Veröffentlicht am 18.08.2014 11:03

„Wir haben eine üppige Tafel an Möglichkeiten für jeden”


Von Patrizia Steipe
Foto: imp
Foto: imp
Foto: imp
Foto: imp
Foto: imp

Es gibt mehr offene Lehrstellen als Bewerber, im Handwerk fehlen Auszubildende und im Erziehungsbereich können aus Personalmangel Kindergruppen nicht eröffnet werden. Dazu kommt der demographische Wandel, der die Situation in den nächsten Jahren noch verschärfen wird. Steuern wir kopflos in den Fachkräftemangel oder gibt es Maßnahmen und Konzepte, um die Situation in den Griff zu bekommen? Das waren die Fragen, zu denen unsere Experten beim Sommergesprächs im Hirschgarten Stellung bezogen.

„Es gibt ihn nur in manchen Bereichen”

Einen generellen Fachkräftemangel mochten die Teilnehmer nicht bestätigen. „Es gibt ihn nur in manchen Branchen, Regionen und Bereichen”, erklärte Guido Werl. So würden Mechatroniker fehlen, Fachkräfte im Energiebereich, Maschinenbau, in der Gesundheit, Erzieher, Pfleger, Bäcker. Und der Fachkräftemangel werde laut Prognosen in einigen Bereichen sogar bis 2030 steigen, ergänzte Peter Kammerer. Zum Beispiel bei der Malerinnung. „Wir haben einen Rückgang in den Ausbildungszahlen, der ist zwar nicht dramatisch, aber liegt konstant im einstelligen Bereich”, erklärte Uli Faßnacht. Auch er geht davon aus, dass der Rückgang sich in den nächsten Jahren fortsetzen werde.

„Es ist keine Überraschung”

Allerdings ist die Situation seit langem prognostiziert worden und keine Überraschung. Von „kopflos” könne keine Rede sein, versicherten die Fachleute. „Prognosen sind dafür da, dass man Maßnahmen einleitet, damit sie dann nicht mehr eintreffen”, sagte Kammerer. Er glaubte fest daran, dass dank attraktiver Angebote zukünftige Fachkräfte gefunden werden können. Die Experten am Tisch zählten eine Reihe von Konzepten auf, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, um die Anforderungen an ältere Arbeitnehmer durch Qualifizierungsmaßnahmen anzupassen oder um die vergleichsweise niedrigen Ausbildungsquoten von Menschen mit Migrationshintergrund anzuheben.

Offene Türen: Abbrecher auffangen

Trotzdem – befriedigend ist die Situation noch nicht. „Es gibt noch viel Handlungsbedarf für alle Beteiligte”, gab Kammerer zu. Das war das Stichwort für Guido Werl: Die Arbeitsagentur versuche auf verschiedenen Ebenen dem Fachkräftemangel gegenzusteuern. In den Schulen gibt es intensive Berufsberatung, die „stille Reserve” der Hausfrauen und –männer soll durch Kurse und Fortbildungen motiviert werden, wieder in den Beruf einzusteigen, auch Studien- und Ausbildungsabbrecher sollen aufgefangen und in neue Ausbildungsverhältnisse vermittelt werden. Außerdem sei die Arbeitsagentur offen für neue Ideen. Gemeinsam mit den Arbeitgebern könnten neue Ideen und Strategien entwickelt werden. „Unsere Türen stehen offen für Kooperationen”, versprach Werl.

Solche Projekte klangen in den Ohren der Tischrunde vielversprechend. Doch die tollsten Konzepte nützen nichts, wenn sie nicht angenommen werden. „Uns fehlen die Kunden”, bedauerte Werl. Zum Beispiel bei der Teilzeitausbildung. Sie sei ein hervorragendes Mittel, um beispielsweise Müttern mit Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Von den Zahlen her müsste eine rege Nachfrage nach einer solchen Qualifizierung bestehen, doch die Realität sieht anders aus.

„Frauen sind nach der Geburt weg”

Ursula Roßgoderer hat zwar keinen Rückgang der Anmeldungen an ihrer Schule festgestellt und „nach einem dreiviertel Jahr konnten wir sogar eine Klasse auflösen, weil alle über Praktika in den Einzelhandel vermittelt werden konnten”, aber auf der anderen Seite gibt es eine hohe Abbrecherquote, „diese Jugendliche verschwinden einfach”, berichtete die Berufsschullehrerin. Darunter sind viele schwangere Frauen „98 Prozent der Frauen sind nach der Geburt weg“. Hier müssten flexible Teilzeitausbildungen angeboten, aber auch angenommen werden.

„Es tobt der Kampf um Erzieherinnen”

Im Erziehungsbereich sind solche Angebote gang und gäbe. „Wir machen alles, um neue Erzieherinnen zu bekommen“, erklärte Elke Prumbach. „In München tobt der Kampf um Erzieherinnen“, berichtete sie. Um den Bedarf der Eltern an Kinderbetreuungseinrichtungen zu bedienen, seien in den letzten Jahre die Einrichtungen wie Pilze aus dem Boden geschossen, „wo das ganze Personal dafür herkommen soll, daran hat keiner gedacht”, kritisierte sie. Mit der Folge, dass vor kurzem eine neue Krippe aus Personalmangel mit einer statt mit vier Gruppen starten musste. „Kopflos in den Facharbeitermangel – im Erziehungsbereich trifft das zu. Da ist gehörig etwas schief gelaufen.”

Undurchschaubare Berufsbilder

„Die Betriebe stehen im Wettbewerb um die Jugendlichen”, erklärte Jürgen Weber. Diese hätten heutzutage mit einem schier unübersichtlichen Angebot an Berufsbildern zu kämpfen. „Wir hatten vor 40 Jahren vielleicht 100 verschiedene Ausbildungen, mittlerweile sind es 400”, berichtet Berufsschullehrer Lazar. „Bei vielen kann man aus dem Namen nicht einmal erkennen, worum es sich handelt”. Die Aufgabe sei, den Jugendlichen zu vermitteln, „was steckt dahinter, bei welchen Firmen kann man das machen und was verdient man später dabei”. Und dann müsste der Wert der dualen Ausbildung besser transportiert werden. Etliche Jugendliche würden sich beispielsweise dafür entscheiden, sofort mit einem Job anzufangen, da man auch als unqualifizierter Arbeiter anfangs mehr verdiene als in einer Lehre.

„Von 'schwierig' zum Innungssieger”

Viele Innungen haben deswegen Qualitätsoffensiven für ihre Berufe gestartet. So wurden die Ausbildungen innerhalb der Malerinnung attraktiver gestaltet. Jürgen Weber: „Wir haben für begabte Lehrlinge einen elfwöchigen Leistungskurs, in dem alte Techniken wie Vergolden oder Marmorieren gelehrt werden”, erklärte er. Zu dem Kurs gehören Museumsbesuche, „das sind Dinge, die man nicht von einem Maler erwarten würde”. Nachwuchs für die Ausbildungsstellen requiriert die Malerinnung auch aus dem Pool an Jugendlichen mit schlechten Zugangsvoraussetzungen. Diese werden besonders gefördert und in Praktika vermittelt. Die Vermittlungsquote an Betriebe betrage 80 Prozent, freute sich Jürgen Weber. „Einer dieser schwierigen Jugendlichen ist sogar Innungssieger geworden”.

„Anspruchsvoller als viele meinen”

Im Verkaufsbereich, in dem Heinz Hoffmann „händeringend nach Verkäuferinnen sucht”, soll sich ebenfalls einiges ändern. Zu wenige Lehrlinge wählen in München diesen Beruf, da er in der Öffentlichkeit als nicht sehr anspruchsvoll angesehen werde, bedauerte Hoffmann. Eine Fehleinschätzung. „Man lernt nicht umsonst drei Jahre”, mahnte er und berichtete von schlechten Erfahrungen mit überforderten Aushilfskräften. Um mehr Leute für den Beruf zu interessieren, werden nun neue Schulungsmethoden ausprobiert. „Wir sind dabei, eine Art Meisterbrief auszuarbeiten”, erklärte Hoffmann. Außerdem soll es Aufstiegschancen für Verkäuferinnen geben: Verkaufsleiterinnen, Verkaufstrainerinnen.

Duygu Goeler hat sich im zweiten Anlauf für eine Lehre als Verkäuferin in einer Bäckerei entschieden. Der Beruf „Verkäuferin” mache ihr viel Spaß, „der ist anspruchsvoller als viele meinen“, wusste die 19-Jährige. „Mein Ziel ist, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Durchhalten ist manchmal sehr schwer“.

„Durchhalten” lohnt sich

„Durchhalten” ist auch oberstes Ziel bei Florian Würdinger. Trotz der guten Lehrstellensituation „war es schwierig eine Lehrstelle zu finden“, berichtete der 17-Jährige, der gerade ein Berufsvorbereitungsjahr macht. „Ich musste 25 Bewerbungen schreiben, bis ich eine Lehrstelle zum Kfz-Mechatroniker gefunden habe”. Ob der junge Mann nach der Berufsausbildung den Beruf langfristig ausüben wird, ist – zumindest statistisch gesehen - ungewiss. Helmut Spratter weiß, dass Mechatroniker zwar als Wunschberuf bei den jungen Leuten ganz oben auf der Liste stehe, „aber 50 Prozent, die den Beruf lernen, hören wieder auf”. Sie wandern ab in Berufe, in denen sie sich „weniger schmutzig machen und mehr verdienen”.

north