Veröffentlicht am 10.05.2017 09:14

„Sich der Realität stellen”


Johannes Beetz
Johannes Beetz
Chefredakteur
seit 1999 bei der Gruppe der Münchner Wochenanzeiger
Mitarbeit im Arbeitskreis Redaktion des Bundesverbands kostenloser Wochenzeitungen (BVDA)
Gewinner des Dietrich-Oppenberg-Medienpreises 2017 (Stiftung Lesen)
Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. (Foto: Imhof)
Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. (Foto: Imhof)
Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. (Foto: Imhof)
Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. (Foto: Imhof)
Hermann Imhof, Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung. (Foto: Imhof)

Lebenshelfer beantworten Fragen

Ab wann gelte ich als „pflegebedürftig?“

Hermann Imhof (Patienten- und Pflegebeauftragter der Bayerischen Staatsregierung) erklärt Begriffe und Grade:

Am 1.1.2017 ist mit dem Pflegestärkungsgesetz II der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt worden. Aktivitäten und Fähigkeiten des pflegebedürftigen Menschen werden nun in allen Lebensbereichen betrachtet. Pflegebedürftig nach § 14 SGB XI sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit aufweisen und deshalb der Hilfe von anderen bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, bestehen. Körperliche, geistige und psychische Einschränkungen werden nun gleichermaßen erfasst und in die Einstufung einbezogen.

Statt nach „Hilfebedarf in Minuten“ wird nun gefragt: „Was kann der pflegebedürftige Mensch selbst bewerkstelligen und wobei braucht er professionelle Hilfe und Unterstützung im Alltag?“ Hierzu hat der Gesetzgeber einen neuen Begutachtungsfragebogen entwickelt, mit dem der Grad der Selbstständigkeit des Versicherten durch den MDK in sechs verschiedenen Modulen gemessen und – mit unterschiedlicher, gesetzlich vorgegebener Gewichtung - zu einer Gesamtbewertung zusammengeführt wird. Daraus ergibt sich die Einstufung in einen Pflegegrad. Es gibt fünf verschiedene Pflegegrade.

Wenn die Eltern älter werden: Wie spricht man in der Familie Themen wie Alter, Krankheit und Pflege, Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht an?”

Fritz Schwarz (Leiter des Caritas-Hauses St. Nikolaus München-Schwabing) rät, offen und klar über Alter, Krankheit und Pflege sprechen:

Angst vor Pflegebedürftigkeit und schweren Erkrankungen hat jeder von uns, ob jung oder alt. Es kann in der Familie für alle Beteiligten eine befreiende Wirkung haben, wenn man offen darüber spricht, wie man im Alter leben möchte oder wer die Vorsorgevollmacht bekommen soll.

Ein allgemeines Rezept zum Umgang mit dem sicher heiklen Thema gibt es nicht. Ein wichtiger Aspekt ist, wie intensiv Eltern und erwachsene Kinder miteinander reden und wie vertraut sie sind. Bei den Themen „Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung“ ist es mir leicht gefallen. Ich habe meinen Eltern meine eigene Patientenverfügung und Vollmacht gezeigt und in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit für sie selbst thematisieren können. Dabei konnte ich auch Ängste vor einer Demenz ansprechen. Ebenso kann ein Zeitungsbericht oder eine Fernsehsendung einen guten Einstieg zum Gespräch bieten.

„Sich der Realität stellen”

Bei zunehmender Verschlechterung des Gesundheitszustandes eines Elternteils ist es wichtig, sich der Realität zu stellen. Man sollte den Eltern klar machen, dass sie die Augen nicht verschließen in der Hoffnung, dass es bald wieder besser wird. Im Internet, bei der Pflegehotline der Caritas, bei den Caritas-Zentren und in jedem Caritas-Altenheim kann ich mich schon vorab über die Versorgungsmöglichkeiten informieren und beraten lassen. Meist sind die Eltern über die Informationen zu den verschiedenen Möglichkeiten der Unterstützung dankbar und dann bereit, sich damit auseinanderzusetzen.

Oft gibt es ja Geschwister, mit denen die Eltern ebenfalls in gutem Kontakt sind. Dann ist es wichtig, sich auszutauschen und eine gemeinsame Linie unter den Geschwistern zu finden. Hier sollte man auch eigenen Ängste und Sorgen ansprechen. Unter uns Geschwistern haben wir dann vereinbart, dass jeder bei einer guten Gelegenheit das Gespräch mit den Eltern sucht.

Wo sind Grenzen?

Wenn es um konkrete Unterstützung geht, heißt es auch, klar Farbe zu bekennen, was ich leisten kann und wo die Grenzen sind. Als berufstätiger Angehöriger kann ich nur begrenzt für eine Versorgung zuhause zur Verfügung stehen. Es ist sehr hilfreich, wenn alle Beteiligten deutlich äußern, wie viel Zeit sie zur Verfügung haben und wo ihre Fähigkeiten liegen. Auch die Ängste, Erwartungen und Enttäuschungen müssen angesprochen werden, damit man gemeinsam einen Weg findet.

„Wie kann man sich ehrenamtlich im Bereich Pflege engagieren?”

Für Birgit Buckan (Fachreferentin Ehrenamtskoordination, Münchenstift) sind Ehrenamtliche als Entlastung eine wertvolle Hilfe:

Das Ehrenamt hat in der Münchenstift eine lange Tradition und stellt mit seinen heute 700 Frauen und Männern eine wichtige Qualitätssäule innerhalb des Pflege- und Betreuungsprozesses dar! Entscheidend zeichnet sich das Ehrenamt dadurch aus, dass es von pflegerischen Tätigkeiten klar getrennt ist. Ehrenamtliche spenden ihre Zeit und besuchen die Bewohnerinnen und Bewohner in den Häusern. Sie gehen mit ihnen im Garten spazieren, plaudern bei Kaffee und Kuchen, stöbern gemeinsam durch die Schlagzeilen der aktuellen Tagespresse, erledigen kleinere Besorgungen oder begleiten zu hausinternen Veranstaltungen und Ausflügen. Einige von ihnen leiten Spielegruppen, Musizierrunden, Sitztanzgruppen und laden zu Gesprächskreisen und Gedächtnistraining ein. Auch Kinder werden von Ehrenamtlichen zu Besuchen mitgebracht und stets mit großer Freude empfangen. Es gibt fast nichts, was die EhrenamtskoordinatorInnen in den Häusern mit den Ehrenamtlichen nicht schon möglich gemacht haben.

Wenngleich Ehrenamtliche nicht am Pflegeprozess beteiligt sind, so entlasten sie doch die Pflege für eine gewisse Zeit, in der sie ihre ganze Aufmerksamkeit den Bewohnerinnen und Bewohnern schenken. Ohne die zahlreichen ehrenamtlichen HelferInnen wären viele Zusatzangebote nicht umsetzbar. Daher trägt das Ehrenamt maßgeblich zur Verbesserung der Lebensqualität unserer Bewohnerinnen und Bewohner in der stationären Altenpflege bei.

Welche Wohnformen sind für Pflegebedürftige möglich?

Katja Drexel vom ASB München stellt das Konzept „Wohnen im Viertel” vor:

Häufig werden pflegebedürftige Menschen in ihrer eigenen Wohnung von ihren Angehörigen und / oder einem Pflegedienst bzw. einer Tagespflege versorgt. Auch Pflegewohngemeinschaften bis hin zu speziellen Wohngemeinschaften für Demenzpatienten gelten als komfortable Lösung.

„Wohnen im Viertel“ heißt das Wohn- und Betreuungskonzept, das der Arbeiter-Samariter-Bund München / Oberbayern e.V. (ASB) als Kooperationspartner der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GEWOFAG anbietet. Ziel dieser Wohnform ist es, Menschen auch bei zunehmender Hilfebedürftigkeit die Möglichkeit zu eröffnen, in ihrer vertrauten Umgebung weiter wohnen zu können. In einem Radius von 800 Metern werden alle Anwohner des jeweiligen Viertels beraten, unterstützt und pflegerisch versorgt.

Darüber hinaus stehen insgesamt 37 behindertengerechte Wohnungen zur Verfügung. Um hier einziehen zu können, müssen die Bewerber mindestens Pflegegrad 2 sowie Registrierbescheid vom Amt für Wohnen und Migration haben. In einer Pflegewohnung auf Zeit ist die Möglichkeit gegeben, z B. nach einem Krankenhausaufenthalt in einem möblierten, barrierefreien Appartement versorgt zu werden.

Zu jedem „Wohnen im Viertel“ gehört ein Wohncafé als lebendiger Treffpunkt für alle Bewohner des Viertels mit täglichem Mittagstisch, geselligen Veranstaltungen und Vorträgen.

Weitere Informationen unter Tel. 089 / 46136894 oder unter wiv@asbmuenchen.de .

„Wer hat Anspruch auf Kurzzeitpflege und was leistet Kurzzeitpflege?”

Dirk Spohd (Leiter Evangelisches Pflegezentrum Eichenau / Hilfe im Alter gGmbH der Inneren Mission München) erklärt, was Versicherten zusteht:

Seit Januar 2017 lösen die fünf Pflegegrade die bisher geltenden drei Pflegestufen ab. Demnach haben seit 01.01.2017 alle Menschen mit anerkanntem Pflegegrad 2-5 Anspruch auf Kurzzeitpflege. Zusätzlich können auch Menschen, die durch eine Krankheit oder einen Unfall plötzlich pflegebedürftig geworden sind, Kurzzeitpflege beanspruchen. Diese eignet sich hervorragend dafür, um Angehörige temporär bei der oft schwierigen häuslichen Pflege zu entlasten oder plötzlich auftretende Krisensituationen z.B. nach Schlaganfall aufzufangen.

In solitären Kurzzeitpflegeeinrichtungen können Sie auch langfristig im Voraus einen Pflegeplatz buchen. Die Versicherten / Pflegebedürftigen haben Anspruch bis zu einem Gesamtbetrag von 1.612 Euro im Jahr auf Kurzzeitpflege. Unter bestimmten Voraussetzungen kann dieser Leistungsbetrag aus noch nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Ersatz- / Verhinderungspflege auf insgesamt bis zu 3.224 Euro im Kalenderjahr erhöht werden.

Für zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen erhalten Pflegebedürftige seit 01.01.2017 einen monatlichen Betrag in Höhe von 125 Euro. Diese Beträge können im Rahmen einer Kurzzeitpflege für die Unterbringungskosten verwendet werden. Vom Versicherten ist ein täglicher Eigenanteil zu leisten. Dieser setzt sich aus den Kosten für Unterkunft und Verpflegung und Investitionskosten zusammen.

north