Veröffentlicht am 26.11.2012 17:10

Wie bewahren wir unsere Lebensgrundlagen?

Die ausgezeichneten Autoren im Rathaus mit (hinten von links) Helga Rolletschek, Gitta Gritzmann, Hannelore Prechtel und MdL Martin Güll (SPD). (Foto: job)
Die ausgezeichneten Autoren im Rathaus mit (hinten von links) Helga Rolletschek, Gitta Gritzmann, Hannelore Prechtel und MdL Martin Güll (SPD). (Foto: job)
Die ausgezeichneten Autoren im Rathaus mit (hinten von links) Helga Rolletschek, Gitta Gritzmann, Hannelore Prechtel und MdL Martin Güll (SPD). (Foto: job)
Die ausgezeichneten Autoren im Rathaus mit (hinten von links) Helga Rolletschek, Gitta Gritzmann, Hannelore Prechtel und MdL Martin Güll (SPD). (Foto: job)
Die ausgezeichneten Autoren im Rathaus mit (hinten von links) Helga Rolletschek, Gitta Gritzmann, Hannelore Prechtel und MdL Martin Güll (SPD). (Foto: job)

Mehr als 70 Schüler aus Bayern im Alter von zehn bis 17 Jahren haben sich heuer an der 4. Klimaherbst-Schreibwerkstatt mit originellen Textbeiträgen und Illustrationen beteiligt. Einen ganzen Vormittag lang haben sie in der Münchner Stadtbibliothek in Laim ihre Gedanken rund um das Thema „Unser täglich Brot ...“ in Worte gekleidet. Eine 6. Klasse des Ludwig-Gymnasiums hat sich zudem mit Fragen zu den Themen „Gesunde Ernährung“, „Verschwendung von Lebensmitteln“ und „Massentierhaltung“ auseinandergesetzt. Die Verfasser der besten Texte wurden nun im Sitzungssaal des Rathauses mit Sachpreisen ausgezeichnet.

„Die Schüler haben viele fantasievolle Geschichten entwickelt”, unterstrich Gitta Gritzmann (Kinder lesen und schreiben für Kinder e.V.), „wir sind immer wieder erstaunt!” Hannelore Prechtel (Bund Naturschutz) erinnerte daran, dass der Erhalt der Natur mehr bedeutet als „nur” einige Tiere oder Pflanzen zu schützen: „Es geht um die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen und Maßnahmen gegen den Klimawandel, der vieles bedroht, was uns heute als selbstverständlich erscheint”. Die Schüler machten sich viele Gedanken, wie unsere Lebensgrundlagen bewahrt werden können.

Mit einer originellen Idee sicherte sich Bruno Heinel (6. Kl. Ludwigsgymnasium) den ersten Preis: Seine Geschichte „Die Lösung des Welthungerproblems mit Zaunwinden” lobte Gitta Gritzmann (Kinder lesen und schreiben für Kinder e.V.) als klaren, aussagekräftigen Text, der am Ende eine witzige Pointe hat.

Sonja Bruner und Nadine Urner (9. Kl. Maria-Theresia-Gymnasium) kamen mit „Wie wir uns verhalten ...” auf den zweiten Platz; mit dem „Dankesbrief des Bürgermeisters” von Theresa Adelmann und Leonie Schramm ging ein weitere Preis an die Sechstklässler des Ludwigsgymnasium. „Ideenreich, engagiert, knappe Statements regen zum Nachdenken an”, würdigte Hannelore Prechtel (Bund Naturschutz) diese Geschichte.

Weitere ausgezeichnete Geschichten sind u.a.:

„Eine gute Lösung” von Sandra Palic, 9. Kl. Ludwigsgymnasium. „Tofu versus Rumsteak” von Philipp Krüger und Nadin Isabell Sos, 9. Kl. Maria-Theresia-Gymnasium. „Liebes Tagebuch” von Christina Irlbeck, 6. Kl. Ludwigsgymnasium. „Ein Blick in die Mülltonne” von Selina Ziegler, 6. Kl. Ludwigsgymnasium. „Maschinenbrot” von Clara Zemene, 6. Kl. Ludwigsgymnasium. „Ein Gespräch unter Leidensgenossen” von Marina Quinto, 6. Kl. Ludwigsgymnasium.

Einen Sonderpreis für den Comic „Das Brot der Zukunft ...” erhielt Philipp Herrmann (Klasse 6 b Ludwigsgymnasium). Über Klassen-Teampreise durften sich die 6. Kl. des Ludwigsgymnasiums und die 5. Kl. der Mittelschule an der Walliser Straße freuen, da sie sich besonders engagierten und erfolgreich beteiligten. Der Geschäftsführer der Hofbräuhaus Kunstmühle, Stefan Blum, hat den Siegergruppen eine kostenlose Führung in der Kunstmühle, die mit historischen und modernen Maschinen arbeitet, angeboten.

Die Schreibwerkstatt des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. und von Kinder lesen und schreiben für Kinder e.V. ist Teil des 4. Klimaherbstes gewesen. Dieser wird jährlich von einem Netzwerk mit knapp 60 Initiativen und Vereinen, Bildungseinrichtungen, Stiftungen und einigen Unternehmen veranstaltet. Träger des Münchner Klimaherbstes 2012 ist der oekom Verein, das Referat für Gesundheit und Umwelt ist Mitveranstalter. Geli Schmaus (Bayerischer Rundfunk) moderierte die Preisverleihung. Biologin Dr. Helga Rolletschek hielt den Vortrag „Der gesunden Ernährung auf der Spur: Steht die Ernährungspyramide auf dem Kopf?“ Musikalisch begleitete die Band „The other way“ der Mittelschule an der Peslmüllerstraße unter der Leitung von Martin Kopp die Veranstaltung.

Die prämierten Texte werden zum Teil in der geplanten Klima-Zeitschrift veröffentlicht, die vom Bund Naturschutz in Bayern e.V. und Kinder lesen und schreiben für Kinder e.V. Die beiden besten Texten folgen hier:

Platz 1

„Die Lösung des Welthungerproblems mit Zaunwinden”

Ein Aufruf von Bruno Heinel (6. Klasse, Ludwigsgymnasium)

Sehr geehrte Damen und Herren, dürfte ich Ihnen bitte heute eine kurze Geschichte erzählen.

Hat mich doch schon wieder meine Mutter in den Garten geschickt, mit der Bitte, mal wieder die Zaunwinden auszurupfen. Da erwiderte ich: „Hab ich doch schon letzte Woche gemacht!“ Aber meine Mutter: „Schau doch mal raus an den Zaun, was da schon wieder abgeht…“ Alles half nichts – ich musste tatsächlich in den Garten und machte mich leise fluchend an die Arbeit. Nicht nur, dass die Zaunwinden meterhoch in die Höhe wuchsen, sie verbreiteten sich auch noch horizontal versteckt im Gras und bildeten meterlange Ausläufer. Um sich noch besser zu vermehren, trieben die Winden auch noch alle 20 cm neue Wurzeln, die sich fast nicht herausziehen ließen. Alles in allem: sie waren eine richtige Plage! Keine Chance, den unterirdischen Gangstern den Garaus zu machen!

In diesem Moment kam mir die Idee, wenn diese Zaunwinden genießbar wären, dann könnte man damit das ganze Welthungerproblem lösen. Ich schaute im Internet auf „Witzipedia“ nach und erfuhr, dass die Zaunwinden einen sehr hohen Anteil an Mineralstoffen und Spurenelementen enthielten, sowie Kohlenhydrate, ungesättigte Fettsäuren und jedem Menge an Vitaminen.

Meine Damen und Herren, glauben sie mir, wir stehen vor dem Durchbruch der Lösung des Welthungerproblems! Schauen Sie mal: Diese Pflanze ist sehr leicht anzubauen, sie ist geradezu anspruchslos, sie wächst in allen Klimazonen der Welt, und das Beste ist: durch das vertikale Wachstum der Winde benötigen wir extrem wenig Ackerfläche, um einen riesigen Ertrag zu haben. Mit nur einem Quadratmeter bewirtschaftetem Boden könnten wir hunderte von Menschen ernähren! Stengel, Blätter und Blüten können wir zur Ernährung ernten, die Wurzeln dienen sogar als Heilkraut gegen fast alle bekannten Krankheiten der Menschheit. Die Pflanzen gepresst in mundgerechte Würfel sind gleichwertig einer kompletten Mahlzeit, haben den Vorteil, dass sie vegetarisch und sogar veganisch sind und daher von allen Religionsgruppen angenommen werden können. Um dem anspruchsvollen Gaumen entgegenzukommen, könnten den Würfeln unterschiedliche Geschmacksstoffe beigemischt werden.

Sie kosten nur einen Bruchteil der herkömmlichen Ernährung, was nicht zuletzt an den geringen Energiekosten liegt, weil die Zaunwindenwürfel getrocknet werden und ohne Einsatz von Konservierungsstoffen und Kühlung über lange Zeit gelagert werden können. Im Fall von Kriegen oder Naturkatstrophen würden die Nahrungswürfel in riesiger Anzahl in Lagerhallen oder Bunkern zur Verfügung stehen.

Gleichzeitig hat die Winden-Ernährung den Vorteil, dass sie gesund ist und fast zu 100% vom Körper verwertet wird. Mit der Winden-Nahrung wird die Übergewichtigkeit der Menschen zurückgehen, damit verbunden alle Erkrankungen wie Herzschwäche etc. Zu guter Letzt stellt dies eine Senkung unserer Krankenkassenbeiträge dar.

Sehr geehrte Damen und Herren, dafür, dass ich Ihnen heute die Lösung des Welthungerproblems erklärt habe, darf ich Sie um nur eines bitten: Bitte verschonen Sie mich zukünftig mit Gartenarbeit! Vielen Dank für Ihr Interesse!

Für den Inhalt des Artikels übernehme ich keine Verantwortung – Anm. des Autors.

Platz 2

„Wie wir uns verhalten ...”

Eine Geschichte von Sonia Brauner und Nadine Urner (Klasse 9 d des Maria-Theresia-Gymnasiums)

„Wie wir uns verhalten, hat nichts mit unserem Alter, sondern viel mehr mit dem Verständnis und der Akzeptanz für unser Handeln, zu tun.“

Weiß, alles Weiß. Wie immer lag ich auf dem harten, ungemütlichen Krankenhausbett auf meiner Station. Das Gefühl schrecklicher Einsamkeit und Unsicherheit lag auf meinem Herzen wie ein dunkler Schatten. Ich war gefangen in einer Welt, deren Perfektion ich nicht mehr ertragen konnte. Schmerzlich kamen die Erinnerungen auf, die ich an meine damalige perfekte Vergangenheit hatte. Kann Perfektion sich denn überhaupt unterscheiden? Ja, sie kann. Denn keine Regierung der Welt kann einem eine für alle perfekte Welt liefern. Sie mag perfekt erscheinen, wenn man nur diese eine kennt, doch ich kannte auch noch eine andere. Wie durch einen Schleier kamen mir Bilder meiner Großmutter und unserer gemeinsamen Zeit in den Sinn. Das Reden, das Füreinanderdasein und natürlich das Essen, das richtige Essen: Nudeln, gebratener Fisch oder Eiscream. Und dann nahm ich durch die Tränendecke neben mir mein jetziges Essen wahr: Energiepillen, zubereitet in Tonnen, ohne jegliche Individualität und nur darauf ausgelegt, die Zeit des Kochens und Essens auf ein Minimum zu reduzieren. Ich konnte nicht. Ich konnte sie einfach nicht essen. Die Erinnerungen und der letzte Gedanke an das richtig Nahrhafte ließen sich nicht verdrängen. Es waren noch immer fünf Pillen und das Glas Wasser stand an der gleichen Stelle wie vor zwei Stunden. „Maia, wie geht es uns denn heute?“ Das ewig lächelnde Gesicht von Dr. Saiber erschien in der Tür. Ich wusste jetzt schon, dass Grinsebacke gleich wieder zu einer seiner Moralpredigten ansetzen würde. „Maia, Kind, du hast ja schon wieder nichts gegessen.“ Weiter ging es mit einer Strafrede zur Aufklärung über meine Ernährungsweise und mein chronisches Untergewicht, das, durch meine Weigerung auch nur einen Bissen zu mir zu nehmen, entstanden war. Ich hatte das alles schon zu oft gehört, um überhaupt noch reagieren zu können. „Deine Eltern haben uns zugesagt, weitere Maßnahmen zu ergreifen, wenn wir dir hier nicht helfen können.“ Ein Schock durchfuhr meinen ganzen Körper. Bereits bei dem Wort „Eltern“ war ich zusammengezuckt. Während meinem ganzen Aufenthalt in Grinsebackes Station hatte ich keine Menschenseele bis auf ihn zu Gesicht bekommen. Meine Eltern waren sowieso nie gekommen und unser letztes Treffen war kurz vor meinem Klinikaufenthalt gewesen. Einige Wochen nach dem Tod meiner Oma. „Was haben meine Eltern gesagt?“ Meine Stimme zitterte vor Angst irgendetwas verpassen zu können. Was hatten sie alle mit mir vor? „Maia, keine Sorge, wir wollen alle nur das Beste für dich und deinen Körper!“ „Dann gebt mir doch einfach etwas Richtiges zu essen!“ Stille. Die Worte waren aus meinem Mund gekommen, bevor ich es hätte verhindern können. Niemals hatte ich vorgehabt irgendjemandem von den Treffen meiner Oma und mir zu erzählen. Niemals. Ich hatte die Konsequenzen zu sehr gefürchtet. Für meine Oma. Und mich. Jetzt war es raus. Nur einen Bruchteil sah ich wie Grinsebackes Grinsen erstarb und ein gefährliches Blitzen trat in seine Augen. Doch ich wusste, er konnte meine Worte richtig einordnen. Er hatte verstanden. Er wusste, dass ich gegen das Gesetz verstoßen hatte. Unsere Ernährung bestand nur aus Wasser und diesen „nahrhaften“ Vitaminpillen. Etwas anderes gab es nicht mehr. „Was meinst du mit echtem Essen?“ Seine Stimme wahr gefährlich leise geworden und ein Schauer lief über meinen Rücken. Ich drehte mich weg, um ihm nicht in die Augen schauen zu müssen. „Nichts...“ „So ist das also, unsere kleine Prinzessin hat etwas anderes gegessen und mag unser Essen nicht mehr. Du Arme!“ Wieder Stille. Ich versuchte mich wegzudrehen, doch ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Arm. „Falsche Antwort, Liebes. Ganz falsche Antwort! Ich rate dir, mit mir zu kooperieren, Maia. Also, wer hat dich dazu angestiftet. Wer, Maia, hat dir erlaubt, dich gegen die Regierung aufzulehnen. Wer hat dir den Unsinn eingeredet, es gäbe etwas Sinnvolleres und Gesünderes als unser System?“ „Niemand. Ich dachte nur, dass es vielleicht etwas anderes gibt?“ „Schon wieder falsche Antwort. Du bist doch ein schlaues Mädchen Maia und solltest wissen, dass man sich nicht mit mir anlegt. Niemand tut das!“ Sein Blick war eiskalt und das sonst so auffällig nette Lächeln war verschwunden. Er hatte erfahren, was er von Beginn an wissen wollte. Seit dem ersten Tag hatte er mich mit Fragen gelöchert, wie es sein konnte, dass ich so dünn war. Mein Untergewicht hatte ihn auffallend stark interessiert, selbst für einen Arzt. Ständig wollte er wissen, warum die Pillen mir nicht bekämen. Die ersten Tage hatte ich es geschafft wie nach dem Tod meiner Oma die widerlichen Teile zu entsorgen, doch dadurch nahm ich nur noch mehr ab, denn etwas anderes als Wasser gab es schließlich sonst auch nicht. Aber Grinsebacke hatte Verdacht geschöpft und mich überwachen lassen. Es gab keine andere Möglichkeit außer die Pillen zu essen. Doch nach dem ersten Versuch war klar, dass das keine Option war, denn nicht nur mein Geist rebellierte gegen das Chemiezeug, sondern auch mein Körper. Nun wusste er also endlich die Wahrheit. Wenigstens den Teil, der das „Warum“ erklärte. Jedoch konnte ich meine Oma nicht verraten. Sie war tot, dessen war ich mir bewusst, aber es ging nicht. Jede Faser meines Körpers sträubte sich dagegen Grinsebacke die ganze Geschichte zu erzählen. Was würde er sonst noch mit mir machen? Noch brauchte er mich. Denn die Angst, dass es noch jemanden geben könnte, der gegen die Regierung rebellierte, war größer als die Angst vor mir allein. Doch wenn er erfahren sollte, dass meine Oma tot war… Würde er vor irgendetwas zurückschrecken. „Nun Maia?“ Die raue und unerbittliche Stimme schreckte mich aus meinen Überlegungen. „Niemand, ich dachte nur…“, ich versuchte meiner Stimme Autorität zu verleihen, doch alles, was ich zustande bekam war ein heiseres Flüstern. Er musste meine Angst spüren können. Ein Lächeln, das mich zu Eis erstarren ließ, kam über seine Lippen. „Dann eben anders.“ Es war nur ein Hauchen, doch ich hatte das Gefühl, als ob er mich anschreien würde, so groß war das Unbehagen, das von ihm ausging. Er holte ein Funkgerät aus seiner Tasche. „Ich brauche eine Injektion in Zimmer 13.“ Stille, dann seine Antwort: „Ja, natürlich die starke, welche denn sonst?“ Er legte das Gerät auf den Tisch neben sich und ging zum Fenster. „Maia, Maia. Ich dachte wirklich, dass du ein liebes Mädchen wärst. Aber unter diesen Umständen...“ Sein Lächeln trat wieder auf sein Gesicht und er schien die Kontrolle über sich wieder gefunden zu haben. „Wir wollen doch alle nur das Beste für dich!“ Ich zuckte zusammen, als er mir über den Kopf strich. Dann öffnete sich die Tür und eine Frau trat ein. Sie war genau wie Grinsebacke ganz in weiß gekleidet. Mehr war nicht zu erkennen, denn ihr Gesicht war zu Boden gerichtet, als hätte sie Angst in Grinsebackes Gegenwart etwas falsch zu machen. Er nahm ihr die Schale ab, die sie ihm entgegen reichte. Sekunden danach war sie schon wieder aus dem Zimmer verschwunden und wir waren wieder allein. Ich sah die Spitze der Spritze aufblitzen, als Grinsebacke sie aus der Schale nahm und wollte mich wegdrehen, doch seine Hand hatte meinen Arm bereits fest im Griff. „Du hast es nicht anders gewollt Maia. Es ist nur das Beste.“ Ich wand mich und zuckte, doch der Griff war zu fest. Keinen Millimeter konnte ich mich aus der Umklammerung lösen. Panik kroch in mir auf. Was war das für eine Injektion? Was wollte Grinsebacke mit mir machen? Ich versuchte zu schreien, doch schneller als ich meinen Mund öffnen konnte, hatte er mir die Spritze in den Arm gerammt. Schmerz durchzuckte meinen ganzen Körper und jede Faser schrie auf. „Was, was, was ist …“ Ich merkte, wie mich eine seltsame Müdigkeit übermannte und ich nahm nur noch Grinsebackes Gesicht war, mit dem schrecklich netten Lächeln, dann wurde alles Schwarz vor meinen Augen.

Langsam versuchte ich mich aufzurichten. Irgendwie Klarheit über das zu erlangen, was passiert war, doch das einzige, was ich wahrnahm, waren schreckliche Kopfschmerzen. Wo war ich? Verschwommen nahm ich mein Zimmer war. Ich lag in einem dunklen Raum mit etlichen Instrumenten, die alle auf irgendeine Weise mit meinem Körper verbunden waren. Es gab keine Fenster und die Tür war mit einem elektronischen Schloss gesichert. Wie war ich hierhergekommen? Was war passiert? Ich gab mir alle Mühe, die letzten Geschehnisse zu rekonstruieren, doch es war vergeblich. Da war nichts. Absolut nichts. Das Letzte woran ich mich erinnern konnte war Grinsebackes Gesicht. Er hatte mir Vorwürfe gemacht, dass ich meine Pillen wieder nicht gegessen hatte. Aber warum hatte ich sie nicht zu mir genommen? Warum hatte ich sie nicht essen wollen? Ich lehnte mich zurück. Die Tür öffnete sich und Grinsebackes Gesicht erschien in der Tür. „Maia, wie geht es dir?“ „Was ist passiert? Warum bin ich hier?“ „Aber Maia, du bist doch schon immer hier gewesen.“ „Nein, ich meine warum bin ich nicht mehr in dem weißen Zimmer mit dem Fenster?“ Ich bildete mir ein, ein Zucken um seine Mundwinkel zu sehen, doch als ich nochmal hinschaute war da nichts mehr. „Ach so, das meinst du. Kannst du dich denn gar nicht mehr daran erinnern? Die Verletzung muss dir ziemlich zugesetzt haben.“ „Welche Verletzung?“ „Maia, Kind, du bist vom Bett gefallen, als du versucht hast, aufzustehen, um zum Fenster zu gehen und frische Luft zu schnappen. Du bist auf den Kopf gefallen und hast dir dann auch noch an der Tischkante den Arm aufgeschlagen.“ Er zeigte auf ein Pflaster auf meinen Arm. „Die Gehirnerschütterung muss dir wirklich ziemlich zugesetzt haben. Wir haben dich hierher gebracht, um dich besser überwachen zu können.“ Ich starrte ihn an. An nichts, aber auch gar nichts von diesen Dingen konnte ich mich auch nur im Ansatz erinnern. „Keine Sorge, Maia, du wirst dich bestimmt bald wieder an alles erinnern können.“ Er lächelte mir zu und ging aus dem Zimmer. Ich schloss die Augen. Krampfhaft versuchte ich mich an irgendetwas zu erinnern und die Lücken in meinem Gedächtnis wieder zu füllen, doch es half alles nicht. Die Erinnerungen waren weg. Wieder schloss ich meine Augen. Gerade als ich kurz davor war, wieder ganz einzuschlafen, hörte ich plötzlich gedämpfte Stimmen von außen. „Sie konnte sich immer noch erinnern. Was? Keine Ahnung wie viel sie noch weiß? Mmmh. Ich weiß nicht, vielleicht war die Dosis zu schwach. Sie hätte alles vergessen sollen, jetzt wo wir wissen, warum sie die Pillen nicht genommen hat. Was? Nein, die Geräte haben noch nichts gezeigt, das uns helfen könnte zu erfahren, von wem sie das Essen hatte. Keine Ahnung. Mmh. Ist das kein Risiko, wenn ich sie nochmal frage? Gut, in Ordnung. Und wenn sie es nicht sagen will? Zu …, zu IHNEN? Ja, ja, Herr Gouverneur, ich habe verstanden.“ Ich hörte Schritte, die sich entfernten. Das war ganz eindeutig Grinsebackes Stimme gewesen, aber über wen hatte er gesprochen und mit wem? Irgendjemand vertrug also die Pillen nicht und jetzt wussten sie warum. Wie in Trance griff ich zum Wasserglas und zu einer der Pillen. Kaum berührte sie allerdings meine Zunge, kam in mir das dringende Bedürfnis auf, mich übergeben zu müssen. Einfach ekelhaft waren diese Pillen. Mir stockte der Atem. War ich die Person, von der sie geredet hatten? Konnte das sein? Aber ich war doch hier, weil ich mich verletzt hatte. Was hatte das mit Erinnern zu tun? Mein Kopf drohte zu zerplatzen, doch ich musste weiter überlegen. War ich die Person? Das war der einzige Gedanke, an den ich denken konnte. Mir kam das Zucken um Grinsebackes Mundwinkel in den Sinn. War er verunsichert, weil ich das mit dem Zimmer gewusst hatte? Je länger ich darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien mir das Zucken als Unsicherheit. Aber was hatte er zu verbergen? Wenn ich nicht gestürzt war, warum hatten sie mich dann in das andere Zimmer gebracht? Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Kopf und langsam ließ ich mich auf das Bett zurückfallen. Bevor ich es verhindern konnte, war ich wieder eingeschlafen. Schmerzen durchzuckten meinen Arm. Ich schreckte auf. Im Zimmer war es dunkel wie eh und je. Es gab keine Uhr in meinem Zimmer. War es Abend oder Morgen? Wie lange hatte ich geschlafen? Schmerzlich erinnerte mich mein Arm wieder daran, weshalb ich eigentlich aufgewacht war. Es war nicht der Arm mit dem Pflaster, sondern der andere. Offensichtlich hatte ich mich am Tisch neben mir gestoßen, während ich geschlafen hatte. Im schummrigen Licht hatte ich allerdings noch etwas anderes, wesentlich Ungewöhnlicheres entdeckt. Meinen ganzen Arm zierten Handabdrücke, als hätte man mich gewaltsam festgehalten. Ich schloss die Augen und versuchte mich auf andere Gedanken zu bringen. Während ich überlegte fiel mein Blick auf die Monitore. Wieder zuckte ich zusammen. Die Geräte waren an einen kleinen Monitor angeschlossen, den man fast nur erkennen konnte, wenn man wusste wo er stand. Oder durch zufälliges genaues Hinsehen. So wie ich. Es war nicht mehr als ein Monitor, dennoch beschlich mich ein ungutes Gefühl. Warum brauchten sie extra Monitore, wenn die Geräte doch selbst Messgeräte mit Bildschirmen sein sollten. Langsam stand ich auf, vorsichtig, bedacht darauf bloß keines der Kabel zu zerstören, die an meinem Körper hingen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich den kleinen Monitor erreichte. Mein Finger zitterte, als ich die Play Taste drückte. Mein Atem stockte vor Aufregung und dann vor Verblüffung. Ich sah mich. Mich, wie ich in diesem Zimmer auf dem Bett lag und schlief. Dann wechselte das Bild und ich sah mich auf einer Wiese liegen und lachen. Im Hintergrund stand ein Haus. Das waren meine Träume. Ich schnellte herum. Meine Augen durchsuchten das Zimmer. Hatte mich jemand gesehen? War jemand in dem Zimmer? Plötzlich kam mir ein schrecklicher Gedanke, was wenn diese Geräte nicht nur meine Träume, sondern auch all meine Gedanken aufnehmen konnten? Ich musste irgendetwas tun, ich musste vor allem aufpassen, dass Grinsebacke nicht mitkriegen würde, was ich erfahren hatte. Wie sollte ich das alles machen? Ich wusste ja noch nicht einmal, was genau passiert war. Ich hatte meine richtigen Erinnerungen immer noch nicht. Mein Blick fiel wieder auf den Monitor und ich sah noch immer mich auf der Wiese liegen.

Wie ein Blitz durchzuckte der Gedanke meinen Kopf. Da waren meine Erinnerungen wieder. Ich hatte vom Haus meiner Oma geträumt und von dem guten Essen, der Erklärung, warum ich die Pillen nicht essen konnte. Und Grinsebacke hatte erfahren wollen, warum ich sie nicht vertrug. Ich hatte es ihm nicht gesagt und er hatte mir die Injektion verabreicht, um danach mein Bewusstsein verändern und meine Träume und Gedanken kontrollieren zu können. Doch irgendetwas war schief gelaufen, denn die Injektion hatte nicht richtig gewirkt. Und jetzt hatte er nur noch eine Chance die Wahrheit aus mir zu bekommen. Ich erschauderte. Er würde alles versuchen, um diese zu erlangen, allein schon weil er Angst hatte. Angst vor einer Strafe des Mannes mit dem er telefoniert hatte. Angst vor diesem Gouverneur. Es musste ein Mann von der Regierung sein, denn noch nie hatte ich Grinsebacke ängstlich oder unsicher erlebt, das am Telefon aber war pure Panik gewesen. Panik, die jeder hatte, wenn er befürchtete vor der Regierung einen Fehler zu begehen.

Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich für die Regierung ein Sicherheitsrisiko darstellte. Ich, die nicht nach dem System leben wollte und konnte, genau wie meine Oma. Ich hätte in panische Angst ausbrechen können, doch stattdessen durchströmte mich eine ungewöhnliche Ruhe. Nun wusste ich die Wahrheit. Und ich wusste, dass die Regierung nicht zögern würde, mich zu beseitigen. Dennoch. Meine Familie sollte weiter leben können wie bisher. Auch wenn ich meine Eltern nicht oft gesehen hatte, sondern bei meiner Oma aufgewachsen war, so liebte ich meine Eltern dennoch über alles und ich wusste, dass sie dasselbe für mich empfanden. Unbewusst hatte mein Gehirn schon alle Entscheidungen getroffen, ich musste sie nur noch ausführen. Und jetzt war ich bereit dafür.

Noch nie zuvor habe ich Grinsebacke so wütend gesehen wie heute. Während wir den Gang entlang laufen, schreit er mich an, was mir einfiele alle Monitore und Geräte zu zerstören, und er zerrt an meinem Arm. Doch es ist mir egal. Ich habe die Situation längst akzeptiert, weil ich es so wollte, auch wenn er das nie verstehen wird. Nach schier endlosen Minuten bleiben wir endlich stehen. „Ich hatte dich gewarnt, Maia. Jetzt ist es zu spät. Ich weiß nicht, was mit dir passieren wird, aber es wird schlimmer sein, als das, was du dir ausmalen kannst, da bin ich mir sicher.“ Unsere Augen trafen sich. Sein Blick aus kalten, eisblauen Augen begegnete meinen entschlossenen, dunkelbraunen Augen. Er hat keine Ahnung und er ist der, der einem leidtun muss, weil er gefangen ist in einem System, dass er nicht beeinflussen kann. Aber das versteht er nicht. Nun bin ich an der Reihe überheblich zu lächeln, denn ich bin Herr meines Schicksals. Ich habe verstanden. „Machen sie sich keine Sorgen um mich. Ach, und wegen meiner Eltern. Geben sie ihnen diesen Brief, dann müssen sie sie wenigstens nicht anlügen. Ihr Leben ist auch so schon verlogen genug.“ Ich drücke ihm einen Brief in die Hand.

Liebe Mama, lieber Papa, bestimmt wird euch Dr. Saiber erzählen, dass es mir noch immer nicht besser geht und sie mich deshalb in ein anderes Krankenhaus verlegen, um mich gesund zu pflegen. Macht euch bitte keine Sorgen um mich. Mir geht es gut. Und ich will das alles auch so. Ich werde euch immer lieben, egal, was passieren wird! Eure Maia

Ein letztes Mal sehe ich Grinsebacke in die Augen, dann drehe ich mich, öffne die Tür und gehe hinein. Alles scheint schwarz. Nur schwarz. Schwarz.

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