Veröffentlicht am 07.08.2017 09:43

Arbeiten bei Krauss-Maffei (Teil 1) - Nicht Lokomotiven oder Panzer, sondern Mülltonnen


Von Walter G. Demmel
Bild 7 (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 7 (Foto: Sammlung Demmel)
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Bild 7 (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 7 (Foto: Sammlung Demmel)

Der Stadtbezirk Allach-Untermenzing hat heute mit MAN, MTU und Krauss-Maffei die höchste Industriedichte in München. Von diesen Drei kann Krauss-Maffei (Bild 1) auf die längste historische Entwicklung, die in der Hirschau im Englischen Garten 1838 begann und ab 1932 (Bild 2) in München-Allach fortgesetzt wurde, zurückblicken. Das Bauerndorf Allach konnte sich nur zum bedeutenden Industriestandort entwickeln, weil im November 1867 die Bahnlinie München-Ingolstadt, deren 150-jähriges Bestehen wir in diesem Jahr mit einer Ausstellung im Diamalt-Kesselhaus feiern können, mit einem Bahnhof in Allach in Betrieb genommen wurde. Und Krauss-Maffei konnte sich erst an diesem Standort weiterentwickeln.

Bei den folgenden Betrachtungen geht es allerdings nicht um den Lebenslauf einer Fabrik und ihrer Belegschaft, sondern um von mir ausgewählte Mitglieder der Belegschaft, von denen jeder zu seiner Zeit, auf seine Weise und auf seinem Arbeitsplatz zum Erfolg der Firma Krauss-Maffei (KM) beigetragen hat. Geplant sind Darstellungen vom Konstrukteur bis zum Handarbeiter, und dies vor allem im Bereich Spritzgieß-Werkzeuge.

An den Anfang meiner Vorstellung von Personen will ich Herrn Dipl.-Ing. Roland Lacher (Bild 3) stellen, der Ende letzten Jahres zusammen mit seiner Frau Uta Ehrensenator der TU München wurde und auf eine beeindruckende technische und kaufmännische Karriere als selbständiger Unternehmer (Singulus Technologies AG) zurückblicken kann. Wie aber beginnt man? Herr Lacher: „Nach dem Studium des allgemeinen Maschinenbaus an der Technischen Hochschule München (heute Technische Universität) habe ich als junger Diplomingenieur im August 1968 bei Krauss-Maffei als Assistent des Betriebsdirektors, Peter Koch, meine berufliche Tätigkeit begonnen. Von August 1971 bis August 1974 war ich dort als Betriebsleiter des Werkzeug- und Formenbaus B36 tätig.“ Bei ihm ging es damals nicht um Lokomotiven oder Panzer, sondern um die Entwicklung einer Spritzgießanlage für die Herstellung von eckigen Mülltonnen im 1970 festlich eröffneten Kunststoffzentrum.

Laut Lacher erfolgte in den 60er Jahren ein erster Schritt, indem man Kunststoff anstelle von verzinktem Blech einsetzte. Zunächst war es also eine totale Kopie der üblichen Blechtonne, rund im Querschnitt und mit zwei Tragegriffen an der Seite zum Transport und Ankoppeln an die Hebeeinrichtungen der Müllfahrzeuge. Dann aber, so Lacher: „Im Jahr 1971 erschien eines Tages Herr Otto, Senior der Firma Otto (die neben einer anderen die Produktion der Mülltonnen in Deutschland beherrschte) bei uns mit der Zeichnung einer neuen Mülltonne, die aus Kunststoff ‚Niederdruck-Polyäthylen‘ – dem üblichen Material für Flaschenkästen – in einem Stück gespritzt werden sollte. Das Fassungsvermögen betrug 220 Liter (Bild 4). Der Querschnitt der Tonne war jetzt jedoch quadratisch, und die Tonne sollte auf zwei Rädern leicht bewegt werden können. Otto bestellte die erste Form für Tonne und Deckel im Paket zusammen mit einer 3.000 t Spritzgießmaschine bei Krauss-Maffei, während Sulo (die Konkurrenzfirma) die Firma Triulzi in Italien mit dem Bau einer 5.000 t Spritzgießmaschine beauftragte.

Das neue 220 Liter-Design, das man, wie Lacher heute noch mit Stolz erklärt, auch auf die 110 Litertonne übertrug, war eine echte Innovation im Spritzgießmaschinen-Bereich und setzte sich als neuer Standard durch. Heute sind diese Mülltonnen überall in Deutschland und teilweise auch im Ausland zu sehen und in verschiedenen Farben im Einsatz. Ein quadratischer Querschnitt kostet in Kunststoff-Verarbeitung nicht mehr als ein runder, die Aufhängungen für den Deckel und die Räder sind in die Tonne integriert, alles wird gleichzeitig als ein einziger Spritzling hergestellt.

Und wie das Leben so spielt, meldete sich bei mir Herr Clewing, den ich schon lange kenne, auch weil er der Senior in unserem Bezirksausschuß 23 ist und trotzdem zukunftsorientierter denkt als manch jüngeres Mitglied. Er war von Anfang 1956 bis Ende 1975 bei KM als Kaufmann beschäftigt und erinnert sich noch heute an Herrn Lacher, auch weil er mit diesem zusammen einen gravierenden Reklamationsfall, der noch aus der Zeit ihrer Vorgänger stammte, abzuwickeln hatte. Auch Herr Clewing (Bild 7) hatte nichts mit Lokomotiven und Panzern zu tun, sich aber viele Gedanken über den nun negativen Verlauf der bisher vorherrschenden Lokomotivproduktion bei KM gemacht. Und stellt dann fest, dass die Werkstätten geradezu nach Arbeit außerhalb des Lokbaus schrien. Diese Arbeit konnte aber nicht schnell genug durch eigene Neuentwicklungen geschafft werden.

Bald wurden für andere Unternehmen nach deren Konstruktionen große Komponenten oder auch ganze Maschinen gefertigt. Damit begann auch der Spritzgießmaschinenbau bei KM. In der Verfahrenstechnik zum Beispiel, dem ersten Arbeitsgebiet von Herrn Clewing, ergänzte man vorhandene Programme, die früher bei anderen Maschinenfabriken gebaut worden waren. KM entwickelte und baute größere Maschinen bis hin zu den von Herrn Lacher erwähnten Spritzgießmaschinen mit 3.000 t Schließkraft. Doch genug mit der Technik und von der Vergangenheit in die Gegenwart.

Beide Herren sind heute unterschiedlich im sozialen Bereich tätig. Herr Lacher fördert aus dem „Roland und Uta Lacher-Fonds“ (Bild 8) Nachwuchswissenschaftler an der TU München, Herr Clewing über „wohlBedacht e.V.“ in unserem Stadtbezirk die Betreuung von dementiell Erkrankten.

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