Veröffentlicht am 26.09.2016 08:51

Ein HJ-Heim in Untermenzing?


Von Walter G. Demmel
Bild 2 (Foto: Stadtarchiv)
Bild 2 (Foto: Stadtarchiv)
Bild 2 (Foto: Stadtarchiv)
Bild 2 (Foto: Stadtarchiv)
Bild 2 (Foto: Stadtarchiv)

Wenn man an diesem Wohnhaus Von-Reuter-Str. 1/Ecke Allacher Straße (Bild 1) vorbeikommt, dann sieht man nichts, was einen an eine belastete Vergangenheit erinnern könnte. Es ist unscheinbar und sehr gepflegt, nicht denkmalgeschützt, aber es ist doch eine etwas unangenehme Erinnerung an eine Zeit, die wir zwar hinter uns gelassen, aber nicht vergessen haben, die Zeit des sog. Dritten Reiches (Bild 2).

Die deutsche Jugend war der Motor der nationalsozialistischen Erziehung, und wer die Jugend hatte, hatte die Zukunft in seiner Hand. Dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) ab 1933 überhaupt als einzige politische Partei in Deutschland agieren konnte, lag auch an der kalkuliert eingesetzten Begeisterungsfähigkeit und Verführbarkeit junger Menschen. Der Nationalsozialismus war eine extrem junge Bewegung, die es schaffte, mittels Lagerfeuerromantik, Kameradschaft und Gemeinsinn die Jugend für ihre Ideologie und Weltanschauung zu begeistern.

Deshalb mußte Untermenzing, das damals etwa 4000 Einwohner hatte, ein Heim für seine Hitlerjugend (HJ) bekommen; die NSDAP förderte auch hier den Aufbau einer starken HJ- und BDM- (Bund Deutscher Mädel) Gruppe. Schon seit 1935 war der Bau auf einem Gemeindegrundstück unweit der Angerlohe an der Ecke der damaligen Moosacher- und Alleestraße geplant, die Pläne stammten vom damals bekannten Untermenzinger Architekten Alfred Bayrle (Bild 3), heute gehört der Grund der Landeshauptstadt.

Das noch bestehende Gebäude wird seit der Nachkriegszeit als Wohngebäude genutzt, die derzeitigen Bewohner besitzen ein zugesagtes Wohnrecht bis zu ihrem Ableben. Um 1980 bauten sie das Haus, in dem vorher zwei Parteien im Obergeschoß und zwei im Erdgeschoß wohnten, nach ihren Vorstellungen total um. Sie erzählten mir auch, und daran erinnern sich andere alte, mir bekannte Untermenzinger auch noch, dass in ihrem Haus bei der Währungsreform 1948 nicht nur das sog. Kopfgeld ausgegeben wurde, sondern auch die Bezugscheinstelle für Lebensmittelmarken im Stadtteil eingerichtet war. Zur Überbrückung wurde ein Betrag von 40 Mark pro Person festgesetzt, ausgehändigt wurden zunächst nur 20 Mark, einen Monat später gab es die restlichen 20 Mark. Die nach dem Krieg ausgegebenen Lebensmittelmarken galten zwischen 1945 und 1950. Auch an diese schwierige Nachkriegszeit denkt man nicht mehr gern. Aber die Bewohner sind stolz, dass sie diese Vergangenheit auf ihre Art „bewältigt“ haben.

Am 7.9.1937 berichteten die „Münchner Neuesten Nachrichten“, dass sich der Ortsgruppenleiter Hennemann zusammen mit dem letzten Untermenzinger Bürgermeister Grandl schon seit längerer Zeit um ein schönes HJ-Heim bemühten. Es sollte ein Sammlungsgebäude für rund 150 Jugendliche werden. Der erste Spatenstich erfolgte nach Ausstellung des Bauscheins (Bild 4) am 3.5.1937 in Anwesenheit des Bürgermeisters, der Gemeinderäte, der politischen Leiter vor Ort, die alle zu Wort kamen, und zahlreicher Bevölkerung. Wie im Jahr 1938 das Allacher Bad, wurde auch die Jugendheimstätte als Gemeinschaftsarbeit hergestellt. Die politischen Leiter gingen in freien Abendstunden mit Pickel, Schaufel und gutem Beispiel voran, die Fundamentarbeiten erledigten die Gemeindearbeiter, sämtliche am Bau und an Lieferungen beteiligte Firmen leisteten ansehnliche Materialspenden, viele Vereine und Privatpersonen trugen mit Geldspenden zum Bau bei. Die Lagepläne, Baupläne und Spenderlisten, die aus dem Münchner Stadtarchiv stammen, liegen mir vor und sollen demnächst wie bei der letzten Ausstellung zum Aushang kommen. So wurden z.B. von einer Firma 4000 Ziegel und von einem Verein 200 Reichsmark gespendet, die Firma Kirsch & Söhne dagegen weigerte sich, Spendenaufrufen dieser Art nachzukommen.

Hier die Spendenliste in Reichsmark: Fußballverein 0, Kaninchen- Geflügelzüchterverein 30, Katholischer Arbeiterverein 10, Niederbayernverein 50, Oberpfälzerverein 15, Veteranen- und Kriegskameradschaft 40, Freiwillige Feuerwehr 20, Siedlungsverein Nord-West e. V. 20, Schützengesellschaft „Schützentreu“ 25, Baugenossenschaft Hartmannshofen 100, Siedlungsgenossenschaft Neulustheim 200, Grund- und Hausbesitzerverein 10.

Nach etwa einjähriger Bauzeit konnte das HJ-Heim zur Nutzung übergeben werden. Am Sonntag, den 27.9.1938 stand Untermenzing, das in den nächsten Tagen nach jahrelanger Gegenwehr eingemeindet wurde, im Zeichen der Einweihung. Der Bau besaß im Erdgeschoß einen großen Raum für die HJ- und Jungvolkangehörigen und ein Führerzimmer, im ersten Stock waren ein Gemeinschaftsraum für die Angehörigen dea BDM sowie eine kleine Wohnung für den Heimverwalter. Ein Duschraum mit Aus- und Ankleidegelegenheit befand sich im Keller. Wer im Einzelnen zur feierlichen Einweihung alles erschienen war, kann später nachgelesen werden. Die Baukosten betrugen insgesamt 20.000 RM, dabei war der Wert der Arbeit mit 450 RM, die Sachspenden mit 550 RM, ein Zuschuß der Reichsführung der HJ mit 2500 RM, der Gemeindebeitrag mit 16500 RM verrechnet. Andere Quellen beziffern den Wert der reinen Gemeinschaftsleistung sogar mit ca. 7000 RM. Später wurden im Keller noch Luftschutzräume eingebaut.

Am 29.11.1938 schrieben die Münchner Neuesten Nachrichten“: „Mit dem Wunsche, dass die Angehörigen der HJ in den Räumen des neuen HJ-Heimes im Sinne des Nationalsozialismus und seines Führers leben sollen, übergab Ortsgruppenleiter Hennemann im Auftrag des Bürgermeisters Grandl das Heim der Jugend von Untermenzing.“ Und am 30.11.1938 der Völkische Beobachter, das publizistische Parteiorgan der NSDAP: In einer vormittägigen Feierstunde wurde am Sonntag das neue Heim der Hitler-Jugend an der Moosacher Straße seiner Bestimmung übergeben (siehe Zeitungsausschnitt Bild 5).

Heute ist auf dem Anschlussgrundstück in der Von-Reuter-Straße 3 das Jugendzentrum „orange planet“ (Bild 6) untergebracht, das die Merkmale unserer Zeit und unserer demokratischen Gesinnung trägt. Ein schöner Zufall! Das Jugendheim ist ein guter Nachbar geworden. Man versteht sich bestens.

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