Wer schreibt denn heute noch Briefe? Das ist die erste Frage, die Renate Nebas zu hören bekommt, wenn sie von der Briefseelsorge erzählt. Ihre Antwort: Menschen, die über etwas, das sie bedrückt, besser schreiben als reden können. Wer sich seinen Kummer von der Seele reden möchte, kann sich anonym und kostenlos an die Telefonseelsorge wenden. Nach demselben Prinzip hilft die Briefseelsorge schriftlich. Gegründet wurde sie vor 38 Jahren von Werner Jentsch, Professor an der Fachhochschule für Religionspädagogik in Pasing. Renate Nebas studierte bei ihm und arbeitet so von Anfang an ehrenamtlich in der evangelischen Briefseelsorge mit, die sie seit vielen Jahren und bis heute de facto leitet. Sie ist 83 Jahre jung.
Die meisten Briefe sind von Hand geschrieben. Von Menschen, die in Partnerschaftsproblemen stecken, die Konflikte mit ihren alt werdenden Eltern haben, die Zweifel und Schuldgefühle haben, die einsam sind, oder in Haft. „Es ist, als schriebe ich in mein Tagebuch, nur gibt es jetzt Antwort”, schrieb eine junge Frau einmal zurück. Oft entstehen längere Briefwechsel zwischen den Ratsuchenden und den ehrenamtlichen Mitarbeitern der Briefseelsorge. „Wir sind alle sehr darauf bedacht, keine Ratschläge zu geben, das hat zu viel von schlagen”, erklärt Renate Nebas. Einen „Erstbrief” liest sie aufmerksam, fühlt sich ein, sucht nach guten Ansätzen, die sie positiv verstärken kann, gibt Denkanstöße, ermutigt, hakt ein. Und nimmt sich viel Zeit dafür.
Etwa 2000 Briefe gehen pro Jahr ein. Aus 20 Mitarbeiterinnen und zwei Mitarbeitern besteht das ehrenamtliche Team. Es sind Leute aus den verschiedensten Berufen und unterschiedlichen Alters, die viel Lebenserfahrung und Engagement mitbringen. Sie wohnen in ganz Deutschland verstreut und treffen sich zu drei Studientagen pro Jahr. Da werden auch Fallbeispiele besprochen, natürlich immer anonym. Die eingehenden Briefe öffnet Renate Nebas zusammen mit dem Referatsleiter im Landeskirchenamt und überlegt, welche Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter dazu am besten passt. „Oft denke ich: Wem kann ich diesen Brief zumuten? Gerade wenn er sehr lang oder kompliziert ist. Meistens nehme ich ihn dann selber mit.”
Die evangelische Landeskirche hat ein Budget für die Briefseelsorge, ein sehr kleines, aber immerhin. Daraus wird das Porto für die Briefe bezahlt und gerade wurden Flyer gedruckt und kleine Kärtchen mit der Adresse der Briefseelsorge, die ausgelegt werden können. Auch eine E-Mail-Adresse ist darauf angegeben. Einige wenige Briefwechsel finden auch per E-Mail statt. Und: „Wir bekommen manchmal Anfragen per E-Mail mit der Bitte, per Brief zu antworten”, erzählt Renate Nebas. „Einen Brief zu bekommen, das ist auch heute noch für viele Leute wie ein Geschenk. Wir achten auf schöne Briefmarken, schreiben, wenn es gewünscht wird, mit der Hand. Einen Brief kann man anfassen, in die Tasche stecken und mitnehmen. In einem Fall habe ich eine Frau zu einem Behördengang ermutigt. Sie hat mir dann geschrieben, sie habe sich an dem Brief festgehalten.”
Das Briefeschreiben biete Chancen und Grenzen. Zum einen könnte sich in der Zwischenzeit bis zur Antwort schon etwas geändert haben, zum anderen gebe es die Gefahr von Missverständnissen. Interessanterweise kämen die meisten Anfragen von Leuten im Alter zwischen 30 und 55 Jahren, „also einer Personengruppe, die in der Kirche kaum vorkommt.” Religionszugehörigkeit und Konfession spiele bei ihrer Arbeit keine Rolle: „Ich glaube, ich darf sagen, dass ich der katholischen Kirche so manchen Gläubigen erhalten habe”, schmunzelt Renate Nebas. Sie ist 1966 mit ihrem Mann nach München gekommen, und als das jüngste ihrer drei Kinder eingeschult war, hat sie ihr Religionspädagogik-Studium begonnen. Anschließend hat sie bis zum Ruhestand an Berufsschulen Jugendliche in evangelischer Religionslehre unterrichtet. Deshalb hat sie von Anfang an häufig die Briefe von Jugendlichen übernommen, was bis heute so geblieben ist.
Was ihr an der Arbeit Freude macht? „Jeder Antwortbrief macht mir große Freude. Wenn ich merke, dass ich nicht ganz daneben gelegen habe.” Wichtig sei ihr, dass niemand die Briefseelsorge als Konkurrenz betrachte, sondern als Ergänzung zu anderen Seelsorgebereichen. Eben für diejenigen, die lieber schreiben als reden.
Die Adresse:
Evangelische Briefseelsorge
Postfach 60 03 06
81203 München
E-Mail: seelsorgereferat@elkb.de