Das für Ende diesen Jahres geplante Ende des Bewohnertreffs in der Wohnanlage an der Widmannstraße hat im Bezirksausschuss Trudering-Riem (BA 15) für Diskussionen gesorgt. In einem Dringlichkeitsantrag forderten alle Fraktionen des Stadtteilgremiums das Amt für Wohnen und Migration auf, die quartiersbezogene Bewohnerarbeit wenigstens für ein weiteres Jahr zu finanzieren.
Das Sozialreferat sieht ebenfalls einen hohen Bedarf an Betreuung und schlägt vor, diese über eine Umschichtung von Geldern aus dem Budget für Neuperlach zu finanzieren. Der Kinder- und Jugendausschuss des Stadtrates will darüber in seiner nächsten Sitzung am 22. Februar entscheiden.
In den 250 Wohnungen leben derzeit Menschen aus 45 Nationen. Doch statt kulturelle Vielfalt prägen Konflikte den Alltag. Davon berichtet anschaulich ein aktueller Sachstandsbericht des Sozialreferats, der auf einen Antrag der CSU-Stadträte Hans Podiuk und Johann Altmann vom Juni 2005, zurückgeht, und als Beschlussvorlage für den Kinder- und Jugendausschuss des Stadtrats dient.
Seit zwei Jahren versucht das Sozialreferat negativen Entwicklungen in der Riemer Wohnanlage entgegenzuwirken. Damit will die Stadt eigene Versäumnisse ausbügeln damit die 1999 fertiggestellte Wohnanlage nicht zu einem dauerhaften sozialen Brennpunkt wird. Um das zu verhindern betreibt die Stadt bei Sozialwohnungen eigentlich eine »qualifizierte Belegung«: Eine gesteuerte Auswahl der Bewohner nach verschiedenen Faktoren wie Familiengröße, Wirtschaftsverhältnisse, psychische Verfassung oder Nationalität soll eine stabile Hausgemeinschaft schaffen. Doch nachdem die Wohnungen im Galeriahaus in der Messestadt schnell belegt waren, sei für die gleichzeitig fertiggestellte Sozialwohnungsanlage der GEWOFAG an der Widmannstraße kein Spielraum mehr für eine qualifizierte Belegung gewesen, um die sich das Amt für Migration und Wohnen bemüht hatte, betreibt das Sozialreferat Ursachenforschung.
Aktuell beträgt der Ausländeranteil 50,4 Prozent. Viele der Bewohner seien arbeitslos und mittlerweile Hartz IV-Empfänger. Besonders betroffen seien die 500 Kinder und Jugendlichen, der Anteil der Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren betrage 20 Prozent, Tendenz steigend. Neben schulischen Problemen hätten viele von ihnen seelische oder psychosoziale Störungen. Außerhalb der Öffnungszeiten des Bewohnertreffs hätten besonders die Jugendlichen kaum andere Möglichkeiten, sich zu treffen. So würden sie draußen herumhängen, seien manchen dadurch zu laut, langweilten sich und würden so auch aggressiv. Abhilfe bietet seit 2000 der Bewohnertreff: Von Hausaufgabenbetreuung über spezielle Angebote für Mädchen bis zu Sport. Doch das ist nicht alles. Daneben engagiert sich die städtische Kindertagesstätte Widmannstraße weit über ihren Aufgabenbereich hinaus, lobt das Sozialreferat, mit Kochkursen oder Deutschkursen für ausländische Mütter.
Auch das SOS-Beratungs- und Familienzentrum ist regelmäßig vor Ort. Und diese Angebote müssen weitergehen, findet auch etwa Dr. Georg Kronawitter (CSU), Vorsitzender des BA 15. »Wir wollen die Bewohner nicht stigmatisieren, aber hier ist eine solche Mischung an Problemfällen entstanden, dass weiterhin extreme Unterstützung nötig ist.« Doch die Konflikte nur über den Kinder- und Jugendbereich abzufedern, das sei »nicht ausreichend.«
»Kinder- und Jugendarbeit beinhaltet aber Elternarbeit«, stellt Peter Pinck, Geschäftsführer der Wohnforum München GmbH, Betreiber und Träger des Bewohnertreffs, klar. Das Wohnforum München GmbH entwickelt Projekte für Zielgruppen, die am Wohn- und Arbeitsmarkt benachteiligt sind. Dass für Wohnforum GmbH Ende diesen Jahres Schluss sei mit dem Bewohnertreff Widmannstraße, »das ist in Ordnung«. Der Bewohnertreff sei von Anfang an als »Hilfe zur Selbsthilfe« geplant gewesen, betont Pinck. Die Wohnforum GmbH, an der unter anderem die Stadt und Arbeiterwohlfahrt Gesellschafter sind, werde aber weiter die Räume des jetzigen Bewohnertreffs verwalten. Die Vorschläge des Sozialreferats, wie die Bewohner nach dem Ende des Bewohnertreffs Hilfe und Unterstützung finden können, findet Pinck »den Problemen angemessen.«
Als Mindeststandard zur Bewältigung der dringend nötigen Angebote seien nach Meinung des Sozialreferates eineinhalb sozialpädagogische Vollzeitfachkräfte sowie etwa 10.000 Euro Honorarmittel und die entsprechenden Sachkosten notwendig. Eine halbe psychologische oder sozialpädagogische Fachstelle bringt das SOS-Familien- und Beratungszentrum ein. Die zweite halbe sozialpädagogische Fachkraft wird aus dem Budget der regionalen Angebote der offenen Kinder- und Jugendarbeit finanziert. »Das lässt sich in Zeiten der Haushaltskonsolidierung nur durch eine Prioritätenliste stemmen«, erklärt Fabian Riedl, Sprecher des Sozialreferats. »Wir stehen unter dem Zwang, mit den vorhandenen Mitteln zurechtzukommen.«
Und die kommen dann eben notfalls aus dem Nachbarbezirk.
Die Situation in der Wohnanlage in der Widmannstraße wird von der Stadt als so wichtig eingeschätzt, dass Gelder aus dem Neuperlacher Kinder- und Jugendbudget umgeschichtet werden sollen. Bis zu 40.860 Euro stünden somit aus dem eingestellten Betrieb des Jugendzentrum »6-Eck« in Neuperlach zur Verfügung, rechnet das Sozialreferat. Der Rest 12.860 Euro soll für die Honorarkräfte eingesetzt werden. Die noch fehlende halbe Stelle für schul- und berufsbezogene Maßnahmen soll durch die Schulsozialarbeit an der Feldbergschule abgedeckt werden, die im Januar eingeführt wurde.
Über all das wollte der städtische Ausschuss am 31. Januar entscheiden. Wegen der geplanten Umschichtung aus Neuperlach bat CSU-Stadträtin Beatrix Burkhardt, auch stellvertretende Vorsitzende des Bezirksausschusses Ramersdorf-Perlach, die Entscheidung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses auf die nächste Sitzung am 21. Februar zu vertagen.
Das Sozialreferat empfiehlt den Stadträten jedenfalls, ein positives Votum abzugeben. Die Wohnsiedlung Widmannstraße habe »einen sehr hohen Bedarf an quartiersbezogenen Kinder- und Jugendhilfemaßnahmen«, heißt es in der Beschlussvorlage. Damit soll nach der Schließung des Bewohnertreffs am 31. Dezember nicht Schluss sein. Um eine »Gettoisierung« zu verhindern, hat die Stadt erkannt, sei ein »fließender Übergang (...) notwendig, um der negativen Entwicklung der sozialen Situation der Kinder, Jugendlichen und Familien wirkungsvoll entgegenzuwirken.« Michaela Schmid