Gut dreißig Jahre seiner Freizeit hat Georg Stein seinem Hobby, dem Modellkutschenbau, gewidmet. Einen Großteil seiner Sammlung, 29 Kutschenmodelle samt Pferden und Geschirr, vermachte er unlängst dem Heimatmuseum Karlsfeld. In einer Sonderausstellung unter dem Titel „Mobilität Anno Dazumal - Historische Kutschenmodelle von Georg Stein” sind sie derzeit in den Museumsräumen ausgestellt. Begonnen hatte alles mit einem Ungarischen Wagen, der ihn an seine Kindheit erinnerte. Georg Stein maß sämtliche Größen des Wagens ab, zeichnete einen maßstabsgetreuen Plan von der Kutsche und machte sich ans Werk, die Planwagen ähnliche Kutsche nachzubauen. In akribischer Kleinarbeit fertigte er neben der eigentlichen Kutsche auch die Wagenräder aus Holz und Metall, das Geschirr setzte er aus Leder zusammen, schnitzte die Pferde und die Deichsel, bespannte den Wagen mit Stoff usw. „Allein schon für die Zeichnung brauchte ich sehr lange“, erklärte der gelernte Kunstschlosser, der vom technischen Zeichnen nur wenig verstand.
Schon bevor die erste Kutsche fertig war, hatte Georg Stein das Modellbau-Fieber gepackt. Während die Speichen der Räder trockneten, begann er schon mit dem nächsten Werkstück und so gab eins das andere. Immer neue Kutschen, die teils aus Museen, teils von Fotos, teils vom Original nachgebildet wurden, entstanden. Alle Kutschen sind funktionsgerecht aus Hunderten Bestandteilen und Ersatzteilen zusammengesetzt, bis hin zu den Beschlägen, Federungen, Speichen, Achsen und dem Zaumzeug aller Zugtiere. Die aufwändigste Kutsche ist ebenfalls in Karlsfeld zu sehen: Ungefähr zweitausend Stunden verbrachte Stein nach eigenen Angaben mit der Nachbildung eines blumengeschmückten und mit Bierfässern beladenen Brauereiwagens aus dem Jahre 1900. Allein für das messingbeschlagene Geschirr der sechsspännigen Kutsche benötigte er ein dreiviertel Jahr, alle Pferde sind mit Rosshaar versehen und mit „echten“ Hufeisen beschlagen.
Weitere Prunkstücke und Georg Steins Lieblingsstücke sind der gleich im Eingangsbereich des Museums ausgestellte Zeremonienwagen von 1848 und ein Krönungswagen von 1818 . Unter Dampf wurden die geschwungenen Seitenteile der Karosse gebogen, bevor die edlen Wagen mit Samt und Bordüre ausgekleidet und mit Gold verziert werden konnten. Neben diesen besonders edlen Kutschen sind aber auch viele „einfache“ Fahrzeuge zu bestaunen, deren Herstellung nicht minder aufwändig war: Ein bayerischer Kammerwagen mit rund fünfzig Aussteuerstücken beispielsweise, ein Pferdeschlitten, ein römischer Kampfwagen, verschiedene Bauernwagen, ein Odelwagen, ein Leichenwagen und verschiedene Postwagen sind auch darunter.
Nicht nur die Kutschen sind sehr verschieden, auch die Zugtiere unterscheiden sich je nach Kutschenart: Während derbe Kaltblüter den schweren Brauereiwagen ziehen, sind vor den Jagdwagen edle Vollblüter gespannt und der Bauernwagen wird von Ochsen gezogen. Alle Pferde und Ochsen stammen übrigens ebenfalls von Georg Stein. Er fertigte jeweils ein Muster von Hand und gab dies dann an Firmen weiter, die nach seinem Original weitere Zugtiere gefräst haben.
Der heute 85-jährige Modellbau-Künstler weiß zu jedem seiner Werke eine Geschichte und kann, obwohl er nicht mehr gut sieht, jede Einzelheit seiner Modelle erklären. Nachdem er nicht weiß, was ihn in seinem hohen Alter noch erwartet, wollte er sichergehen, dass seine Sammlung gut aufgehoben ist und schenkte sie dem Karlsfelder Heimatmuseum. Im Schenkungsvertrag festgehalten ist natürlich, dass er und seine Familienmitglieder das Museum während der allgemeinen Öffnungszeiten kostenfrei besuchen dürfen. Und dass die Kutschen nicht veräußert werden dürfen, sondern im Fall der Fälle ausschließlich kostenfrei an ein anderes Museum weitergegeben werden dürfen. Denn Georg Stein wollte sichergehen, dass sein Lebenswerk auch der Nachwelt erhalten bleibt.
Das Karlsfelder Heimatmuseum (Münchner Str. 187) ist jeden Sonntag von 14 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt beträgt 1,50 Euro für Erwachsene und 50 Cent für Kinder.