Veröffentlicht am 07.07.2017 09:18

„Halt und Sicherheit geben”


Von Rebecca Strohmeier
Foto: sko
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„Kindererziehung ist ein Beruf, wo man Zeit zu verlieren verstehen muss, um Zeit zu gewinnen”, schrieb Jean Jaques Rousseau. Den Kern dieser Aussage zu verinnerlichen, mag wohlmöglich eine der schwersten Lektionen des menschlichen Lebens sein, denn das Thema Erziehung ist nicht einfach nur etwas, worüber man sprechen kann, man muss es am eigenen Leib erleben und daran wachsen - zunächst auf Seiten des „Erzogenen“, anschließend aus der Perspektive des „Erziehenden“. Dass die eigene Erziehung später enormen Einfluss darauf hat, wie man die nächste Generation erzieht, ist kein Geheimnis. Jedoch lässt sich über die Generationen hinweg beobachten, dass sich das Bild einer „korrekten“ Kindererziehung zunehmend gewandelt zu haben scheint. Klischeehaft gesprochen geht man bei der heute alten Generation von einer nahezu autoritären Form aus, bei der vor körperlicher Züchtigung nicht zurückgeschreckt wurde. In der darauffolgenden Altersgruppe wurde das allseits bekannte Modell des „Laisser-faire“ immer populärer, bis dies schließlich in die sogenannte „antiautoritäre“ Erziehungsform gipfelte, die zunehmende Beliebtheit in der jungen Generation erlangt. Führen diese Unterschiede zu einem Generationskonflikt? Wird die Jugend wirklich immer respektloser vor dem Alter? Oder handelt es sich einfach um einen unaufhaltsam moderner werdenden Zeitgeist, der die traditionellen Umgangsformen über kurz oder lang ersetzen wird?

„Man ist das 'Spiegelbild' seines Kindes”

Die alte Generation: Günter Strohmeier, Vorstand der Karstadt AG im Ruhestand, 78 J.

Das Thema Erziehung ist eines, das in mir gemischte Gefühle erweckt. In den öffentlichen Verkehrsmitteln begegnet mir immer öfter eine enorme Freundlichkeit vonseiten der Jugend, die sehr zuvorkommend ihren Sitzplatz anbietet. Auf offener Straße herrscht jedoch regelmäßig eine Respektlosigkeit vor, die es in dieser Form früher niemals gegeben hätte. Entwicklungen wie diese lassen sich meiner Ansicht nach darauf zurückführen, dass sich die Erziehungsmethoden im Laufe der Jahre verändert haben. In den 1940er und 50er Jahren, meiner Kindheit, lehrte man vor allem eins: Respekt. Man setzte auf Autorität und Strenge in der Erziehung, achtete jedoch gleichzeitig darauf, seine Vorbildfunktion als Elternteil zu erfüllen. Man war gewissermaßen das „Spiegelbild“ seines Kindes, denn wie man sich selbst verhielt, so würde sich später einmal das Kind verhalten. Zu Zeiten des Wirtschaftswunders erlaubte die verbesserte finanzielle Situation vieler Familien ein höheres Maß an Lockerheit in der Erziehung. „Meinem Kind soll es einmal besser ergehen als mir.“ Man stellte die Erziehungsmethoden der eigenen Eltern infrage. „Laisser-faire“ war das neue Ideal. Die sogenannten „Schlüsselkinder“, deren Eltern sich zunehmend auf die Karriere konzentrierten, waren tagsüber auf sich allein gestellt. Mit dieser Lockerheit ging allerdings zunehmend die „Spiegelbildfunktion“ verloren. Aus meiner Sicht liegt das Hauptproblem der heutigen Zeit also darin, dass der Respekt, der in meiner Generation oberste Priorität in der Erziehung hatte, nicht mehr in jeder Familie vorgelebt wird.

„Fehler nicht als Problem ansehen”

Die mittlere Generation: Birgit Langseder, Lehrerin, 48 J.

Aus der Sicht eines Pädagogen bzw. Lehrers, ist Erziehung, d.h. der Prozess des Erwachsenwerdens, seit Jahren stark im Wandel. Insbesondere der Lehrberuf hat sich stark verändert. Viele Kinder werden inzwischen fremdbetreut und müssen sich auf verschiedene Bezugspersonen einlassen. Das fordert eine gemeinsame Linie aller Betreuer und ein klares Regelsystem. Zudem werden Schüler immer mehr in die eigene Verantwortung gezogen, um selbstständig zu handeln und zu denken. Kinder fordern immer stärker das Einhalten von aufgestellten Regeln und auch die Konsequenzen des eigenen Handelns, sie betteln förmlich nach Grenzen. Als Erzieher war es und ist es schon immer wichtig gewesen, seinen eigenen „Linien“ treu zu bleiben, den Weg zu weisen und beharrlich auf die Umsetzung zu achten. Nicht zuletzt ist der Erzieher, die Bezugsperson, der Lehrer ein Vorbild für die Jugend. „Hören wir doch auf unsere Kinder zu erziehen, sie machen uns sowieso alles nach!“ – frei nach Karl Valentin. Dieser Spruch ist nach wie vor aktuell, daran hat sich nichts geändert. Umso mehr ich selber so handle, wie ich es mir vorstelle, dass mein Erzogener zu handeln hat, umso sicherer kann ich sein, dass dies auch Früchte tragen wird. Ebenso erleichtern viele sinnvolle Rituale den Erziehungsalltag. Das fängt beim Aufstehen an und hört beim Zubettgehen auf. Verlässlichkeit gibt Kindern Halt und Sicherheit. Ein weiterer Punkt ist der Umgang mit Fehlern. Schüler sollten lernen, mit ihrem Fehlverhalten umzugehen und miteinander zu kommunizieren, um ihr eigenes Verhalten zu reflektieren und auch die Sichtweise anderer anzuhören. Dies kann nur in einer angstfreien Umgebung stattfinden, in der Fehler nicht als Problem angesehen werden.

„Gesunde Mischung wäre ideal”

Die junge Generation: Johannes Brasch, Abiturient, 20. J.

Was das Thema Erziehung angeht, lässt sich definitiv ein Entwicklungstrend über die Generationen hinweg beobachten. Meine Eltern sind recht autoritär vorgegangen, bis ich elf Jahre alt war. Schließlich muss einem Kind zunächst ein gewisser Rahmen aus Vorschriften und Regeln vorgegeben werden, um ihm ein grundlegendes Verständnis von „richtig“ und „falsch“ zu vermitteln. In der Pubertät wurde mir, nach dem Motto „aus Fehlern lernt man“, ein immer höheres Maß an Freiheit gewährt – was allerdings keineswegs bedeuten soll, dass meine Eltern mich bei schweren Entscheidungen nicht unterstützt hätten. Vergleicht man meine Erziehung mit der meiner Freunde, stellt man erstaunlich häufig deutliche Unterschiede in Bezug auf individuelle Freiheiten fest – die einen hatten mehr, die anderen weniger. Wenn ich einmal selbst die Perspektive des Erziehenden einnehme, werde ich wahrscheinlich an die Ansätze meiner Eltern anknüpfen. Ein gewisses Maß an Autorität ist besonders im Kindesalter wichtig, um gesellschaftliche Werte vermitteln zu können. Antiautorität in Reinform hingegen wird die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Gesellschaftsfähigkeit des Kindes sehr negativ beeinflussen, denn jegliches Fehlverhalten basiert auf einer mangelhaften Vermittlung von Normen und Werten und äußert sich insbesondere als Respektlosigkeit gegenüber seinen Mitmenschen. Auch das aufkommende „Helikopter-Eltern“-Phänomen ist strikt abzulehnen, denn es verwehrt dem Kind jeglichen Zugang zur Selbstständigkeit. Für mich persönlich wäre deshalb eine gesunde Mischung aus Autorität und Laisser-faire die Idealvorstellung von Kindeserziehung.

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