Stinkende Doppelmoral in München

Münchens Umweltschützer können – zumindest ein wenig – aufatmen: Die Stadt errichtet im kommenden Jahr eine so genannte Umweltzone; nur mehr schadstoffarme Autos werden dann in die Innenstadt fahren dürfen. Collage: clash

Münchens Umweltschützer können – zumindest ein wenig – aufatmen: Die Stadt errichtet im kommenden Jahr eine so genannte Umweltzone; nur mehr schadstoffarme Autos werden dann in die Innenstadt fahren dürfen. Collage: clash

Schildbürgerstreich beim krebserregenden Feinstaub: München sperrt Brummis aus – und lotst tausende Busse in die Innenstadt. Eigentlich ist alles klar: Vor wenigen Tagen hat das Bundesverwaltungsgericht die Stadt München dazu verdonnert, wirksam gegen gesundheitsschädlichen Feinstaub vorzugehen. Vor allem Dieselautos und Diesellaster verbreiten den Staub, der möglicherweise krebserregend ist.

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Die Stadt aber handelt ganz anders: Zwar gilt ab 1. Januar ein Verbot für Brummis, die auf der Durchreise sind – und ab Herbst 2008 soll eine „Umweltzone“ auch ältere Privatautos aus der Stadt verbannen, die zu sehr stinken und stauben. Doch gleichzeitig werden anderen Stinkern die Tore geöffnet: 30.000 Busse sollen ab Anfang 2009 jährlich mitten in die Stadt fahren.

An der Hackerbrücke entsteht ein riesiger Terminal (eine „erstklassige Visitenkarte“, so OB Ude) für Busse. Und die fahren bekanntlich mit Diesel, das die Umwelt mit Feinstaub belastet. Mit der Umweltzonen-Regelung ist München später dran als Städte wie Berlin und Köln – durch das neue Busterminal wird jedoch die gesamte Verordnung zum Schildbürgerstreich.

Eine Stadt mit vielen Bäumen und wenigen Autos, mit frischer Luft wie in den nahen Alpen: So wird es in München in absehbarer Zukunft erst mal nicht aussehen. Immerhin eine Maßnahme, die besseres Durchatmen ermöglicht, wird aber endlich umgesetzt: Das Transit-Verbot für Lastwagen kommt spätestens zum 1. Januar. Nachdem der CSU-geführte Freistaat drei Jahre darüber nachgedacht hatte, konnte die rot-grüne Stadtratsmehrheit ein entsprechendes Verbot Ende September beschließen.

Einen Alleingang in dieser Angelegenheit hatte die Stadt nicht gewagt – eine solche Entscheidung sei ohne Unterstützung des Freistaats nicht durchsetzbar. „Kaum vergehen drei Jahre, darf München endlich den Transit-LKW-Verkehr aussperren“, kommentierte Sven Thanheiser, umweltpolitischer Sprecher der Rathaus-SPD, mit Blick auf die zögerliche Landesregierung. Das LKW-Verbot wird etwa an der feinstaub-„verseuchten“ Landshuter Allee dafür sorgen, dass die Grenzwerte öfter eingehalten werden. Ein Plus an relativ sauberer Luft von acht bis 15 Tagen erwarten Experten und Politiker dort von der Reduzierung des Brummi-Verkehrs.

Bei der Umsetzung der Umweltzone, in der nur schadstoffarme Autos fahren dürfen, drückt dagegen die Stadt München auf die Bremse. Lange Zeit hieß es, man werde bereits zum 1. Oktober diesen Jahres Dreckschleudern die Zufahrt zur Innenstadt verwehren. Im Gegensatz zu Städten wie Berlin, Köln, Stuttgart, die bereits Anfang kommenden Jahres auf Luftreinhaltung setzen. Der offizielle Grund für Münchens Spät-Start: Der Stadtrat will zunächst die Präsidiumssitzung des Deutschen Städtetages am 24. und 25. Oktober abwarten, der ein einheitliches Konzept für städtische Umweltzonen erarbeiten will – und letztlich erst Mitte November über den Fahrplan zur Einführung einer solchen Zone in der Stadt entscheiden. Bis diese umgesetzt wird, dürfte ein weiteres Jahr ins Land ziehen.

Dieter Janecek, der das Thema Feinstaub vor das Bundesverwaltungsgericht gebracht hat, erklärt sich den verspäteten Münchner Umweltzonen-Start anders: „Daran ist der Wahlkampf schuld“, sagt er im Gespräch mit dem SamstagsBlatt. „Die Lokalpolitiker fürchten sich vor der Reaktion der Bürger, die ihr Auto nach Einführung der Umweltzone nachrüsten müssen.“ Auf diese Weise aber werde das nächste Jahr umweltpolitisch gesehen verschlafen, so Janecek, hauptberuflich Geschäftsführer der bayerischen „Grünen“. Sein Urteil über so viel politische Rücksichtnahme der Volksparteien SPD und CSU: „Schade!“

Auch den Freistaat greift der 31-jährige Umweltschützer an. Er zeichne sich nur „durch permanentes Nichtstun aus“. Janecek fordert, dass Stadt, Freistaat und Autoindustrie an einem Strang ziehen, denn: „Nur ein Bündel an Maßnahmen kann die Münchner Luft verändern.“ Eine heftige Attacke auf die Atemwege allerdings dürfte vor allem die neue „erstklassige Visitenkarte“ (Zitat OB Ude) der Stadt sein: der Zentrale Omnibusbahnhof (ZOB), dessen Grundstein erst kürzlich gelegt wurde. Bis Anfang 2009 soll an der Hackerbrücke und somit in der Mitte der Stadt ein hochmodernes Reisezentrum entstehen, das Platz für 30.000 Busse jährlich bieten soll, was auf gut deutsch heißt: rund 100 Busse werden künftig pro Tag in die Münchner Innenstadt fahren.

Trotz Umweltzone werden all diese Stinker innerhalb des Mittleren Rings herumkurven, eine Sondererlaubnis für den ZOB durch den Freistaat wird’s ermöglichen – ganz gleich übrigens, wie viel Schadstoff hinten raus kommt. Die Auswirkungen könnten gravierend sein. Nach Berechnungen des Bayerischen Rundfunks wird sich der Innenstadtverkehr durch den Busbahnhof und die im Pkw anreisenden Passagiere um zehn Prozent erhöhen. Die einzige luftschonende Auflage der Stadt München an die Busbetreiber: die Gefährte müssen den Bahnhof an der Hackerbrücke auf kürzestem Weg erreichen.

Selbst ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung sagte dem SamstagsBlatt, dass „der Standpunkt eines solchen Bahnhofs mitten in der Innenstadt sicherlich nicht optimal gewählt ist“ und „beispielsweise osteuropäische Busse ordentlich Schadstoffe in die Stadt pusten werden“. Hendrik Jörgens hingegen, Sprecher des Umweltreferats, geht davon aus, dass „gerade Fernbusse mittlerweile modern genug sind, um alle Auflagen zu erfüllen.“ Der Standort sei also unproblematisch.

Wäre interessant zu erfahren, wie er im Jahr 2010 darüber spricht. Was bei der heutigen Feinstaub-Diskussion nämlich oftmals übersehen wird, ist die Tatsache, dass in zwei Jahren und drei Monaten die Feinstaub-Grenzwerte nochmals gesenkt werden – und auch andere Schadstoffe wie Stickoxyde ins Fadenkreuz der EU gelangen. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob die Stadt bis dahin die nötigen Hausaufgaben gemacht hat – oder ob es wieder in Schildbürger-Manier Ausnahmegenehmigungen gibt. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 18.10.2007
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