Wenn er daran denkt, leuchten seine Augen. Herr Martini fährt nach Italien. Schon bald geht's los. Mit dem Zug. 16 Jahre hat er seine Schwester nicht gesehen, jetzt möchte er sie überraschen. Alleine könnte sich Herr Martini das Bahnticket nicht leisten, denn er ist obdachlos, muss jeden Cent sparen. Der 51-Jährige lebt im Wohnheim an der Chiemgaustraße des Katholischen Männerfürsorgevereins München e.V. (KMFV). Dass er die Reise dennoch antreten kann, hat er dem Engagement eines noch recht jungen Vereins zu verdanken: dem „Schneekönige e.V.”.
Herr Martini nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse und strahlt. Seit 15 Jahren lebt er in München und war lange in der Gastronomie tätig. Dann wurde er arbeitslos und verlor auch noch seine Wohnung. Jetzt kann es Herr Martini kaum noch erwarten, seine Schwester wieder in die Arme zu schließen. Ein Spaß wird das. Er hat sich das schon genau überlegt. „Ich werde sie kurz vor meiner Ankunft anrufen und ihr sagen ,Schwester, koch Spaghetti, in zehn Minuten bin ich da”, sagt er. Martini – das ist sein Künstlername, so steht es auf seiner Visitenkarte. Er spielt so gerne Gitarre, erst kürzlich wieder auf dem Sommerfest des Wohnheims. Das gibt ihm Kraft und Freude am Leben.
Wie wichtig diese Kraft für obdachlose Menschen ist, das wissen auch Conny Pagel und Kathleen Bachmeier-Weise von den „Schneekönigen”. Gemeinsam mit Unterstützung aus dem Freundeskreis und der Familie hat Conny Pagel im Oktober vergangenen Jahres den Verein gegründet. Seit Anfang des Jahres kam mit Kathleen Bachmeier-Weise eine weitere tatkräftige Unterstützerin hinzu. Erklärtes Ziel der „Schneekönige”: Herzenswünsche wohnungsloser Menschen erfüllen. „Wir haben recherchiert und festgestellt, dass es wenig im Bereich der Obdachlosenhilfe gibt”, sagt Vereinsvorsitzende Conny Pagel. Die Zahl der wohnungslosen Menschen nehme zu. München verfüge zwar über ein gutes Hilfssystem, doch die Erfüllung individueller Wünsche sei schwierig. „Gerade Menschen, die entweder auf der Straße oder in Notunterkünften leben, stehen am Rande der Gesellschaft. Sie haben meist niemanden, der ihnen eine Freude macht”, sagt Conny Pagel. „Wir wollen mit der Erfüllung von Herzenswünschen diesen Menschen Nahrung für die Seele und Hoffnung geben.” Zudem solle dadurch den Obdachlosen Beachtung und Respekt entgegengebracht werden. „Sie sollen erleben, dass sich jemand für sie interessiert”, so Pagel.
Aus diesem Grund haben die „Schneekönige” schon bald nach ihrer Gründung Kontakt mit dem Frauenobdach Karla 51 aufgenommen. Diesem Kooperationspartner folgte einige Wochen später der KMFV, so dass sowohl Frauen als auch Männer beschenkt werden können.
Glücklich über diese Kooperation ist auch Eva Fundel, Leiterin der Einrichtung in der Chiemgaustraße. „Wir haben nicht viele Spenden und freuen uns deshalb umso mehr, dass wir Herzenswünsche erfüllen können”, sagt sie. „Die ,Schneekönige' fragen nach, was wir brauchen und was sinnvoll ist.” Und Sabine Zäuner, Sozialarbeiterin im Haus, ergänzt: „Wir treten an die Bewohner heran und fragen nach Wünschen. Dabei ist uns aber wichtig, dass wir erst einmal schauen, was derjenige selbst leisten kann. Wir sagen den Bewohnern ganz klar was geht und was nicht. Ein Wunsch muss gut begründet sein. Denn das hier ist kein Freifahrtschein nach dem Motto ,hier krieg ich was für ohne'.”
Eine Vielzahl von Wünschen konnten die „Schneekönige” bereits erfüllen. Finanziert werden die Geschenke über Spenden. Auf seiner Internetseite dokumentiert der Verein sowohl die bereits erfüllten Wünsche als auch die noch offenen. Bereits realisiert wurden Dinge wie Schuhe, Fahrräder, Laptops, eine Gleitsichtbrille oder eine Tierarztrechnung. „Manchmal”, sagt Conny Pagel, „kommt es bei der Übergabe der Geschenke zu einem persönlichen Zusammentreffen, manchmal auch nicht. Wir respektieren da den Wunsch der Beschenkten.” Wenn es zu einem Kennenlernen komme, sei das häufig sehr emotional. „Es ist auch für uns ein schönes Gefühl, jemandem eine Freude mit Dingen zu machen, die für uns selbstverständlich sind”, sagt Kathleen Bachmeier-Weise. „Wir wissen, was es den Leuten bedeutet und können den Wunsch gut nachvollziehen.” Ein Geschenk gebe nicht nur Hoffnung, sondern auch Lebensmut. „Das hilft, an eine bessere Zukunft zu glauben.”
Mit einer ganz besonderen Aktion treten die „Schneekönige” derzeit an obdachlose Menschen heran. „Wir verteilen passend zur warmen Jahreszeit Geschenkpäckchen mit Obst, Sonnencreme, Pflegesets und Sonnenbrillen. Denn Obdachlose frieren nicht nur im Winter, sie schwitzen natürlich auch im Sommer und brauchen Schutz vor der Sonne”, sagt Conny Pagel. In Sendling habe man die Aktion gestartet. „Wir haben 30 Päckchen rund um den Harras verteilt, außerdem am Hauptbahnhof und in der Altstadt.” Weitere 50 seien geplant. „Davon werden wir 30 Tüten an Karla 51 übergeben zur Verteilung bei der täglichen Essensausgabe”, so Conny Pagel.
Wenn sich Eva Fundel etwas von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter wünschen dürfte, dann das: „Eine kleine finanzielle Spielwiese, denn es tut den Menschen hier gut, etwas zu erleben.” Einige würden sich zum Beispiel gerne eine Fußpflege gönnen. „Dieses Haus ist nicht nur Endstation. Es gibt einen Weg nach draußen. Dazu braucht man gesunde Füße”, erklärt Eva Fundel.
Herrn Martinis Weg führt jetzt erst einmal nach Süditalien. Er wird seine Schwester in die Arme schließen und Spaghetti essen. Darauf freut er sich so sehr. Wie ein Schneekönig.
Mehr Infos über die „Schneekönige e.V. gibt es unter www.Schneekoenige.org im Internet.