München. 8. Mai 1945: Der Krieg ist zu Ende. Fünf Menschen, die heute zwischen 88 und 95 Jahre sind, erinnern sich, wie sie diese Zeit erlebt haben. Sie erzählen stellvertretend für viele von Bomben, von der Evakuierung auf dem Land und der Rückkehr in eine zerstörte Stadt München, wo sie ihr Leben aufbauten und heute im Augustinum ihren Lebensabend verbringen.
Sie hatten sich in einen Bierkeller mit Ziegelgewölbe geflüchtet. Als die Bombe detonierte, zerriss alles, die Marmeladengläser zerplatzten, alles fiel herab und die Tür sowie die Lichtschächte wurden verschüttet; es gab kein Licht mehr. Sieben Jahre war Ella Oertle alt, als sie das gewaltige Bombardement überlebte und in einem Kellergewölbe verschüttet war. Ihre Mutter war damals allein mit den drei Kindern, während die älteste Tochter sich in Berchtesgaden aufhielt.
Jahrelang hat die heute 89-jährige Ella Oertle später unter Platzangst gelitten und keine dunklen Räume ertragen können. In der Folge wurde die Familie vom Roten Kreuz evakuiert und kam in einem Dorf im Mangfalltal unter, wo sie dann auch fest einquartiert wurden.
Fritz Gutsch hat dagegen vom Krieg erst mal gar nicht viel mitbekommen. 1942 ist er eingeschult worden, da war er sieben Jahre alt. Es ging alles gut, bis die Schule 1944 von Bomben getroffen und er mit seiner Mutter evakuiert wurde. Eineinhalb Jahre hat er in der Nähe von Mühldorf am Inn verbracht. „Das war eine schöne Zeit“, erinnert sich der 90-Jährige. Auch wenn alle auf dem Hof mitarbeiten mussten, die Mutter und er. „Vom Krieg haben wir dort nichts gespürt“, erzählt Fritz Gutsch. Nur einmal sei ein englischer Flieger abgeschossen worden. Der schwer verletzte Pilot sei dann in einen Bauernhof gebracht worden, wo er verstarb. „Das hat mich als Kind schon mitgenommen.“
Das Kriegsende erreichte dann viele auf dem Lande: Bereits 1942 mit seiner Mutter evakuiert erlebte Werner Mücke den Einmarsch der Amerikaner in Lenggries. Für ihn als Kind ein Erlebnis, durfte er doch als Bub auf einem Panzer mitfahren. Zuvor fuhr allerdings allen ein Schreck durch die Glieder, weil die SS sich in der Jachenau verschanzt hatte und am Vorabend des US-Einzugs einen Bauernhof in Brand gesetzt hatte. „Ich erinnere mich an die brüllenden Tiere, die aus dem Stall liefen“, erzählt der 88-jährige Werner Mücke.
Auch Christl Wenzl hat das Kriegsende nicht in München, sondern in Ruhpolding erlebt. Da war sie acht Jahre alt. Sie erinnert sich an die große Wiese, auf der die US-Soldaten die Zelte aufgeschlagen haben. „Wir hatten damals kaum etwas zu essen“, erzählt die 88-Jährige. Ein Soldat habe sie mal zum Frühstück mit Weißbrot mitgenommen. „Ich sehe das Bild vor mir, wie wir alle auf der Wiese saßen.“
Fritz Gutsch hat nach der Rückkehr in die Stadt mit seiner Familie erst mal Unterschlupf bei der Großmutter gefunden. Interessant fand er dabei zu beobachten, wie die Häuser nach und nach wieder aufgebaut wurden. Die Armut war dabei allerdings mit Händen zu greifen: „Wenn wir mal einen Apfel aufgetrieben hatten, sagte ich gleich: Ich esse den Butzen“, erzählt er. „Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“
Doch München war zunächst einmal eine Stadt voller Ruinen. Werner Mücke hat noch die Bilder der Zerstörung vor Augen: In Schwabing waren riesige Schuttberge, die Bockerlbahn fuhr aus der Innenstadt die Trümmer weg. Und die Trümmer-Frauen klopften die Ziegelsteine zur Wiederverwertung vom Mörtel frei. Dass manche Situationen auch gefährlich waren, hat Werner Mücke damals nicht so empfunden. Zum Beispiel als die Kinder im Luitpoldpark ein Waffenlager entdeckten und zum Spaß Patronenpulver in die Luft sprengten.
An die Ruinenstadt München hatte sich die 95-jährige Helga Hofstetter irgendwann gewöhnt, sagt sie heute und erinnert sich an die Augustenstraße zwischen Bahnhof und Josephsplatz: „Da stand kein einziges Haus mehr.“ Auch zwischen Marienplatz und Odeonsplatz war nur noch das Café Feldherrenhalle unversehrt. Dort konnte Helga Hofstetter auch einmal ein Konzert besuchen, weil sie die notwendige Brikett-Kohle als Eintrittspreis organisieren konnte.
Und jetzt, 80 Jahre nach Kriegsende, blicken die Bewohnerinnen und Bewohner des Münchner Augustinum dankbar auf ihr Leben zurück. „Ich finde es etwas Besonderes, dass wir 80 Jahre Frieden haben”, sagt Christl Wenzl. „Wir haben in den besten Zeiten gelebt. Es ging immer aufwärts.“ Alexander Schweda