Notruf! Es geht um Minuten, wenn nicht um Sekunden. Feuerwehr, Rettungssanitäter, Polizei sind hier je nach Einsatzart gefordert. Der Ablauf ist klar: Anfahrt, Hilefeleistung, beides innerhalb möglichst kurzer Zeit, und schließlich den Einsatz mit Erfolg abschließen.
Weiterer Artikel zum Thema:
So seh ich das! Zum Thema: Einsatzkräfte werden bei ihrer Arbeit behindert und gefährdet Artikel vom 13.01.2017: Samstagsblatt München-Redakteur Carsten Clever-Rott über Bilder, die keiner braucht
Doch immer öfter werden die Einsatzkräfte bei ihrer Arbeit behindert, sogar körperlich angegriffen wie am vergangenen Samstag, als ein 42-jähriger Münchner in der Dienststelle der Bundespolizei am Hauptbahnhof gegen mehrere Beamte Schläge andeutete und versuchte eine Rettungssanitäterin zu treten.
Das ist Teil des »Geschäfts«. Darauf sind Polizeibeamte durchaus vorbereitet und können entsprechend reagieren. Anders dagegen, wenn Rettungswagen und Notarzt trotz Blaulicht und Martinshorn keine freie Fahrt bekommen. Mühsam müssen sie sich zum Einsatzort hinbewegen, um dort von einer Menge Schaulustiger, nicht ohne Grund diskreditierend »Gaffer« bezeichnet, nochmals beim Einsatz gestört zu werden so geschehen im Herbst bei einem Unfall auf der A6 bei Nürnberg. Die Schaulustigen wollen gute Sicht auf den Unfallort haben. Sie fotografieren und filmen mit ihren Smartphones, was das Zeug hält.
Eine weitere Steigerung ist die aktive Behinderung der Rettungskräfte, wie sie im Juli 2015 an der Isar vorgefallen ist. An der Corneliusbrücke waren drei Jugendliche ins Wasser gegangen und von einer Unterströmung runtergezogen worden. Andere Badegäste halfen sofort. Als die Rettungskräfte eintrafen, waren die Jugendlichen bereits unverletzt aus dem Wasser gezogen worden. Andere »begrüßten« die Einsatzkräfte mit den Worten: »Was wollt Ihr denn hier?« und »Verpisst euch!« obwohl die geretteten Jugendlichen eine medizinische Nachversorgung benötigten.
In München seien solche Situationen bisher zum Glück selten, wie Gerhard Bieber, Pressesprecher der Johanniter-Unfall-Hilfe München berichtet. »Es gab vereinzelt Vorfälle, die aber nicht gravierend waren. Wir versuchen so etwas kommunikativ zu lösen.« Gleiches berichtet auch die Münchner Branddirektion, die darüber hinaus festgestellt habe, es gebe keine Zunahme der Fälle von Störungen im Einsatz.
Im Falle eines Falles setzt auch die Feuerwehr auf Beschwichtigung. Deeskalation ist zwar ein hehrer Vorsatz, erfordert jedoch viel Einsatz. Kraft, die bei der Hilfeleistung besser eingesetzt wäre. Bieber klagt: »Die Einsicht für das Miteinander sinkt.« München sei noch eine »Insel der Glückseligen«. Anders als in anderen deutschen Großstädten sei es hier noch nicht zu Übergriffen auf Rettungskräfte gekommen. Gerhard Bieber kann dabei jedoch nur für die Johanniter sprechen.
Bei der Bundespolizei am Hauptbahnhof sieht das schon etwas anders aus. Doch hier hat die Anzahl und die Schwere der Angriffe gegen die Beamten eine sehr deutliche Ursache: »80 Prozent der Gewaltstraftaten sind alkoholbedingt«, sagt Wolfgang Hauner, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion München. So war es auch bei dem Einsatz am vergangenen Samstag. Der 42-Jährige Täter habe eine Atemalkoholkonzentration von 2,24 Promille gehabt.
Alkohol in Maßen ist nicht das Problem. Alkohol in Massen sehr wohl. Hauner sieht darin ein gesellschaftliches Problem. Alkoholkonsum sei akzeptiert, gesellschaftskonform, auch in der Öffentlichkeit.
Im Streifendienst am Hauptbahnhof erleben die Beamten immer wieder Gewalt, zumeist in minderschwerer Form, aber dennoch mit Opfern. Um das Problem in den Griff zu bekommen, hat die Stadt München ein Alkoholkonsumverbot rund um den Hauptbahnhof erlassen, das am 21. Januar in Kraft treten soll. Im Gebäude selbst gilt dieses Verbot der Stadt nicht, denn hier hat die Deutsche Bahn das Hausrecht und muss selbst ein Alkoholkonsumverbot erlassen. Das hat sie gemacht. Ab 21. Januar ist der Alkoholkonsum zwischen 22 und 6 Uhr auch im Hauptbahnhof verboten.
Wenn jemand dagegen verstößt, ist das aber noch nicht Sache der Bundespolizei, sondern erstmal des Bahnsicherheitsdienstes. Der wiederum kann die Bundespolizei dazurufen, die Platzverweise aussprechen kann. Klingt harmlos, aber das kann sich steigern bis hin zu strafrechtlichen Konsequenzen wie einer Haftstrafe. Dazu braucht es eine erhebliche Ansammlung von Verstößen gegen die Anordnungen, doch am Hauptbahnhof habe es die Bundespolizei mit einer »Stammsteherszene« zu tun, ein Personenkreis, der sich dort trifft und immer wieder mal auffällig wird.
Die Bundespolizei München begrüßt das nächtliche Alkoholverbot. Hauner rechnet langfristig mit einem Rückgang der Deliktzahlen und entsprechend mit einem Rückgang der Fallzahlen von Gewaltandrohung oder -anwendung gegen die Polizeibeamten. Das Gafferproblem bekommt man damit nicht in den Griff. Hier helfen nur härtere Konsequenzen und strikteres Durchgreifen der Polizei. Dafür fehlt oft das Personal. Von Carsten Clever-Rott