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Warum das hochgelobte Messie-Telefon vor dem Aus steht

Wedigo von Wedel berät Betroffene am Messie-Telefon. Dass das Angebot aus finanziellen Gründen vor dem Aus steht, findet Florian von Brunn »beschämend«.	Foto: cr

Wedigo von Wedel berät Betroffene am Messie-Telefon. Dass das Angebot aus finanziellen Gründen vor dem Aus steht, findet Florian von Brunn »beschämend«. Foto: cr

München · Das Messie-Telefon steht vor dem Aus. Und zwar, weil monatlich 1.000 Euro fehlen und sich von öffentlicher Seite niemand in der Pflicht sieht, diese Deckungslücke zu schließen. Jetzt schlägt der Verein H-Team in Sendling Alarm.

Der Verein betreibt das Telefon seit fast zwei Jahren und will das Angebot aufrechterhalten. Denn der Bedarf ist vorhanden.
Manche sammeln Münzen, andere Ü-Ei-Figuren, wieder andere Eisstiele. Die meisten Menschen haben diese kleine und liebenswerte Marotte.
Aber es gibt auch diejenigen, die einfach sammeln. Alles. Unkontrolliert. Mit der Zeit unsortiert. Sie stellen ihre Wohnung komplett zu. Diese Menschen haben die Kontrolle verloren und häufig leiden sie darunter.

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Dieses Messie-Syndrom – nicht zu verwechseln mit dem Vermüllungssyndrom, wie Wedigo von Wedel vom H-Team erklärt – hat Ursachen und Konsequenzen. Die Ursachen liegen in einer Mehrfacherkrankung. Depression, Sucht und Angst- und Zwangsstörungen werfen die Betroffenen aus der Bahn. Die Konsequenzen sind familiäre und gesellschaftliche Isolation, Jobverlust, Verschuldung, Wohnungsverlust. Oft erkennen die Betroffenen die Ausweglosigkeit ihrer Lage. Dann zum Hörer zu greifen und beim Messie-Telefon um Rat und Hilfe zu fragen, kostet Überwindung. Auch für Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen ist das nicht leicht.

Dennoch zählt das H-Team im Schnitt etwa hundert Anrufe pro Woche – bundesweit, sogar aus dem Ausland haben sich Ratsuchende gemeldet.
Der Grund: Mit dem Münchner Messie-Telefon hat der Verein Pionierarbeit geleistet. Es gebe bundesweit kein vergleichbares Hilfsangebot, erklärt von Wedel, der selbst regelmäßig am Messie-Telefon berät. Die Fachkompetenz haben sich die drei Berater im Laufe der Zeit erworben. Inzwischen sei diese Kompetenz so weit anerkannt, dass selbst Kollegen vom sozialpsychiatrischen Dienst beim Messie-Telefon anrufen und um Rat für ihre Arbeit fragen würden.

Finanziert wird das Telefon noch durch den Verein BISS e.V. (Bürger in sozialen Schwierigkeiten), vom H-Team und von Spenden. Die öffentliche Hand gibt keinen Cent dazu. Das Ende rückt immer näher, denn die Einnahmen reichen nicht mehr aus. Ab März wird die Leitung tot sein, wenn nicht ein Geldgeber gefunden wird.

Unterstützung bekommt der Verein jetzt vom Landtagsabgeordneten Florian von Brunn (SPD). »Es ist beschämend, dass bei dieser Summe keine Lösung gefunden wird«, kann er nur den Kopf schütteln.

Das Problem: Obwohl alle das Projekt befürworten, stellen sie kein Geld zur Verfügung. Bundessozialministerium, bayerisches Gesundheitsministerium, Stadt München, die Krankenkassen: Sie alle befinden sich nicht für zuständig. So verweise der Bund auf den Freistaat, da Gesundheit Ländersache sei. Der Freistaat argumentiert, mit dem sozialpsychiatrischen Dienst gebe es bereits ein adäquates Angebot.

Die Stadt München, so erklärt Wedigo von Wedel, könne kein Geld zur Verfügung stellen, weil es sich bei dem Telefon um ein bundesweites Angebot handle. Die Krankenkassen dürfen keine Einrichtungen unterstützen. Da das Messie-Syndrom, anders als zum Beispiel in den USA, hierzulande keine anerkannte psychiatrische Erkrankung ist, können die Kassen nicht die Kosten für eine Therapie dieses Krankheitsbildes übernehmen. Langsam, aber sicher läuft dem H-Team die Zeit davon. »Die Alarmglocken läuten«, betont Wedigo von Wedel, Pädagoge im H-Team, einer von drei Geschäftsführern des Vereins und durch die Arbeit am Messie-Telefon auf dem Gebiet zu einem anerkannten Experten geworden.

Die Beratung sei nicht nur für die Betroffenen wertvoll, sondern für ganze Gesellschaft, die andernfalls in der Konsequenz Therapiekosten und Schäden in den Wohnungen tragen müssen. So weit wollen es die Berater des Messie-Telefons nicht kommen lassen. Sie wissen, ihre Beratung bedeutet Prävention. Wenn die Betroffenen einen Ausweg aufgezeigt bekommen, können die weiteren Folgen durchaus verhindert werden.

Der Bedarf ist vorhanden: »Ist ein Beratungsgespräch beendet, läutet das Telefon gleich wieder«, berichtet von Wedel. Zweimal drei Stunden in der Woche geht das so. »Wir könnten vier Stunden täglich auslasten.«

Bundesweit seien rund zwei Millionen Menschen mehr oder weniger von dem Messie-Syndrom betroffen. Allerdings, erklärt Wedigo von Wedel, gebe es keine verlässlichen Zahlen. Sie werden ganz einfach nicht erhoben. Auch das macht deutlich, dass das Messie-Syndrom in Deutschland nicht annähernd die Beachtung findet, die seiner Bedeutung entspricht. Florian von Brunn hat die Initiative ergriffen und bei mutmaßlich zuständigen Ministerien in Berlin und München angefragt. Er hat zwar keine positive Antwort erhalten, aber von Brunn habe »Bewegung reingebracht«, meint von Wedel.

Bis eine Entscheidung gefunden ist, ist das Messie-Telefon auf Spenden angewiesen. H-TEAM e.V. ist als gemeinnütziger Verein anerkannt und berechtigt, Spendenbescheinigungen auszustellen.

Wer spenden möchte, hat hier die Möglichkeit dazu:
H-TEAM e.V.
IBAN: DE38 7016 9466 0000 7034 78
BIC: GENODEF1M03
Als Verwendungszweck ist »Spende« anzugeben.

Vielleicht kann sich das Messie-Telefon damit so lange über Wasser halten, bis die Politik eine Lösung gefunden hat. »Vielleicht« hilft hier aber niemandem weiter. Von Carsten Clever-Rott

Artikel vom 07.08.2015
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