Veröffentlicht am 15.05.2012 13:51

LH „Letzte Hoffnung” genannt, Flakhelfer in Untermenzing

Bild 3 (Foto: pi)
Bild 3 (Foto: pi)
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Bild 3 (Foto: pi)
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Als Flak bezeichnete man im Zweiten Weltkrieg eine Flugabwehrkanone. In der Flugabwehr waren zunächst nur Soldaten im Einsatz, die man in den letzten Kriegsjahren aber mehr im Fronteinsatz benötigte und deshalb in den verschiedensten Bereichen Flakhelfer beschäftigte.

Auf Seite 22 unserer neu erschienenen Stadtteilbroschüre „KulturGeschichtsPfad Allach-Untermenzing” (im Internet unter www.muenchen.de/kgp) ist zu lesen: „Zur Abwehr von Luftangriffen waren auf der so genannten Flakwiese (in Untermenzing, W.D.) zwischen der heutigen Von-Kahr-Straße und der Allacher Straße – drei Flakbatterien stationiert – einer der dort eingesetzten Flakhelfer war der damals 16-jährige Joseph Ratzinger, der spätere Kardinal und Papst, Benedikt XVI.” (Bild 1). Eine Aussage, die bis heute in unserem Stadtteil erzählt wird, historisch bisher aber weder durch Zeitzeugen noch schriftlich belegt war.

Auf meiner Suche nach einem seriösen Beleg teilte mir die Bischöfliche Presse- und Medienabteilung des Bistums Regensburg mit, dass in einer Biografie aus dem Jahr 2011 zum 60. Priesterjubiläum des Papstes auf Seite 15/16 steht: „Nach dem Einsatz seiner gesamten Klasse als Flak-Helfer in München wurde Joseph Ratzinger im September zum Reichsarbeitsdienst eingezogen.” Über eine Nachfrage in Regensburg beim Bruder des Papstes, Prof. Dr. Georg Ratzinger, kam ich der Wahrheit noch ein Stück näher, weil er mir u.a. schrieb: „Mein Bruder, der Hl. Vater Papst Benedikt XVI., war während des Krieges tatsächlich an dem von Ihnen beschriebenen Ort (nämlich Untermenzing, W.D.) als Flakhelfer eingesetzt.” 1943 wurde er zusammen mit anderen Seminaristen Flakhelfer in München, kam 1944 zum Reichsarbeitsdienst und 1945 kurzfristig in amerikanische Gefangenschaft in Bad Aibling, wo ihn Günter Grass gesehen haben will.

Wenn wir uns mit den Flakhelfern näher befassen, dann erfahren wir, dass der erste Einzugstermin der 17. Februar 1943 war und die Jahrgänge 26/27, also die damals 16-17-Jährigen betroffen waren. Im Dezember des Jahres standen schon 68.522 Schüler zur Verfügung, ab Januar 1944 wurden dann die Schüler des Geburtsjahrganges 1928 hinzugezogen und schließlich im Sommer auch die Schüler der Berufs- und Handelsschulen. Die Luftwaffenhelfer aus den Gymnasien und Oberrealschulen bekamen auch Unterricht. Vorgesehen waren 18 Stunden die Woche, die sich folgendermaßen zusammensetzten: 3 Stdn. Deutsch, 3 Stdn. Latein, 3 Stdn. Geschichte, 3 Stdn. Mathematik und jeweils 2 Stdn. Physik, Chemie und Erdkunde. Anfang 1943 hatten die Schüler noch regelmäßig Unterricht, jedoch wurden sie immer häufiger versetzt und immer mehr Unterricht entfiel. Ab 1944 hatten sie kaum noch Unterricht, da sie zunehmend die regulären Aufgaben der Soldaten übernehmen mussten. Der Einsatz der Flakhelfer erstreckte sich auf leichtere, mittlere und schwere Waffen, auf Scheinwerfer, Kommandogeräte, Funkmessgeräte (Radar) und Flakumwertegeräte.

Ein mir benachbarter Untermenzinger (Jg. 1926) – heute wohnhaft in Obermenzing – war Flakhelfer zur gleichen Zeit wie der jetzige Papst Benedikt XVI., an dessen Namen Ratzinger er sich aber nicht erinnert. Er selbst ging damals in die 7. Klasse der Rupprecht Oberrealschule in Neuhausen und wurde zusammen mit ca. 100 Schülern seiner Schule in der damaligen Volkschule an der Adolf-Hitler-Str. 18 (frühere Haupt- und jetzige Eversbuschstraße) in Untermenzing im Erdgeschoß einquartiert. Die Schüler belegten im Erdgeschoß die zwei östlichen Schulräume und lebten auf engstem Raum in Stockbetten und auf Strohsäcken. Rudolph (1997 auf S.139) berichtet, dass bereits von September 1939 bis Mai 1940 vier Schulräume von der Flugabwehr – in diesen Jahren sicher noch von regulären Soldaten – belegt waren. Die 16- und 17-Jährigen wurden sofort von den Soldaten der Flugabwehr, an deren Hauptquartier in Untermenzing er sich als die „100-Mann-Baracke” an der alten Menzinger Straße erinnert, an den Geschützen und technischen Geräten unterrichtet, sodass bereits am 9./10. März 1943 beim ersten großen Fliegerangriff der Engländer auf München, an den eingesetzten 8,8-cm-Flaks „mitgeschossen” werden konnte. Die bei den Fliegerangriffen abgeworfenen Brandbomben mussten von den Schülern gesammelt und auf einen Haufen geworfen werden. Manchmal explodierten auch Bomben durch fahrlässige Handhabung und verletzten Schüler. Viele dieser Bomben landeten nach dem Krieg in den aufgelassenen Kiesgruben der Umgebung.

Gut erinnert sich mein Gewährsmann, dass nach einigen Monaten die Schüler der Rupprecht Oberrealschule nach Lochhausen umquartiert wurden, wo sich eine schwere Flakbatterie und ein Leitstand mit Fernrohren östlich des Bahnhofes befanden. Unterrichtet wurden die Schüler am Vormittag von noch nicht an die Front geholten oder bereits pensionierten Lehrern ihrer Schule, die täglich aus der Stadt kamen, in der sicher vielen auch heute noch bekannten „Deutschen Eiche”. Für die Schüler war der Flakbetrieb eine zwar abenteuerliche, aber nicht immer angenehme Unterbrechung der Schulzeit. Mein Nachbar wurde dann im Juli 1944 zur Luftwaffe in Sachsen eingezogen, kam zur Fliegerausbildung wieder zurück nach Fürstenfeldbruck, wurde dann als Fallschirmjäger ausgebildet und kam nach Italien an die Front, wo er in amerikanische Gefangenschaft geriet, aber schon bald auf einem LKW nach München transportiert wurde und sofort heim zu seinen Eltern in die Borstei gehen konnte. Auch er gehörte zum Aufgebot LH „Letzte Hoffnung”, dem man wertvolle Jugendjahre gestohlen hat.

Nicht nur die Jugendjahre wurden ihnen gestohlen, sondern auch das Leben konnten sie verlieren, wie das Bild zeigt, auf dessen Tafel zu lesen ist: „Hier starben am 11. Mai 1944 für ihre Heimatstadt Saarbrücken im jugendlichen Alter von 15-17 die Flakhelfer”: Nun folgen die Namen von 16 jungen Männern, die sicher nicht freiwillig dem Ruf des Regimes zur Verteidigung des Vaterlandes gefolgt waren (Bild 2) und vermutlich mehr Angst als Heimatliebe hatten.

Wo befand sich aber die in unserer Stadtteilbroschüre etwas ungenau verortete Flaksiedlung? Wenn man das Urkataster betrachtet, liegt das Siedlungsgelände in etwa auf dem Gebiet des dort Kreut Feld genannten Bereiches von Untermenzing. Rudolph schreibt 1997 (S. 94), dass die Flaksiedlung vor rund 40 Jahren auf einem Areal gelegen sei, „das in alten Flurkarten als eine mit Gehölzen locker bewachsene Wiesenfläche im nordwestlichen Teil der Menzinger Hart auszumachen ist.” Von der deutschen Wehrmacht als Flakgelände genutzt wurden die damals noch freien Flächen von 1940 bis Kriegsende.

Da bisher leider keine Fotos weder von der militärischen noch der friedlichen Nutzung des Geländes aufzutreiben waren, soll im Bild 3 der Grundriß einer Flakbatterie-Anlage gezeigt werden, wie sie ähnlich in Untermenzing angelegt hätte sein können.

Die Geschütze wurden nach verschiedenen Beschreibungen fest auf einer Betonbettung installiert und hatten einen Schwenkbereich von 360°. Um gegen Bombensplitter, Granatsplitter, abgeworfene Brandbomben oder gegen direkten Beschuss geschützt zu sein, waren die Geschütze meistens mit einer Panzerkuppel gesichert. Diese Beschreibung konnte mir mein Gewährsmann allerdings nicht mehr bestätigen. Innerhalb der Bettung befanden sich mehrere kleine Munitionsbunker, aus denen die Besatzung die bereitgestellte Munition entnehmen konnte. Die eigentlichen Munitionsbunker befanden sich aus Sicherheitsgründen in größerer Entfernung. Auch hierfür gibt es für unsere Flakwiese keine Bestätigungen. Im Verlaufe der Kriegsjahre kamen immer mehr Kriegsgefangene ins Reich, die sehr oft bei den Flakbatterien als Munitionsträger eingesetzt wurden.

Des Weiteren wissen Zeitzeugen zu berichten, sie hätten auf der Flakwiese nach dem Krieg bis in die 50er Jahre Schafe weiden sehen und wären selbst als abenteuerlustige Knaben durch die hinterlassenen Gruben gerannt oder hätten dort „Räuber und Schandi” gespielt.

Nach alten Stadtplänen muss dies im Geviert damalige Menzinger- und heutige Von-Kahr-Straße im Süden, Allacher Straße im Norden und Bahnlinie im Osten, Willi-Wien-Straße im Westen gewesen sein. Das Gelände wurde 1955, wie Rudolph berichtet, von der Grundstücksverwertungsgesellschaft „Bauland GmbH” gekauft und im folgenden Jahr erschlossen. Auf diesem Gelände wurde ab 1957 eine Siedlung nach Plänen des Architekten, Schulleiters und Karikaturisten Ernst Maria Lang errichtet, der mir auf meine telefonische Nachfrage hin leider mitteilen mußte, dass er keinerlei Unterlagen zu diesem Projekt aufbewahrt habe. Ein heutiger Hausbesitzer in der Bertholsheimstr. berichtete, dass sein Vater als vierter Grundstückskäufer das jetzige Haus Nr. 16, nach den Plänen des Sohnes, der allerdings Elektrotechnik studierte, in Absprache mit Ernst Maria Lang, der für das Gelände auch die Oberbauleitung hatte, anfertigen ließ und baute. Im Garten dieses Hauses waren bei Bauarbeiten in etwa 2m Tiefe noch Betonfundamente zu finden, die sicher zur ehemaligen Flakanlage gehörten. Teile liegen noch heute als „ungehobene Schätze” unter der Erde.

Die meisten Häuser dieses Gevierts sind heute aufgestockt oder umgebaut, fast jährlich wird eins abgerissen und neu gebaut. Leider kann man das heutige Gesicht unserer „Flaksiedlung” nicht mit dem alten vergleichen, weil Bilder aus den ersten Jahren noch nicht aufgespürt werden konnten. Gesucht!!!

north