Sie könnte längst ihren Ruhestand genießen, zusammen mit ihrem Mann in ihrem Haus nahe der Würm – aber das kommt für Friederun Reichenstetter nicht in Frage. Die Kinderbuchautorin aus Pasing schreibt und schreibt. Ein bisschen zurückgefahren hat sie ihr Pensum, früher waren es sechs Bücher im Jahr, jetzt sind es „nur” noch drei bis vier. Wie viele Bücher sie schon geschrieben hat? Sie hat gar nicht mehr mitgezählt. Insgesamt sind es auf jeden Fall über hundert. Berühmt sei sie nicht, erklärt die sympathische Frau in ihrer geradlinigen Art, „aber gut bekannt”.
Am erfolgreichsten sind derzeit ihre erzählenden Sachbücher. „Wie kleine Igel groß werden – Eine Geschichte mit vielen Sachinformationen” ist 2006 erschienen und inzwischen in der 7. Auflage gedruckt. Der Erfolg war eigentlich Zufall, meint die Autorin, weil das Thema Igel in der Schule behandelt und ihr Buch oft als Unterrichtsmaterial verwendet wird. Gerade erschienen ist der bereits zwölfte Band in dieser Reihe: „Die kleine Eule und die Tiere der Nacht”. Spannend erzählt und für Kinder der Vorschule und Grundschüler interessant gestaltet sind die Bücher, und alle Fakten stimmen. „Ich hole mir zur Recherche viele Fachbücher aus der Stadtbibliothek, außerdem habe ich eine gute Biologin, die alles nochmal überprüft. Sie ist recht streng”, schmunzelt die Autorin.
Die Themen ihrer anderen Bücher sind vielfältig und bieten oft auch ganz nebenbei Erkenntnisse und Nutzen fürs Leben. „Nelli traut sich und sagt Nein” ist eine Geschichte über ein Mädchen, das immer nett sein will und dafür verhasste nasse Küsse und quälende Spielkameraden in Kauf nimmt und ungeliebte Mohnschnecken im wahrsten Sinne des Wortes schluckt. Das Buch motiviert Grundschüler zum Lesenlernen: Es wird immer ein Stück vorgelesen, dann folgt ein Abschnitt in großer Schrift zum Selberlesen. Auch Fragen zur Geschichte motivieren zum Mitmachen. Und am Ende hat das Kind nicht nur im Lesen Fortschritte gemacht, sondern auch Einiges über das Lösen von inneren und äußeren Konflikten gelernt.
Friederun Reichenstetter schreibt auch übers Streiten und Nörgeln, über Sturheit, über Höflichkeit, über die Trennung der Eltern. Und das alles so packend, dass die Zielgruppe gar nicht merkt, wie pädagogisch wertvoll es ist. Dabei hat die Autorin gar keinen pädagogischen Hintergrund, sondern hat Sprachen studiert und bei mehreren internationalen Organisationen gearbeitet. Erst vor gut 20 Jahren machte sie das Schreiben zu ihrem Hauptberuf – da war ihre eigene Tochter schon erwachsen.
Sie bleibt nicht nur am heimischen Schreibtisch sitzen: Die Autorin hält auch Lesungen für Schulklassen, um Kinder für Bücher zu begeistern. Dass das nicht unbedingt ein Zuckerschlecken ist, weiß jede Lehrerin. Doch Friederun Reichenstetter hat gelernt, wie es geht: Nicht nur nett sein, sondern klare Ansagen machen, für eine begrenzte Zeit die Aufmerksamkeit einfordern. So gelingt es ihr, auch undisziplinierte Gruppen zu fesseln, und sie beantwortet dann auch gern die Fragen der Grundschüler.
„Viele denken ja, man werde sehr reich mit dieser Arbeit”, erzählt Friederun Reichenstetter. Doch anders als bei Harry-Potter-Erfinderin Joanne K. Rowling ist das bei ihr und den meisten ihrer Kolleginnen nicht der Fall. So ist es also nicht unbedingt das Geld und auch nicht die Anerkennung, weswegen sie weiterarbeitet. „Nur Ruhestand, das würde mich verrückt machen”, gibt die Pasingerin zu. Sie hat auch einschlägige Vorbilder: Ihr Vater war Mitbegründer der Telefonseelsorge und hat mit 87 Jahren noch Beratungen gemacht, ihre Mutter, Sachbuchautorin, hielt mit 91 ihre letzte Lesung. „Als sie kein Ziel mehr hatte, hat sie ganz schnell abgebaut”, erzählt Friederun Reichenstetter, die sich viele Jahre lang um ihre hochbetagten Eltern gekümmert hat. Ihre eigenen Ziele behält sie fest im Blick, und bis sie mal 91 ist, da fließt noch viel Wasser die Würm hinunter.