„Hier können Sie sehen, was aus einem Alltagsgegenstand werden kann: Wenn etwas unter die Haube kommt und ins Licht gerückt wird, bekommt es große Bedeutung”, sagte Ursula Eymold, Leiterin der Sammlung Stadtkultur/Volkskunde des Münchner Stadtmuseums. Zum ersten Mal eröffnete sie eine Ausstellung an einem anderen Ort als in „ihrem” Haus am St.-Jakobs-Platz. „Und zum ersten Mal mit Objekten, die nicht uns gehören, die wir aber gerne hätten.”
Rund zwei Wochen lang war das Stadtmuseum zu den Bürgern ins Westend gekommen, in die Räume des kulturellen Zwischennutzungsprojekts Kösk, und hatte sie zum Mitmachen beim offenen Museumslabor eingeladen. Menschen mit Migrationshintergrund waren eingeladen, ihre Erinnerungsstücke mitzubringen und sie zu einer Ausstellung zu gestalten: ein „Museumslabor”, ein „Pilotprojekt zur partizipativen Arbeit”.
„Wer schon mal damit zu tun hatte weiß, dass es ein bisschen verrückt ist, in so kurzer Zeit eine Ausstellung zu machen”, erklärte Simon Goeke vom Projekt „Migration bewegt die Stadt”, mit dem die Geschichte der Migranten aus deren eigener Sicht im Stadtmuseum und im Stadtarchiv verankert werden soll.
„Wir sind überwältigt vom Engagement der Beteiligten und von den Objekten”, sagte seine Kollegin Natalie Bayer. „Wir hatten gar nicht so viele Vitrinen dabei, wir mussten uns welche nachbringen lassen.”
Vier Themenbereiche zeigte die Ausstellung: In einem ging es um das Arbeitsleben, da wurden Stücke wie ein Blaumann und Osman Ölmez' Akkordlohn-Arbeitsvertrag mit BMW aus dem Jahr 1976 präsentiert. Es gab auch etwas zu hören: Der Vater von Ercan Erdogan hörte gerne Schallplatten. Die Ausstellung zeigte Singles des Sängers Metin Türkoz, dessen Lieder von der anstrengenden Akkordarbeit, Arbeitslosigkeit und dem Leben in Deutschland handeln. Über einen Kopfhörer konnten die Ausstellungsbesucher der (digitalisierten) Musik auch lauschen.
Der Bereich soziale Kontakte wurde „In-Gesellschaft” genannt. Das Multikulturelle Jugendzentrum hatte neben Pokalen und einem „Westend”-Graffiti auch einen Kickertisch zur Verfügung gestellt. „Gerade im Münchner Westend gab es schon früh Orte, an denen unabhängig von Herkunft und Status enge freundschaftliche Beziehungen und Bindungen entstanden. In der Erinnerung sind es oft gerade die Alltagsgegenstände, die auf diese gelebte Vielfalt und das Gefühl von Zugehörigkeit hinweisen”, stand in der Erklärung.
Das Thema Familie haben die Ausstellungsmacher mit einem Fragezeichen und einem Ausrufezeichen versehen: „Familien wurden getrennt, es entstanden Brüche und neue Familienkonzepte”, erklärte Natalie Bayer.
Auch zum Kampf um Freiheit und Demokratie gab es Material: Savas Tetik hatte Briefe seines Bruders Zafer beigesteuert, der im Alter von 19 Jahren als politischer Aktivist in einem Militärgefängnis in Ankara/Mamak inhaftiert war. „Nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 wurden viele Prozesse gegen Anhänger verbotener Organisationen geführt und unzählige Todesstrafen verhängt”, war in der Erklärung des Themenbereichs zu lesen. Savas Tetik wollte zu diesem Zeitpunkt in Ankara studieren, was aufgrund der politischen Lage unmöglich war. So ging er 1982 nach Berlin, wo bereits einige Verwandte lebten. Als er einen Ruf zum Militärpflichtdienst in der Türkei erhielt, beantragte er Asyl in Deutschland.
Die Basis der Ausstellung stammt von Mitgliedern des Fachbeirats, der schon zu Projektbeginn gegründet wurde. Er setzt sich aus Menschen zusammen, die biografisch, beruflich oder durch ihr Engagement mit Migrationsgeschichte zu tun haben. Für einen Austausch, zur inhaltlichen Beratung und Vernetzung finden mehrmals im Jahr Treffen statt.
Özlem Tetik gehört dazu, Savas Tetiks Frau. Sie hatte bereits an vorbereitenden Workshops teilgenommen, Vertrauen zur Institution Stadtmuseum gefasst und sich entschlossen, diesem das Brautkleid ihrer Mutter zu überlassen. Für die Ausstellung stellte sie zusätzlich eine Vitrine für den Themenbereich „In-Gesellschaft” zusammen: Darin sind ihr Erzählerhut vom interkulturellen Erzählforum zu sehen sowie Geschenke ihrer früheren deutschen Kollegin, mit der sie eng befreundet war.
Bei der Ausstellungseröffnung wurde noch viel erzählt und lange gefeiert. „Geschichtlich betrachtet sind Gesellschaften, die andere integrieren, immer weiter gekommen als solche, die sich abschotten”, erklärte Sibylle Stöhr, Vorsitzende des Bezirksausschusses Schwanthalerhöhe, in ihrer Eröffnungsrede. Im Westend gebe es eine große Solidarität. „Wir sind wie ein kleines Dorf, manche sagen, ein gallisches Dorf. Wir verbiegen uns nicht.” Das Projekt „Migration bewegt die Stadt” sei ihr selber eine Herzensangelegenheit und der BA begleite es weiterhin gern.
Wegen der positiven Resonanz wurde die Ausstellung im Kösk noch um weitere fünf Tage verlängert. Die Teilnehmenden stehen nun vor der Entscheidung, ob sie ihre Objekte dem Museum dauerhaft überlassen. Auch weiterhin sind Beiträge zur Sammlung willkommen. Teile davon werden später im Münchner Stadtmuseum gezeigt.