, Lehrerin für evangelische Religion, ergänzte: „Ich habe am Anfang Geschichten erzählt, um das Thema zu transportieren. Doch ganz schnell sind die Kinder mit eigenen Gedanken von der Seele und den Engeln, die uns begleiten, darauf eingestiegen.“

Wichtiges Abschiednehmen

So etwas Abstraktes und Unvorstellbares wie den Tod könne nur mit Symbolen und Ritualen begleitet werden. „Daher haben wir viel übers Abschiednehmen gesprochen“, so Hahn. Auch im katholischen Kindergarten St. Leonard stand das Abschiednehmen von geliebten Menschen oder Tieren im Mittelpunkt. „Die kleineren Kinder gehen sehr souverän und sehr, sehr mitfühlend mit dem Thema Sterben um“, meinte die Leiterin Theresa Stolz.

„Wir haben zuerst über die Natur gesprochen, über die welken Blätter und das Vergehen der Pflanzen. Auch Bücher haben wir den Kindern vorgelesen“, so Stolz. Ein kleiner Junge fragte sich, ob der Opa nun ein Schatten sei. Ein Mädchen meinte, dass es dem verstorbenen Tier gut täte, wenn man ihm schöne Gedanken schicken würde. „Solchen existenziellen Fragen zum Sein und Nicht-mehr-Sein begegneten die Kleinen mit Selbstverständlichkeit. Das ist wunderbar“, meinte sie.

Nun hängen die einzigartigen und überaus innigen L i ebensbriefe vom 24. Oktober bis 4. November auf dem Friedhof München/Obermenzing, Bergsonstraße 32 im Bereich der Urnengräber auf der Blütenwiese und können als Wind-Licht-Schatten-Spiel bewundert werden. Übrigens: auch die Friedhofsbesucher dürfen sich spontan von der filigranen Technik verführen lassen und selbst einen L i ebensbrief an liebe Menschen schreiben. Dafür wird an Allerheiligen die Möglichkeit auf dem Obermenzinger Friedhof geschaffen. „Ich danke Pfarrer Klaus Günter Stahlschmidt von der Pfarrei Leiden Christi für seine große Unterstützung.“ Nach der Ausstellung wandern die L i ebensbriefe ins Gestaltarchiv Schondorf. Seitz: „Ich habe so viel Begeisterung für das Projekt erfahren und hoffe und wünsche, dass die L i ebensbriefe noch oft von vielen Einrichtungen wiederholt werden.“

north