Veröffentlicht am 21.07.2010 09:34

Mit unermüdlichem Fleiß bergauf

Als die Geschichte einiger Titel und Ausgaben der Münchner Wochenanzeiger beginnt, ist A. J. Bergmaier gerade mal den Windeln entwachsen und noch ganz weit weg vom Verlagsgeschäft und seiner späteren Rolle als »Sitting Bull« der Münchner Wochenanzeiger. Geronimo war damals noch nicht einmal geboren. Der Münchner Anzeigenblatt-Markt ist noch wildes Indianerland, viele, richtiggehend verfeindete Verlage, allesamt in Besitz kleinerer Druckereien, allesamt in Familienbesitz, konkurrieren mehr oder minder feindselig, ­existieren in einer Welt voller ganz anderer Herausforderungen als heute. Da ging es noch um Papierzuweisung durch die alliierte Militärbehörde sowie technische Schwierigkeiten. Einer der blauen Titel, der Westend-Anzeiger, war schon nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, aus Pfarrmitteilungen, wie so viele bayerische Anzeigenblätter auch.

Bescheidene Anfänge

Da war der Drucker dieser Pfarrnachrichten im Kirchengemeinderat – und eine tüchtige Druckereibesitzersgattin forderte von ihrem Mann eines Abends, die anderen Gemeinderatsmitglieder sollten sich gefälligst auch an den Kosten dieser kleinen monatlichen Publikation beteiligen. Wie denn – indem sie mit ihren kleinen Geschäften Inserate in den jeweils aktuellen Ausgaben schalteten – ein erfolgreiches Modell, was bald eine wöchentliche Erscheinung zur Folge hatte – mit immer weniger Pfarrnachrichten. Ein anderer Titel der Münchner Wochenanzeiger wurde in seinen Gründungsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus »Papier-Sparsamkeitsgründen« zunächst in den ungeraden Wochen nur an die ungeraden Hausnummern verteilt und in den ge­raden Wochen an die geraden Hausnummern–Beilagen gab es noch keine, redaktionelle Inhalte ebenfalls nicht. Anzeigenblätter werden wegen der Anzeigen gelesen! »Da war Zug auf dem Medium – die Ausgaben wurden aus dem Briefkasten gestohlen«, kommentiert einer der »Alten« diese Zeit. Und das Kundenklientel, der sog. kleine örtliche Einzelhandel war noch nicht von den Tageszeitungen entdeckt worden – da gab es ja noch große Vertriebs- und Abo-Erlöse.

A. J. Bergmaier kam im Münchner Norden zur Welt, damals ganz weit draußen, Lustheim, quasi die Unterstadt von Oberschleißheim. Der heutige Vorort Münchens war damals noch so weit außerhalb, dass der Vater nach dem Krieg als Maschinenschlosser mit dem Rad eine weite Anfahrt »rein zu Meiller Kipper« auf sich nahm, jeden Tag und bei jedem Wetter. Das einzige Auto des Orts, einen Pappendeckel-Lloyd, hörte man schon von weitem, und auch nur am Morgen und am Abend – den Rest des Tages drohte seitens des Straßenverkehrs den Kindern keine Gefahr. Die Kinder waren mit dem Großvater mit dem Holzsammelschein im Wald unterwegs und die Mutigen von ihnen »organisierten Ami-Ware«, indem sie heiße Patronenhülsen der dort stationierten Amerikaner sammelten, wenn diese ihre Schießübungen abhielten. Da gab’s noch richtige Omas, der Opa war vom Krieg noch nicht zurückgekehrt (und wurde bei seiner Rückkehr zunächst mit der Auskunft »Wir ham selber nix« begrüßt, weil ihn seine Leute einfach nicht mehr erkannt haben), Omas, die noch Gerichte wie Euter oder Kutteln zubereiten konnten, die zwar satt machten, aber nicht besonders schmeckten.

Ausbildung

Die Schule war noch Nebensache, die ABC-Schützen kamen von ihrem ersten Tag dort nach Hause und erklärten der stolzen Mutter: Du Mama, die anderen sagen alle, wir müssten da morgen noch mal hin. Das nächste Gymnasium war in Freising, eine halbe Tagesreise – einfach – von Lustheim entfernt; und so blieb der Bub in der Volksschule Schleißheim.

Die Berufswahl fiel damals noch deutlich leichter – es gab keine 500 Möglichkeiten zur Auswahl, kein BIZ, aber den dringenden Wunsch, später einmal in einem weißen »Schaber« ohne Ölflecken tätig sein zu wollen. Auf jeden Fall kein blaues oder graues Arbeitsgewand. Technischer Zeichner oder Setzer kamen da für A. J. B. nur in Frage. Zusammen mit dem Vater beim ersten Vorstellungsgespräch mit der Aufforderung konfrontiert, beim zweiten Besuch doch seine schulische Arbeitsmappe vorzulegen, löste der damals schon fantasievolle Improvisierer diese Aufgabe auf schnellstem Wege: Alle irgendwie im Laufe der Schulzeit entstandenen Arbeits­­blätter, egal welches Fach, in eine Mappe, um einfach eine haptische Illusion zu vermitteln–und bekam die Lehrstelle bei dem seinerzeit in München sehr renommierten Betrieb Carl GERBER Graphische Betriebe. Am 21. August 1961 ging’s als Schriftsetzerlehrling los. Begabung und Fleiß, verbunden mit der Angst vor dem berüchtigten blauen Brief, der ab und an am Freitag ver­­­teilt wurde, ließen ihn die Lehrjahre be­stehen–trotz mancher Schwierigkeiten; Lehrlinge waren damals angewiesen, zur Mittagszeit den Gesellen das in Henkelmännern mitgebrachte Mittagessen nach oben zu bringen. Als ihm einmal das Missgeschick passierte, auf der Treppe zu stolpern und die mehrlagigen Topfarrangements auf die Treppe knallten und sich deren Inhalt auf die Treppe ergoss, wurde das Mittagessen einfach wieder zurückgefüllt. Am Wochenende baute der junge Mann, todmüde um 5 Uhr bereits vom Vater geweckt, mit ihm und anderen Familienmitgliedern zusammen das elterliche Haus. Werkzeug herrichten, weil um 7 Uhr der noch immer etwas vom Vorabend alkoholgeschwängerte Maurer kam. Das Haus steht heute noch. Zu diesem Zeitpunkt war der Weg in eine mögliche Selbstständigkeit noch ganz weit weg. Eine klassische Gautsch-Zeremonie besiegelte zunächst das Ende dieser Lehrjahre. Wie so oft führte ein gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem zwischenzeitlich neuen Arbeitgeber, er war längst zum Abteilungsleiter der neuen, modernen Fotosatz-Abteilung aufgestiegen, eben dann doch in die Selbstständigkeit. Frisch verheiratet wagte er diesen Schritt, entgegen dem Rat seiner besorgten Eltern, Verwandten und Freunde. Seine Frau bestärkte ihn jedoch mit den Worten: »Du hast ein Paar schwarze Schuhe, und ich eine Nähmaschine, was sollen sie uns schon nehmen, wenn’s schief geht.« Zusammen mit ihr und zwei Angestellten war dies der Beginn eines Satzstudios in München. Und 21 bzw. 22 Jahre alt bauen sie in bester Familientradition ihr erstes Haus.

Vom Schriftsetzer zum Verleger

Mit klassischem Lohnsatz, unter anderem für den Schweizer Ringierverlag, mit dem er die ersten Sielmann-Bildbände in der Druckvorstufe herstellt, etabliert er seinen Betrieb (»die ersten Weihnachtsfeiern fanden zu viert todmüde in der heute noch existierenden Gaststätte »Kreuzhof« statt) im Großraum München; sein akquisitorisches Talent lässt ihn eines Tages auch ein alteingesessenes Münchner Anzeigenblatt, inzwischen hatte die Familie Nachwuchs bekommen, den Bogenhausener und den Haidhausener Anzeiger als Satzkunden gewinnen.

Nach wenigen Jahren steigt er dort als Gesellschafter ein – er hatte zwischenzeitlich erkannt, dass auf dem Verlagssektor und nicht auf der reinen Zulieferungsdienstleistung die Zukunft liegt. Wieder überzeugt er seine noch zögernde Frau vom Sinn dieser Investition. Die beiden machen einen Spaziergang durch die Prinzregentenstraße, zählen die dort ansässigen Geschäfte, kalkulieren mit 2-spaltig/50 mm-Anzeigen, Anzeigenformaten in Visitenkartengröße, er rechnet die Bruttopreise hoch, und stellt fest: »Das geht sich aus.«

Die Kraft der jungen Jahre und der vielleicht daraus resultierende Mut zur Unvernunft ließen diese Rechnung aufgehen. In den berühmten Sauna-Gesprächen mit Kollegen eignet sich A. J. Bergmaier verlegerisches Know-how an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich bereits auf Initiative von Kurt Kaiser, Verleger des Sendlinger Anzeigers, die sog. Gruppe Münchner Wochenanzeiger gebildet. Der Süddeutsche Verlag hatte zwischenzeitlich das Thema »Anzeigenblätter« entdeckt und versuchte seinerseits, Indianerland zu ­erobern. Hatte bereits einen der etablierten Münchner Anzeigenblatt-Verlage, den Schwabinger Anzeiger gekauft, und die verbleibenden ­unter gehörigen Druck gesetzt: Entweder ihr ­verkauft, oder ihr überlebt nicht!

»Blaue Gruppe«

Die Weigerung der restlichen Häuptlinge, sich diesem Diktat zu beugen, führte mittelfristig zur Gründung der Gruppe Münchner Wochenanzeiger. Dort als neuer Verleger, wie A. J. B. durch den Einstieg in den Haidhausener Anzeiger eben einer war, aufgenommen zu werden, gestaltete sich gar nicht so einfach für ihn: Mit dem Schritt nach vorne, er übernehme selbstverständlich die Verpflichtungen seines Vorgängers den Gruppenmitgliedsverlagen gegenüber, war aber schnell das Eis gebrochen. Der damalige Verleger des Südost-Kuriers, Willy Schmid, tat daraufhin folgenden, noch heute oft zitierten Ausspruch: »Jetzt müssen wir dem neuen Kollegen aber auch mal sagen, dass es auch Rabatt gibt für Kunden, denen wir eine ganze Seite verkaufen wollen.« (siehe den besagten Spaziergang in der Prinzregentenstraße).

Die nächste Generation kommt

A. J. Bergmaier etablierte sich innerhalb der damals noch neun Verlage umfassenden Gruppe Münchner Wochenanzeiger rasch als ein dynamischer Vermarktungsexperte; als einer der ersten löste er den damals noch bestehenden Wettbewerbsvorteil des Mitbewerbers »Münchner Wochenblatt«: »one order – one bill« dahingehend auf, als man zunächst eine gemeinsame Anlaufstelle für sog. Großkunden einrichtete. Auf seinen Reisen, um außerhalb Münchens passende Großkunden für die »Blaue Gruppe« zu gewinnen, war ihm der junge Michael (Geronimo) Simon stets auf den Fersen. Dieser sportliche Wettbewerb war eine wichtige Triebfeder zum heutigen Erfolg der Münchner Wochenanzeiger.

Als einer der ersten in der Branche überhaupt, entdeckte A. J. Bergmaier die Postleitzahl, mit seinen berühmten Astralon-Darstellungen (Pläne auf Klarsichtfolie) neue Belegungseinheiten für Beilagen-Konzepte. Etwa zu diesem Zeitpunkt hatte sein Sohn bei der MTU München eine Lehre abgeschlossen, seinen Militärdienst abgeleistet, und während dieser Zeit erste innovative Ansätze eines modernen Vertriebsprogramms auf EDV-Basis entwickelt. Später sollte daraus eine komplette EDV-Lösung des zwischenzeitlich um weitere Titel angewachsenen Verlags werden.

Die Münchener Nord-Rundschau hatte Familie Bergmaier von Familie Forst übernommen, einem der Gründerväter der Gruppe Münchner Wochenanzeiger. Dieser hatte keine Nachkommen und er wollte sein Lebenswerk in die nächste, und quasi auch gleich übernächste Generation übergeben. Der Moosacher Anzeiger, die Schwabinger Seiten, das Münchner Zentrum, der Südost-Kurier und die Harlachinger Rundschau komplettieren inzwischen das Verlags-Portfolio.

Auf dringenden Wunsch seines Kollegen Michael (Geronimo) Simon wurde der sog. »zweite Erscheinungstermin«, das Münchner SamstagsBlatt, auch als Folge der kundenseitigen Anforderung, einen zweiten Werbeanstoß im Großraum München zu ermöglichen, zusammen mit dem ­Werbe-Spiegel-Verlag und dem Münchner Wochenblatt aufs Gleis gesetzt. Unterdessen brachten Herbert Bergmaier, Werner Dangl (Werbe-Spiegel-Verlag) und Peter Kaiser (Sendlinger Anzeiger) – jeweils die sog. »jüngere Generation« – jede Menge weitere Fachzeitschriften auf den Weg. Darüber hinaus entwickelten sie geniale EDV-Lösungen und Geo-Marketing-Tools, die von großen nationalen Handelsunternehmen und Medienagenturen eingesetzt werden. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Es ist Männern und Unternehmern wie A. J. Bergmaier zu verdanken, dass aus vormals kleinen, immer nur wenige Mitarbeiter umfassenden Verlagsbetrieben, heute bestens aufgestellte Verlagseinheiten im Großraum München entstanden sind, die mehr als 350 Arbeitsplätze bieten, über eine Zustell-Organisation von mehr als 3.000 Zustellern verfügen – einem Mann, der sein Handwerk von der berühmten Pike auf gelernt hat; und sich seiner unternehmerischen Verantwortung bis heute voll bewusst ist; abseits von »aktiengetriebenen« Investorengruppen. Und der, nebenbei bemerkt, auch noch im Präsidium des BVDA sitzt, als Repräsentant besagter mittelständischer Verlagsbetriebe.

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