Eine Schreckensbilanz

Todesmärsche bei Hallbergmoos 1945: Gastbeitrag von Karl-Heinz Zenker

Seit Mai 2016 erinnert ein Gedenkstein an die Häftlingsmärsche in Hallbergmoos. Finanziert hat ihn zu 100 Prozent der Heimat- und Traditionsverein.	Foto: Karl-Heinz Zenker

Seit Mai 2016 erinnert ein Gedenkstein an die Häftlingsmärsche in Hallbergmoos. Finanziert hat ihn zu 100 Prozent der Heimat- und Traditionsverein. Foto: Karl-Heinz Zenker

Hallbergmoos · Sie sind ein dunkles Kapitel der jüngeren Geschichte des Landkreises Freising und der Gemeinde Hallbergmoos: die Todesmärsche von KZ-Häftlingen im April 1945.

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Der Hallbergmooser Heimatforscher Karl-Heinz Zenker hat sich intensiv mit diesen weithin unbekannten Ereignissen während des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. In seinem Gastbeitrag zieht Zenker eine Schreckensbilanz.

Nicht nur die Kämpfe beim Einmarsch der Amerikaner im April 1945 sowie die Bombardierung von Freising forderten zahllose Opfer, sondern auch die Todesmärsche von KZ-Häftlingen, die Ende April 1945 durch den Landkreis Freising Richtung KZ Dachau zogen. Diese Todesmärsche forderten im Landkreis Freising mindestens 132 dokumentierte Opfer: 79 während der Märsche und 53, die an den Folgen der Strapazen der Märsche überwiegend bis Ende Mai 1945 verstarben.

Von den 79 nicht identifizierten Opfern, die während der Märsche erschlagen und erschossen wurden oder an Entkräftung verstarben, fanden 59 im Jahr 1958 durch eine französische Umbettungsdelegation in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg ihre letzte Ruhestätte. Lediglich vier Tote waren bereits 1955 auf den Waldfriedhof Dachau umgebettet worden. Zuvor lagen ihre Gräber auf den Friedhöfen der einzelnen Gemeinden zerstreut. Weitere 14 Tote fanden nach einer Meldung der Stadt Freising auf dem Friedhof Neustift in einem Massengrab ihre letzte Ruhestätte, die später aufgelassen wurde. Diese 79 Opfer werden auf Ewigkeit namenlos bleiben – das menschenverachtende NS-Regime hatte ihnen ihre Namen genommen. Stattdessen trugen sie auf ihrer Kleidung nur Nummern.

Die nach den Märschen Verstorbenen sind mit wenigen Ausnahmen namentlich in den Sterbebüchern der Gemeinden eingetragen. Lediglich drei Verstorbene sind nur mit ihren Nationalitäten eingetragen. Sie waren auf Befehl eines US-Offiziers nahe eines Hofes beigesetzt worden. Bei den beiden in Tüntenhausen (heute Teil der Stadt Freising) beerdigten Häftlingen war lange nur die Häftlingsnummer bekannt. Die beiden in Hallbergmoos und Appercha beerdigten Häftlinge sind mit vollem Namen im Sterbebuch eingetragen. Der in Hallbergmoos verstorbene Häftling Albert Labro, Bürgermeister von Longwy (Frankreich), wurde im November 1946 exhumiert und in seine Heimatstadt überführt.

41 im Hospital 1004 auf dem Freisinger Domberg verstorbene Häftlinge stammten nach den Unterlagen der KZ-Gedenkstätte Buchenwald aus dem dortigen Lager. Sie waren mit den Todesmärschen in den Landkreis Freising gelangt. Dies belegt neben den Häftlingsunterlagen der Gedenkstätte ein Bericht des Pfarrers Josef Schmid aus Tüntenhausen, der in seinem Einmarschbericht an seinen Bischof vom 15. Juli 1945 schreibt, dass am 27. April kurz nach Mittag etwa 850 Häftlinge des KZ Buchenwald durch das Dorf Tüntenhausen getrieben wurden. Zwei weitere im Hospital 1004 verstorbene Häftlinge stammten aus dem Zuchthaus Straubing.

Die insgesamt 43 Opfer wurden auf dem Friedhof Neustift beerdigt, ihre Gräber jedoch später aufgelassen. Drei weitere Häftlinge verstarben im Krankenhaus Moosburg, wobei zwei aus dem KZ Buchenwald stammten und einer aus dem Zuchthaus Straubing.

Das Schicksal eines Bürgermeisters

Von zwei Straubinger Häftlingen konnte der Leidensweg mithilfe des International Tracing Service (ITS) Bad Arolsen, wo alle nach dem Zweiten Weltkrieg verfassten Meldungen über Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter archiviert sind, rekonstruiert werden. Einer der beiden war der ehemalige Bürgermeister von Longwy, Albert Labro, der am 8. Mai 1945 in Hallbergmoos verstorben war. Er war wegen Feindbegünstigung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden, wurde dann von Brüssel über Rheinbach und Kassel nach Straubing verlegt. Von hier aus musste Labro zusammen mit rund 3000 anderen Häftlingen am 24. April 1945 den Marsch Richtung KZ Dachau antreten. Am 29. April erlangte Albert Labro in Hallbergmoos die Freiheit – und verstarb neun Tage später in einem Stall.

Die Schicksal des Albert Labro ist im Sammelblatt Nr 36 des Heimat- und Traditionsvereins Hallbergmoos ausführlich dargestellt. Die Daten der einzelnen Stationen stammen von der ITS Bad Arolsen. Weiterhin waren bei den Ermittlungen die KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Dachau, die Stiftung KZ-Gedenkstätten des Freistaates Bayern sowie etliche Standesämter, insbesondere das der Stadt Freising, behilflich.

Zum Schluss der Schreckensbilanz ist festzustellen, dass an die Häftlingsschicksale nur ein Grabstein in Tüntenhausen und der Gedenkstein für die Häftlingsmärsche am 29. April 1945 in Hallbergmoos mahnen und erinnern.

Karl-Heinz Zenker

Artikel vom 26.07.2017
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