Veröffentlicht am 27.09.2012 13:46

Offenes Ohr für die Probleme in der Fremde

Gian-Franco Zorzi kam 1961 als Sozialarbeiter nach München. (Foto: US)
Gian-Franco Zorzi kam 1961 als Sozialarbeiter nach München. (Foto: US)
Gian-Franco Zorzi kam 1961 als Sozialarbeiter nach München. (Foto: US)
Gian-Franco Zorzi kam 1961 als Sozialarbeiter nach München. (Foto: US)
Gian-Franco Zorzi kam 1961 als Sozialarbeiter nach München. (Foto: US)

Vor über 50 Jahren schloss die Bundesrepublik die so genannten Anwerbeabkommen mit Italien, der Türkei, Spanien, Griechenland, Marokko, Tunesien, Portugal und dem ehemaligen Jugoslawien. Die Abkommen sollten die Handelsbilanz der Länder im Gleichgewicht halten und zogen eine Menge junger Arbeitswillige nach Deutschland.

Ungefähr vier Millionen Italiener kamen zum Beispiel in den sechziger Jahren, fanden Ausbildung und Arbeit und ließen sich hier oft für immer nieder. Einer, der sich von Anfang eng mit der Gastarbeiterbewegung verbunden fühlte, war der damals 23-jährige Gian-Franco Zorzi aus der norditalienischen Provinz Trentino.

„Betreuer der Italiener“

„Ich kam 1961 im Juni“, erinnert er sich. Seine Ausbildung als Sozialarbeiter und seine Zusatzqualifikation in Richtung Familienberatung war für den Caritas-Verband interessant, um die vielen italienischen Gastarbeiter auch psychologisch in der Fremde zu unterstützen. „Von Anfang war ich der 'Betreuer der Italiener' und mein Hauptarbeitsgebiet war Zuhören.“ Für seine Landsleute sei es schwierig gewesen, im kalten, fremden Deutschland Fuß zu fassen, die Sprache zu lernen und mit dem Heimweh klar zu kommen.

Dabei sei es den „Gastarbeitern des ersten Schwungs“, wie Zorzi es nennt, ganz gut gegangen. „Lohn, Firma, Stellung, Unterkunft – alles war geregelt. Auch die Betreuung durch Dolmetscher und durch uns als Sozialdienst schaffte für die Gastarbeiter Sicherheit.“ Und doch: Die Sehnsucht nach Hause blieb für die meisten ein Prüfstein. „Ein offenes Ohr für ihre Probleme hat ihnen schon sehr geholfen.“

Jede Gastarbeiterwelle mit eigenen Problemen

Wer freiwillig im ersten Schwung gekommen war, dem sei es stets gut gegangen, resümiert Zorzi. „Ab 1972 wurde allerdings der Anwerbestopp durchgesetzt. Wer danach kam, blieb immer in der zweiten Reihe und spürte die Hierarchie unter den Gastarbeitern deutlich“, meint er. „Für uns Sozialarbeiter hieß das, wir mussten uns auch im Zuhören ändern.“

Während die erste Gastarbeiterwelle mit dem Fremdsein zu kämpfen hatte, überwiegten ab 1972 die Probleme zwischen den Gastarbeitern und Ehe- und Familienberatungen hätten zugenommen, so Zorzi. Einen Feierabend im klassischen Sinn, wie sein Klientel, habe er niemals gehabt. „Das Telefon hat eigentlich immer geklingelt.“

Hilfe als Lebensaufgabe

Zorzi selbst hat sein Glück in München gefunden, ist stolzer Vater von zwei erfolgreichen, erwachsenen Kindern und verdankt seiner deutschen Frau ein Leben lang viel Rückhalt bei seiner aufreibenden Tätigkeit. „Irgendwann war aber Schluss, ich konnte nicht immer nur für andere da sein“, sagt er lachend. Dabei ist er vom Helfen und Beraten nicht endgültig losgekommen. Noch als Pensionär gründete er die Nachbarschaftshilfe im Brucker Land mit und leitet den italienischen Gesprächskreis im ASZ Pasing.

„Ein Satz von Max Frisch hat mich mein Leben lang nicht losgelassen. Der sagte: „Wir haben Arbeitskräfte geholt und Menschen sind gekommen.“ Meine Aufgabe war es, diesen Menschen Stütze zu sein.“ Sein Fazit? „Es ist eine weise Entscheidung, wenn man für ein Land mit Haut und Haar einsteht und sich identifiziert. Ansonsten bleibt die Nostalgie und man kommt möglicherweise nie richtig an.“

north