Obwohl für die meisten Mannschaften der Spielbetrieb fast vorbei ist, ist auf der Bezirkssportanlage an der Demleitnerstraße viel los: Auf dem Kunstrasenplatz trainieren noch die Junioren, nebenan wird auf dem Echtrasen ein Kleinfeld-Übungsspiel ausgetragen. Gegen acht Uhr abends trudeln die Herren des FC Wacker (FCW) München zum Training ein. Einige Gesichter sind lang, denn die Kreisliga konnte leider nicht gehalten werden. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch ein Match am Wochenende aussteht, wissen die Spieler bereits, dass es nichts mehr zu retten gibt und sie sich nächste Saison in der Kreisklasse beweisen müssen. Für einige ist das frustrierend.
„Gerade in solchen Situationen kochen die Emotionen gerne über”, meint Philipp Obermaier. Der 36-Jährige ist Diplombetriebswirt, hat 2009 eine Weiterbildung zum Wirtschaftsmediator und Coach absolviert und bietet Vereinen kostenlose Mediationstrainings im Rahmen der Initiative „Fairplay München” an (das Samstagsblatt berichtete). An diesem Tag möchte der FC Wacker dieses Schulungsangebot wahrnehmen. Aber was genau wird dabei eigentlich trainiert?
Das Wort Mediation bedeutet 'Vermittlung'. „Es handelt sich um ein Verfahren, das zwei Konfliktparteien dazu befähigt, gemeinsam eine Lösung zu finden. Diese muss die Bedürfnisse und Interessen beider Parteien berücksichtigen”, fasst Obermaier knapp zusammen. „Es geht also um Methoden einer außergerichtlichen Konfliktregelung, die letztendlich auf Wahrnehmung und Kommunikation beruhen. Heute beschäftigen wir uns mit Präventionslösungstechniken. Diese sind ein Teilaspekt der Mediation. Sie sind praktische Methoden, wie man Eskalationen vermeiden bzw. entschärfen kann.”
Dazu werden mit der Mannschaft einfache Übungen durchgeführt, die aber letztendlich sehr effektiv sind. Die Aufgaben werden stets dialogisch mit den Teilnehmern diskutiert, anfangs weiß niemand, worum es bei dieser Übung wirklich geht - es ist ein Frage-Antwort-Spiel, das die jungen Männer zur Selbstreflexion anregt.
Zunächst stellt Obermaier drei Hütchen an verschiedenen Positionen auf dem Platz auf. Nach ausgiebiger Unterhaltung darüber, welche Verhaltensmuster es im Fußball bei Konfliksituationen gibt (aggressiv, zurückhaltend, ängstlich), soll sich nun jeder Spieler selbst einschätzen und an das für sein Verhalten definierte Hütchen stellen. Auf diese Weise bilden sich drei Gruppen. Jedes Gruppenmitglied sucht sich nun einen Partner aus einer anderen Gruppe und läuft sich mit diesem warm, wobei ein Dialog darüber geführt wird, weshalb man sich selbst als aggressiv, zurückhaltend oder ängstlich einschätzt. „Es ist eine gute Methode, damit sich die Mannschaftsmitglieder gegenseitig kennenlernen und künftig besser einschätzen können, weshalb der Teamkollege in einer Konfliktsituation so reagiert, wie er reagiert”, erklärt Obermaier den Zweck dieser Übung. „Erst wenn man weiß, wieso der andere so tickt, kann man ihn im Ernstfall auch wieder beruhigen.”
Als nächstes wirft Philipp Obermaier die Frage in die Gruppe, weshalb man überhaupt aggressiv wird. Dazu kommen von den Spielern unterschiedliche Antworten wie „man kommt schlecht gelaunt von zu Hause zum Match”, „der Gegner zeigt keinen Respekt” oder „einem wird eine Beleidigung an den Kopf geworfen”. Die nächste Aufgabe scheint zunächst alle zu verwirren: Die zuvor gebildeten Zweierpaare sollen sich jeweils einen Ball schnappen und in den Zweikampf gehen, den Partner nicht an den Ball lassen, ihn provozieren und so richtig wütend machen. Das Resultat ist mager, aber beabsichtigt: Diese Übung funktioniert nicht, kein Spieler rastet dabei aus. „Wieso nicht?”, fragt der Mediator künstlich erstaunt. Die Antwort kommt aus vieler Munde gleichzeitig: „Weil man die eigenen Teamkollegen respektiert” und „weil man weiß, dass es sich hier nur um ein Spiel handelt”. Aha! Aggression hat also auch etwas mit Sympathie, Antipathie und Wahrnehmung zu tun. „Es geht nur darum, sich dieser Tatsachen mal bewusst zu werden. Wenn einem ein anderer Spieler von Anfang an unsympathisch ist, wird es im Laufe des sportlichen Wettkampfes sicherlich zu Reibereien kommen. Nimmt man diese Ausgangssituation aber bewusst wahr, erlaubt das mehr Selbstkontrolle”, so Obermaier.
Aggressionsausbrüche bei einzelnen Spielern könnten mit Hilfe der Gruppe jedoch ganz einfach vermieden werden, erklärt der Mediator. Um dies zu verdeutlichen, lässt er jeden Spieler mehrmals aufs Tor schießen - immer einzeln. Der Rest sieht dabei zu und kommentiert das Schussverhalten. Bei vielen Schüssen hagelt es Kritik, beinahe ist zu spüren, wie die erfolglosen Torschützen immer frustrierter werden. Ein Spieler erklärt sogar, wie aufreibend es für ihn ist, während eines Spiels Kritik in Form von „Was hast du jetzt schon wieder gemacht?” zu hören. Philipp Obermaier lächelt zufrieden und erläutert das Ziel dieser Übung: „Die Art der Kommunikation ist der Schlüssel gegen Frust und daraus resultierende Aggression. Ihr dürft kritisieren, aber versucht dabei die Perspektive zu wechseln.” Als Negativbeispiel führt der Mediator den Satz 'Du hattest zu viel Rücklage. Kein Wunder, dass du so nicht triffst!' an. Aus der eigenen Perspektive sei die Kritik schon weniger schlimm: 'Ich habe gesehen, dass du bei diesem Schuss zu viel Rücklage hattest. Ich an deiner Stelle würde versuchen, mich weiter vorzulehnen'.
Auf einem Blatt Papier sind viele weitere Übungen gelistet. Philipp Obermaier stellt sie sich abhängig von der Räumlichkeit und den verfügbaren Gerätschaften wie Bällen, Hütchen, etc. zusammen. Nach jedem Mediationstraining freut er sich auf ein Feedback: „Das ist mir sehr wichtig, damit ich die Liste erweitern und die Übungen verbessern kann. Schließlich ist Mediationstraining kein starres Konstrukt.”
Die Herren des FC Wacker versuchen sich noch in zwei, drei weiteren Präventionslösungstechniken und haben am Schluss die Moral der Geschicht' verstanden.
„Letztendlich dient das Mediationstraining dazu, den Spielern Dinge bewusst zu machen und ihre Wahrnehmung zu trainieren. Wer das heute Gelernte im Hinterkopf behält und in realen Situationen bewusst über den Ursprung seiner Emotionen, sein Verhalten und seine Kommunikationsweise vor Augen führt, wird in Konfliktsituationen garantiert anders handeln als bislang.”