SPD-Kandidat Dieter Reiter über nicht honorierte Erfolge, die Koalition des Mieterschutzes und eine »Unsicherheit schürende« CSU

»Die Menschen in München brauchen mehr Sicherheit«

Dieter Reiter: »Dass die CSU München als Jammertal einer rot-grünen Politik darzustellen versucht, freilich ohne eigene schlüssige Konzepte vorzulegen, ist auch keine Lösung.«

Dieter Reiter: »Dass die CSU München als Jammertal einer rot-grünen Politik darzustellen versucht, freilich ohne eigene schlüssige Konzepte vorzulegen, ist auch keine Lösung.«

München · Rot-Grün hat seine Stadtratsmehrheit eingebüßt, die CSU ist stärkste Fraktion. Wer jedoch nach Christian Ude Münchner Oberbürgermeister wird, ist offen. Zum ersten Mal seit 30 Jahren entscheidet eine Stichwahl:

Oberbürgermeisterwahl in München 2014

Am Sonntag treten Josef Schmid und Christian Udes Wunschnachfolger Dieter Reiter noch einmal gegeneinander an. Mit dem Favoriten Dieter Reiter (SPD) sprach Johannes Beetz.

»Wir haben viele Gemeinsamkeiten«

Ihre bisherigen Partner, Grüne und Rosa Liste, haben zu Ihrer Wahl aufgerufen. Im Stadtrat bräuchte die SPD aber weitere Unterstützer. Wie ist der Stand der Gespräche?

Dieter Reiter: Es ist so, wie ich es von Anfang an gesagt habe: Es ist Aufgabe des Oberbürgermeisters, für sichere und stabile Mehrheitsverhältnisse im Stadtrat zu sorgen. Das ist auch der Wählerauftrag und das will ich machen, wenn mich die Münchner am Sonntag wählen. Bisher gab es ein sehr konstruktives Gespräch mit den Grünen. Wir haben viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Wie es weitergehen kann, besprechen wir ab Montag nach der Stichwahl. Ich werde dann mit allen demokratischen Parteien sprechen.

»Zusammenarbeit auf Augenhöhe«

Die Grünen haben ihr bestes OB- und Stadtratsergebnis erzielt. Wird eine SPD-geführte Koalition einen grüneren Kurs einschlagen?

Dieter Reiter: Ja, wir haben Stimmen verloren, die Grünen gewonnen. Das werden die Grünen zu Recht in die Waagschale werfen, wenn wir über die Politik der Zukunft reden. Das ist übrigens auch der Wählerwille, den ich zu akzeptieren habe. Wir haben ja bisher schon die ökologischen Themen besetzt. Wichtig ist mir eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und ohne politische Muskelspiele. Es geht ja schließlich nicht um die Parteien, sondern um Problemlösungen für München. Wir werden einen politischen Neuanfang schaffen, da bin ich mir sicher.

»Wir wollen die Mieter schützen«

Die Grünen haben den Rückkauf der GBW-Wohnungen gefordert, weil der versprochene Mieterschutz nicht trägt. Wie ist Ihre Position?

Dieter Reiter: Wir kaufen ja die GBW-Wohnungen dort, wo es irgendwie geht. Und das ist auch gut so. Wir wollen die Mieter vor Umwandlungsspekulation schützen, damit sie zu bezahlbaren Preisen in ihren Wohnungen bleiben können. Das gilt auch für die Zukunft. Aber leider können wir das nicht alleine entscheiden, der Eigentümer muss sagen, ob er verkaufen will oder nicht und wenn ja, an wen.
Ich will aber schon daran erinnern, dass es die CSU war, die diese Wohnungen verscherbelt hat, gegen unsere Warnung. Jetzt muss die Stadt den Scherbenhaufen wieder aufkehren. Das ärgert mich schon. Es hilft aber nichts, wir wollen keine Rache, sondern Mieterschutz, deshalb werden wir auch künftig GBW-Wohnungen kaufen, wo es geht.

»Ich bekam mehr Stimmen«

Noch nie hat ein OB-Kandidat der SPD in München so wenig Stimmen erzielen können wie Sie; im Stadtrat hat die SPD ihren Status als stärkste Fraktion an die CSU verloren und es gibt gleich zehn Splitterparteien. Haben Sie vom ersten Wahlgang mehr erwartet?

Dieter Reiter: Die Chance, bei zwölf Kandidaten im ersten Wahlgang zu gewinnen, war auch bei größtem Optimismus nur schwer vorstellbar. Ich bin ein neuer Kandidat, musste mich bei den Münchnern erst vorstellen. Da kann ich mit einer »Vier« vor dem Komma recht zufrieden sein. Ich habe immerhin mehr Stimmen bekommen als der CSU-Kandidat, der ja schon viele Jahre als Fraktionsvorsitzender im Rathaus Politik macht. Hinzu kommt, dass wir in den letzten Monaten einige politische Probleme hatten, Wohnungsleerstand, Schulsanierung, Krankenhäuser. Ist ja klar, dass die Wählerinnen und Wähler das umtreibt. Ich bin allerdings sicher, dass wir diese Schwierigkeiten bald überwinden werden, zum Positiven.
Erschreckend fand ich die Wahlbeteiligung von nur 42 Prozent. Da kann ich nur an die Münchnerinnen und Münchner appellieren, zur Wahl zu gehen und demokratisch zu wählen.

»Ude hat einen guten Job gemacht«

Viele frühere SPD-Wähler sind gar nicht mehr wählen gegangen. Ist es das Dilemma der SPD, nach einer langen Zeit an der Macht keine Perspektiven mehr bieten zu können? Oder hat sich die SPD zu sehr, zu lange auf Christian Ude fokussiert?

Dieter Reiter: Ude war Jahrzehnte Oberbürgermeister, von den Münchnern immer wieder mit großen Mehrheiten gewählt. Und warum? Weil er einen guten Job gemacht hat, die Stadt vorangebracht hat. Denken Sie an den Ausbau der U-Bahn. In der Amtszeit Ude wurde das Streckennetz um über 40 Prozent erweitert, viele Trambahnstrecken eröffnet. Auch wenn wir Probleme haben, ausreichend Fachpersonal für die Kindertageseinrichtungen zu finden, weil München teuer ist, wurden die Betreuungseinrichtungen massiv ausgebaut. München zahlt höhere Regelsätze für die Ärmsten, obwohl die CSU das verbieten wollte, und vieles andere mehr. Das ist nicht nichts. Dass jetzt die Wähler die SPD nicht mehr gewählt haben, liegt an den aktuellen Problemen und oftmals auch am Streit im Rathaus. Ich will das ändern und ich schaffe das auch, versprochen.

»Das muss erst mal einer nachmachen«

In den vergangenen Jahren wurden massiv Schulden abgebaut. Rot-Grün hat den KiTa-Ausbau in Angriff genommen, lange bevor die CSU die Notwendigkeit dazu erkannt hat. Der SPD scheint es nicht gut gelungen zu sein, solche Erfolge dem Bürger zu vermitteln.

Dieter Reiter: Das stimmt. Erfolge werden nicht honoriert. Aber sei´s drum. Ich verstehe das ja auch. Die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass die Probleme gelöst werden. Sie wollen, dass auf die Herausforderungen der Zukunft Antworten gegeben werden. Und die Finanzpolitik steht immer ein bisschen im Hintergrund. Ja, wir haben Schulden abgebaut wie keine andere Großstadt in Deutschland, wenn nicht in ganz Europa. Die Pro-Kopf-Verschuldung in München ist die niedrigste aller deutschen Großstädte. Auch das ist ein Erfolg unserer Politik. Gleichzeitig haben wir investiert. Wir haben Baurecht für 125.000 neue Wohnungen geschaffen, keinen öffentlichen Betrieb verkauft. Die Stadtwerke nicht und die Krankenhäuser werden auch nicht privatisiert. Wir halten 65.000 bezahlbare Wohnungen in städtischem Besitz. Das muss erst mal einer nachmachen.

Natürlich ist es plakativer, wochenlang auf drei leer stehende Häuser in München hinzuweisen. Und natürlich ist es skandalverdächtiger, wenn unsere Krankenhäuser, auch wegen der völlig ungenügenden Krankenhausfinanzierung, in finanzielle Schieflage geraten. Das sind die medialen Sensationen, für Erfolge gibt es keine Schlagzeilen. Genau da müssen wir ansetzen. Vielleicht brauchen wir eine verbesserte Beteiligung, eine größere Transparenz, um die guten Entscheidungen besser darzustellen. Und natürlich müssen wir uns selbst überprüfen. Und bitteschön, wer macht denn keine Fehler? Dass aber die CSU nur alles schlecht redet und München als Jammertal einer rot-grünen Politik darzustellen versucht, freilich ohne eigene schlüssige Konzepte vorzulegen, ist auch keine Lösung.

»Eine Koalition des Mieterschutzes«

Das erwartete Wachstum wird die schon bestehenden Herausforderungen verschärfen: Es fehlt an Wohnungen, Fachkräften, Personal in sozialen Berufen, die Schulen und Kliniken müssen saniert werden – für viele Münchner existentielle Fragen, die nur gemeinsam lösbar sind. Wäre da eine stabile Mehrheit im Stadtrat nicht effektiver als eine hauchdünne Mehrheit mit Minipartnern?

Dieter Reiter: Da haben Sie recht. Wir müssen das Wachstum sozial und gerecht gestalten. Die Menschen brauchen Sicherheit, zum Beispiel, ob sie sich in den nächsten Monaten und Jahren ihre Wohnung noch leisten können. Die CSU hat doch gerade diese Unsicherheit geschürt. Wer 32.000 öffentliche Wohnungen bayernweit verscherbelt, um Kasse zu machen, hat mein Vertrauen in eine gute Politik für die Mieter nicht. Und wer das Schutzinstrument Umwandlungsspekulation jahrzehntelang verhindert, kann kaum als glaubwürdiger Vertreter der Mieter in München auftreten. Die CSU hat gegen die Erhaltungssatzungen gestimmt, auch das darf noch erwähnt werden.

Wir brauchen eine Koalition des Mieterschutzes und nicht eine Koalition der Parteien aus Machtgründen. Das ist es, was ich erreichen will, ganz in der Tradition von Dr. Hans-Jochen Vogel, Georg Kronawitter und Christian Ude. Ich werde dafür sorgen, dass Mieter geschützt werden, dass sie wegen Luxussanierung nicht aus ihren Stadtvierteln vertrieben werden und, dass wir weiter für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Alle sind eingeladen mitzustimmen und mitzumachen, dass wir dieses Ziel erreichen.

»Auch mit der CSU wird gesprochen«

Die CSU ist die stärkste Fraktion. Wie binden Sie sie ein? Sehen Sie Schnittmengen?

Dieter Reiter: Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass auch künftig mit der CSU gesprochen wird, wenn es um wichtige Themen für München geht. Das war auch in Vergangenheit so. Aber bei der CSU, und übrigens auch bei der FDP, gibt es halt andere Interessenslagen. Es wird eine spannende Zeit und ich werde alles tun, dass wir eine Politik für die Münchnerinnen und Münchner machen, alle gemeinsam. Wir haben schließlich alle einen Wählerauftrag, der ernst genommen werden muss.

»Wir Münchner sind eigenständig«

Eine Zusammenarbeit wäre auch zwischen Stadt und Freistaat wünschenswert, etwa bei den Schulen, ist aber angesichts der Partei-Konstellationen schwierig.

Dieter Reiter: Ich wünsche mir eine Zusammenarbeit mit dem Freistaat, aber auf Augenhöhe. Wir sind keine Filiale der Staatskanzlei. Gerne rede ich mit dem Ministerpräsidenten, ob er nicht endlich die 170 Millionen Euro Lehrpersonalkosten bezahlen will, die die Stadt aufgrund einer besseren Personalausstattung den Schulen vorhält. Da ist der Freistaat nach Recht und Gesetz zuständig. Stattdessen will der Münchner Kultusminister Hunderte Lehrerstellen streichen. Das ist keine Zusammenarbeit, sondern Erpressung. Das lehne ich ab. Das ist nicht meine Vorstellung von Zusammenarbeit.

Oder nehmen Sie den Finanzausgleich. Ist es eine gute Zusammenarbeit, wenn der bayerische Finanzminister der Landeshauptstadt die Zuschüsse kürzen will, nur weil wir erfolgreich gewirtschaftet haben? Nur weil München dank unserer Finanzpolitik gut dasteht? Das ist doch eine Bestrafung und hat mit Zusammenarbeit nichts zu tun.

Also wenn die CSU-Staatsregierung zusammenarbeiten will, gerne, ich mache mit. Aber wir Münchner sind selbstbewusst und eigenständig, das muss klar sein.

»Ich wünsche mir gute Beteiligung«

Sie kandidieren zum ersten Mal als Oberbürgermeister. Werden Sie nochmals antreten, sollten Sie jetzt scheitern?

Dieter Reiter: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich akzeptiere das Wahlergebnis, ich bin Demokrat. Ich wünsche mir halt eine gute Wahlbeteiligung, weil es München wert ist.

Steckbrief zu Dieter Reiter

  • Geboren am 19. Mai 1958 in Rain am Lech, verheiratet in zweiter Ehe mit Petra Reiter (seit 2003), Vater eines Kindes aus erster Ehe, seine Frau hat ebenfalls zwei Kinder mit in die Ehe gebracht
  • 1960 Umzug nach München
  • 1981 Abschluss an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung und Rechtspflege Bayern als Diplomverwaltungswirt
  • 1981 bis 1992: Stadtkämmerei
  • 1993 bis 2000: Büroleiter und Pressesprecher der Stadtkämmerei
  • 2001 bis 2005: Kassen und Steueramt, zuletzt als Amtsleiter
  • 2006 bis 2009: Stellvertretender Stadtkämmerer der Landeshauptstadt München
  • 2009: Berufsmäßiges Stadtratsmitglied und Referent für Arbeit und Wirtschaft

Artikel vom 28.03.2014
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