Veröffentlicht am 20.04.2017 13:18

Geschichten rund um die Diamalt AG


Von Walter G. Demmel
Bild 3: Bäckerei Schmid (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 3: Bäckerei Schmid (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 3: Bäckerei Schmid (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 3: Bäckerei Schmid (Foto: Sammlung Demmel)
Bild 3: Bäckerei Schmid (Foto: Sammlung Demmel)

Über ein Jahr habe ich mich mit der Geschichte der „Diamalt AG“ (Bild 1) beschäftigt und viel erfahren über Personen, die dort Jahre oder gar jahrzehntelang gearbeitet haben, einige davon habe ich in meinem Diamaltbuch in ihrem Wirken hinreichend beschrieben. In diesem Beitrag geht es um einige Geschehnisse, die von verschiedenen Personen erzählt werden und wahr sind. Sie sind auf der Suche nach Zeitzeugen entstanden, die nicht direkt mit dem Diamaltwerk etwas zu tun hatten, sondern als Außenstehende, damals meist Kinder oder Jugendliche, die Diamalt zu sehen, hören oder riechen bekamen.

1. Ein verhängnisvoller Pullover: Herr K. erinnert sich

Als der damals noch junge Mann S. K. vom 2. Weltkrieg zurückkam, hatte ihm seine Mutter einen Pullover gestrickt, der eine besondere Geschichte hatte. Er bestand nämlich aus den Fäden eines Diamaltsackes, und die Geschichte entwickelte sich so: Die Mutter wollte sich nämlich zuerst, wie viele Allacher und Untermenzinger Bürger beim Einmarsch der Amerikaner am 29.04.1945, aus der gestürmten Diamaltfabrik einiges „beschaffen“. Es ging bei der Bevölkerung hoch her um Bonbons, süße Nahrungsmittel, den flüssigen Malzextrakt oder auch um Zucker in Säcken. In Ermangelung eines Diamalt-Zuckersackes sei im Bild 2 ein echter Diamaltsack aus der Diamaltproduktion gezeigt, aber mit Polyzim, einem Lederbearbeitungsmittel. Die anderen Mitbürgerinnen – die meisten Männer waren ja nun in Gefangenschaft – sind aber vermutlich schneller gewesen, und so verblieben der Mutter des jungen Mannes nur leere Zuckersäcke, die sie mit anderen unzulässigen „Errungenschaften“ nach Hause nahm, diese in Einzelfäden auflöste und aus ihnen einen Pulli für ihren in der Gefangenschaft befindlichen Sohn strickte. Diesen kräftigen und warmen Pulli konnte dieser nach seiner Rückkehr zu einer Zeit, in der es keine Textilien zu kaufen gab, gut gebrauchen. Als er aber einmal – als junger Mann natürlich ohne Regenschirm – in einen kräftigen Regen geriet, wurde der Pulli durch und durch naß und klebte fast am Körper. Zu Hause wollte er ihn ausziehen, merkte aber schnell, dass der Pulli sehr eng geworden war, und zwar so eng, dass er ihn selbst nicht mehr ausziehen konnte. Nach vielen vergeblichen Versuchen mußte die Mutter ihren Sohn mit Hilfe einer Schere aus dem verfilzten Pulli herausschneiden. Der Sack war vermutlich mit einem wirksamen Diamalt-Textilmittel präpariert worden.

2. Für einen Lehrling zu schwer: Herr Schmid erinnert sich

Der Senior der heutigen Untermenzinger Bäckerei Schmid erzählte mir folgende Geschichte. Wenn in der Backstube der Schmids (Bild 3) das Diamalt, das seit seiner Einführung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in fast jeder Bäckerei in München und seinen Vororten zum Backen von Brot und Semmeln verwendet wurde, zu Ende ging, schickte man den Seppi, der bei seinem Vater lernte, los, um in der Fabrik in Allach drüben wieder einen Sack Diamalt zu holen. Und dieser machte sich immer mit einem Bäckerrad auf den Weg, der nicht allzu weit war, auf dem aber die alte, enge und in den Einfahrten steile Karl-Gayer-Unterführung überwunden werden mußte. Unbeladen konnte die Hinfahrt eine schöne Pause vom väterlichen Bäckereibetrieb sein, aber die Rückfahrt mit dem zentnerschweren Diamaltsack im Fahrradkorb stellte eine Belastung dar, die der 14-jährige Lehrling beim östlichen Aufgang selten schaffte. Er war dann immer auf Bürger angewiesen, die zufällig des Weges kamen und kräftig mit anschoben. Für den heutigen Schmid Senior, der sich gut daran erinnert, waren diese Fahrten für den Betrieb eine willkommene Abwechslung, aber auch eine ganz andere Erfahrung mit Diamalt als in der Backstube.

3. Kinderzeit im Krieg: Frau Weber erzählt

„Die nächtlichen Fliegeralarme waren schrecklich. Wir hatten auf dem Keilhaus (Bild 4), Ecke Georg-Reismüller-/Ludwigsfelder Straße, eine Sirene, da das Haus etwas höher war als die Häuser der Umgebung. Deshalb hieß es bald nicht mehr Keil-, sondern „Sirenenhaus“. Der nächtliche Alarm der Sirene riss die Erwachsenen förmlich aus dem Schlaf, die elterliche Anspannung war groß, weil meine jüngere Schwester und mein kleiner Bruder geweckt, angezogen und gleichzeitig beruhigt werden mussten, was in der allgemeinen Aufregung nicht einfach war. Ich hatte mich auf den Bettvorleger gelegt und weitergeschlafen, bis es die Eltern bemerkt hatten, und dann musste es schnell gehen. Mit ihrer Hilfe wurde auch ich angezogen, und wir machten uns auf den Weg zum Erdbunker, der uns durch unseren Garten auf einen Pfad innerhalb des Diamaltgeländes zum Bunker führte. Es war meistens kalt und sehr dunkel und – so jedenfalls meine Erinnerung – eine gespenstische Stimmung. Am Nachthimmel standen die uns Kinder beeindruckenden „Christbäume“, die die Angriffsziele für die feindlichen Bomber markierten. Langsam kam auch schon mit einem beißenden Geruch der künstliche Nebel gekrochen, der die Umgebung in Undurchsichtigkeit tauchte. An der Würm und einigen anderen Stellen gab es Vernebelungsmaschinen, die das helfende Weiß verbreiteten. Taschenlampen waren verboten, damit die Flugzeugpiloten keinen Lichtschein erkennen konnten. So erreichten wir stolpernd vor Müdigkeit unter gutem Zureden der Eltern den Erdbunker. Er lag ca. 200 m vom Wohnhaus entfernt, kurz vor dem Büro und dem Laborgebäude, früher auch Beamtenwohnhaus genannt. Der Bunker bestand aus einem schlauchartigen Raum mit Bänken an der Wand und ein paar Decken drauf und hatte eine nur spärlich flackernde Beleuchtung. Einfach unheimlich für uns Kinder! Die Stimmung der Erwachsenen war immer bedrückend, weil jeder versuchte, seine Ängste zu verbergen, und keiner wußte, ob man in dieser Nacht wieder heil aus dem Erdbunker in die Wohnung zurückkehren konnte.”

4. Kinderzeit im Frieden: Herr Essig erzählt

„Mit meinen Geschwistern, die älter waren als ich, wohnte auch ich in dem nach dem Bauherrn benannten „Keilhaus“. Die Sirene hatte ihre Rolle ausgespielt, wir erlebten als Buben die Nachkriegszeit. Mein Freund Bastl und ich hatten ein reichhaltiges Angebot zum Spielen. Wir tummelten uns in den ausgebaggerten Gruben, in denen die Abwässer der Diamaltfabrik landeten, oder wir trieben uns im Gelände herum, aber erst nach Dienstschluss, wenn die Betriebspfeife ertönte. Tagsüber waren wir nach Schulschluss im Garten anzutreffen, aber Samstagnachmittag und Sonntag gehörte das Firmengelände uns. Da stand meistens Rollwagenfahren auf dem Plan. Wir mussten die Loren beim Maschinenhaus abholen und dann durch Weichenstellung auf das richtige Gleis bringen. Da waren wir oft zu viert oder fünft. Zwei schoben und drei klammerten sich am Rahmen fest. So ging es in „rasender Fahrt“ durch das Gelände. Entgleiste eine der Loren, ließ man sie einfach liegen und machte sich sogleich aus dem Staub. Am nächsten Tag stand sie dann wieder am Maschinenhaus, wo sie für Kohlen gebraucht wurde. Zum Fabrikareal gehörte auch ein Garten, in dem ein angestellter Gärtner Gemüse großzog, das man für die Betriebskantine benötigte. Vom angepflanzten Rhabarber stibitzten wir sooft wir konnten, er schmeckte im Rohzustand zwar stocksauer, aber nicht einmal das nachfolgende Bauchweh konnte uns davon abhalten. In der Nähe der Bahngleise befand sich ein Stallgebäude, in dem wir trotz des vielen und verschiedenen Groß- und Kleingetiers stundenlang spielten. So waren dort auch zwei Ochsen (Bild 5), die als Zugtiere für allerlei Dienste benötigt wurden. Öfter sprangen wir auch als Mutprobe von der Tenne in das darunterliegende Heu. In einer Remise fanden wir einen alten verrosteten Opel P4 und einen Lastwagen älterer Bauart, fahruntüchtig, aber ideal zum Spielen.

north