In Kooperation mit LÖWEN-TV sprachen die Münchner Wochenanzeiger mit Richard "Richy" Neudecker. Der 23-Jährige ist im Sommer aus der Eredivisie, der achtzehn Vereine umfassenden höchsten Fußballiga in Holland, zum TSV 1860 München zurückgekehrt und gibt einen Einblick in seinen Werdegang.

Richy, du bist in Altötting geboren, also im Herzen des bayerischen Katholizismus, verbindet dich persönlich etwas mit der Stadt?
Ich komme aus der Nähe von Mühldorf am Inn; Altötting ist nur meine Geburtsstadt. Zu ihr habe keinen großen Bezug.

Dein erster Verein als Kind war?
Der TSV Buchbach, danach war ich zwei Jahre bei Wacker Burghausen und später noch ein halbes Jahr beim TSV Ampfing, bevor ich mit 13 Jahren zum TSV 1860 bin.

München war damals vermutlich eine andere Welt für dich?
Ja, absolut! Ich bin ein Dorfkind, bin am Rand von Feldern mit Kühen aufgewachsen, hab' dort am Bolzplatz gekickt. Das war in der Stadt eine große Umstellung für mich, mit der ich mich am Anfang auch schwer tat. Am Ende war es eine tolle Erfahrung.

Du warst im Internat in Giesing?
Anfangs noch nicht, da bin ich jeden Tag von zu Hause aus gependelt, ab der B-Jugend war ich dann im Internat.

Hast du Dialekt gesprochen?
Voll! In den ersten Wochen haben mich deshalb alle ausgelacht. Ich konnte das nicht verstehen, bis ich kapiert hab, die reden Hochdeutsch und lachen über meinen Dialekt. Umso geiler finde ich es, dass wir jetzt in der Profimannschaft Spieler haben, die Dialekt sprechen und das auch eiskalt durchziehen. Lex, Greilinger, Willsch bleiben ihrem Bayerisch treu, das finde ich überragend. Ich hab zu früh damit aufgehört und tu mich jetzt schwer wieder komplett umzuswitchen – außer ich bin daheim in Mühldorf.

Heute hängt dein Porträt im Nachwuchsleistungszentrum des TSV 1860 an der Wand als Vorbild für die Nachkommenden.
Ja, darüber freue ich mich riesig. Wirklich! Ich hab hier meine ganze Ausbildung durchlaufen und wurde am Ende Profi, das macht mich stolz. Im Internat hängst immer oben am Fenster, schaust den Profis beim Training zu und das Einzige was du willst: eines Tages dabei sein. Hast du das geschafft, hat sich aller Aufwand gelohnt.

Dein Debüt als Profi für die Löwen war im Pokal in Mainz. Kannst du dich daran noch gut erinnern?
Ja, an jedes einzelne Detail. Ich weiß noch das Abschlusstraining – Benno Möhlmann war nicht da –, das Aufwärmen vor dem Spiel, wie die Kabine aussah, jede Minute im Spiel – ist alles da bei mir.

Nur eine Woche später ging es für dich schon in der Liga gegen Duisburg.
Das war traumhaft. Besser hätte es für mich nicht laufen können.
Du hast dann aber nicht verlängert bei den Löwen, dein Vertrag lief aus und du bist nach Hamburg. Der FC St. Pauli war deine erste große Station als Profi.
Ich hatte in München meine ganze Jugend verbracht und damals das Gefühl, jetzt was Neues anfangen zu müssen. Neue Luft, neue Stadt. Die Zeit in Hamburg war cool – ich bin darüber relativ erwachsen geworden. Hab dort einiges erlebt, geile Stadt und geile Leute kennengelernt, drei Jahre in der 2. Liga gespielt.

Dann kam es aber wie in München: dein Vertrag lief aus, du wolltest nicht verlängern und hast die Chance auf die 1. Liga in Holland bei der VVV-Venlo genutzt.
Ich wollte nochmal einen anderen Fußball sehen. Vom holländischen Fußball hatte ich immer viel gehört. Die Liga dort ist voller Talente, die auch raus kommen.

In Holland wird ein Fußball gespielt, der deinen Fähigkeiten entgegen kommt?
Absolut! Das Spiel dort ist sehr stark von Technik und Taktik geprägt.

Als durch das Auftreten der Corona-Pandemie in den Niederlanden die Liga komplett abgebrochen wurde, bist du nach Hause?
Ja, wir hatten danach weder Training noch Spiele, haben gar nichts mehr gemacht. Deshalb ist meine Fitness auch noch nicht wie sie sein sollte. Dafür konnte ich längere Zeit mit meiner Familie verbringen. Das war für mich etwas Besonderes. Im Dorf daheim bleiben zu müssen, ist viel angenehmer als in Mönchengladbach – da hab ich gewohnt – alleine in einer Wohnung zu sitzen. Dort wäre ich vermutlich eingegangen, deshalb war ich sehr froh, heim zu können.

Ich hab gelesen, dein Bruder ist Fitnesstrainer.
Ja, genau. Das kam mir natürlich extrem entgegen. Zweimal am Tag haben wir daheim trainiert. Er hat mir einen Fitnessplan gemacht, für den ich ihn manchmal verflucht hab'. Das war härter als jede Vorbereitung. Trotzdem lässt sich das nicht aufholen. Fußballtraining ist nochmal was anderes als nur Laufen und Krafttraining.

In Holland ist der Fußball, abgesehen von den drei großen Klubs Ajax Amsterdam, Feyenoord Rotterdam und PSV Eindhoven, eine Nummer kleiner als in Deutschland?
Ich sag' immer, die 1. Liga dort besteht vom Niveau her eigentlich aus drei Ligen. Die unteren fünf bis acht Vereine in der Tabelle entsprechen in meinen Augen in Deutschland der Dritten Liga, dann hast du die Mitte, die ist vergleichbar der Zweiten Liga bei uns – aber hohes Niveau – und dann gibt es die Oberen, die könnten auch sehr gut in der Bundesliga mitspielen. Wir haben, glaube ich, unser bestes Spiel gegen Ajax gemacht und 4:1 verloren. Für unsere Verhältnisse super gespielt, aber der Unterschied zwischen den Klubs ist eben riesig.

Jetzt bist du in eine sehr kampfbetonte Liga gewechselt. Du hast vorher nie Dritte Liga in Deutschland gespielt. Wie hat sich das angefühlt in den ersten Spielen?
Für mich ist das Neuland, aber ich finde es geil. Wir haben einen Plan, wollen Fußball spielen, uns nicht anpassen an die Gegner, das macht es spannend und interessant für mich. Man merkt natürlich, dass sich viele Vereine hinten rein stellen, es geht knackig zur Sache, aber dann muss man sich eben reinkämpfen und versuchen, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken.

Wie ist es als Profi vor leeren Zuschauerrängen zu spielen?
Scheiße! Du spielst für die Fans und willst mit ihnen gewinnen. Nehmen wir das Beispiel Magdeburg, eine Viertelstunde vor Schluss steht es 1:1, du weißt doch, was mit unseren Fans los wäre. Die würden durchdrehen und wir als Spieler auch nochmal einen Push bekommen. Dann will ich mal sehen, wie lange der Gegner noch durchhält. Das fehlt einfach! Ich bin froh, dass wir überhaupt spielen können, aber es macht nicht soviel Spaß wie mit Fans.

Ihr habt eine Vielzahl junger Spieler, die als Jungprofis neu sind im Kader. Du kannst dich wahrscheinlich am ehesten in sie hineinversetzen, weil es noch nicht so lange her ist, da warst du einer von ihnen?
Als junger Spieler hat man es nicht leicht und muss jeden Tag im Training 100 Prozent geben. Immer! Du kannst nicht wie ein etablierter Spieler mal nur mit 80 Prozent dabei sein, weil du müde bist. Da versuche ich natürlich, den ganz jungen was mitzugeben, auch wenn ich selber noch ein junger Spieler bin und erstmal schauen muss, meine eigene Leistung zu bringen.

Hast du schon mal eines von Michael Köllners Büchern gelesen?
Bislang nicht, ich lebe noch im Hotel, ziehe nächste Woche erst in eine eigene Wohnung nach Perlach. Dann werde ich mir wahrscheinlich auch ein Buch vom Trainer holen.

Was hat Köllner für eine Rolle gespielt bei deinem Wechsel nach München?
Eine sehr große! Als Sechzig angefragt hat, war ich zwar ohnehin angefixt, denn das ist einfach meine Heimat – privat und sportlich. Der Trainer hat mir im Gespräch einen klaren Plan aufgezeigt und erklärt, dass wir hier die Dinge fußballerisch lösen wollen und ich deshalb für ihn als Spieler in Frage komme. Das hat mich überzeugt. Ich freue mich riesig wieder hier zu sein.
(as)