Rabenmutter oder Heimchen am Herd? Sind Mütter qualifizierte Fachkräfte, die die Wirtschaft braucht? Wer ist wann ein Leistungsträger? Bleibt das Wohl der Kinder auf der Strecke? Und was ist überhaupt mit den Vätern? Die Frage, wie sich Beruf und Familie miteinander vereinbaren lassen, bot genug Stoff für eine Diskussionsrunde, zu der die Münchner Wochenanzeiger ins Fürstenrieder Frühlingsfestzelt eingeladen hatten:
Silke Mekat (Soulution Coaching), Daniela Weidlich (städt. Referat für Arbeit und Wirtschaft), Dr. Friedrich Voigt (Kinderzentrum München), Stella Bodensteiner (iwis) und Ingrid Lipp (Vorstand der Mittagsbetreuung an der Herterichschule) tauschten sich mit den Redaktionsmitgliedern Doris Stickelbrocks und Johannes Beetz darüber aus, ob und wie sich heute Familie und Beruf miteinander vereinbaren lassen. Dass sich in der gegenwärtigen Arbeitswelt schon vieles zum Positiven verändert hat, darüber herrschte Einvernehmen - aber auch darüber, dass sich noch viele Rahmenbedingungen verbessern müssen.
Familienfreundlichkeit am Arbeitsplatz werde bei dem Mittersendlinger Ketten-Produzenten Joh. Winklhofer Beteiligungs GmbH & Co. (iwis) groß geschrieben, berichtete Personalentwicklerin Stella Bodensteiner. Es gehe dabei aber um mehr Faktoren als den seit den 1970er Jahren existierenden Betriebskindergarten: zum Beispiel die Arbeitszeit, den Arbeitsort und mehr. Bodensteiner verwies auf die zu beobachtende Entgrenzung der Arbeitswelt durch Mobilität und Digitalisierung, die man auch für die Familien nutzen könne: „Unternehmen können hier viel tun”, meinte sie - „und solche Maßnahmen müssen gar nicht teuer sein”, ergänzte Unternehmensberaterin Silke Mekat.
Ein Unternehmen könne allerdings nicht immer alles allein leisten, betonte Bodensteiner. Am iwis-Firmenstandort Landsberg zum Beispiel liege der Betrieb im Gewerbegebiet. Es gebe zwar einen Firmenshuttle, aber es sei wünschenswert, dass die Stadt Landsberg zur zeitlichen Flexibilisierung für die Arbeitnehmer auch einen Bus hinfahren lassen würde.
„Familien brauchen eine gute Infrastruktur”, bestätigte Daniela Weidlich. Im Arbeits- und Wirtschaftsreferat der Stadt beschäftigt sie sich mit Qualifizierungs- und Wiedereinstiegsmaßnahmen. Sie leitet das Projekt „power M”, das in den vergangenen drei Jahren über 1.200 Frauen und gut 20 Männer nach ihrer Familienphase beraten und betreut hat. „Wie viel Zeit braucht eine Familie” ist für Weidlich die Grundsatzfrage. Sie betont: Zeiten für Arbeit und Familie müssten besser aufeinander abgestimmt werden und eine Familie müsse sehen, wie viel Arbeitszeit überhaupt gut vereinbar sei mit ihrem Leben - egal auf wen sie verteilt sei. Der Faktor Zeit sei die wesentliche Komponente, über die bislang aber zu wenig diskutiert werde. „Man muss auch darüber nachdenken, Dienstleistungen auszulagern und Familienarbeit umzuverteilen: auf Männer, auf Kinder”, so Weidlich, „und wichtig sind flexible, familienfreundliche Arbeitszeiten.”
„Man kann nicht zu hundert Prozent Mutter sein und zu hundert Prozent seinen Job ausfüllen”, fasste Ingrid Lipp zusammen. Die Mutter von vier Kindern ist in einer Bank tätig und Vorstand der Mittagsbetreuung an der Herterichschule. Um den beruflichen Anschluss nicht zu verlieren, habe sie eines ihrer Kinder mit zehn Monaten in die Krippe gegeben. Es habe dann „seine ersten Schritte nicht bei mir gemacht, sondern in der Krippe.” So sehen die Kompromisse aus, die sowohl im familiären als auch im beruflichen Bereich unvermeidlich seien: „Ich habe es sogar schriftlich in meiner Beurteilung, dass ich mit vier Kindern nie wieder ein Leistungsträger sein kann”, erzählt sie. Es sei oft ein langer Weg, bis in einer Familie die Vereinbarkeit mit dem Beruf klappt. „Ich habe in meinem Leben noch nie so viele Kompromisse eingehen müssen”, sagt Ingrid Lipp.
„Wenn eine Mitarbeiterin ein Kind bekommen hat, ist es wichtig, dass das Unternehmen den Kontakt zu ihr hält und sie zum Beispiel zu Betriebsfesten einlädt. Das motiviert ungemein”, erklärte Silke Mekat. Frauen, die in Teilzeit arbeiten, seien oft viel motivierter, strukturierter und damit effizienter als Vollzeitkräfte.
Lipp hat jetzt eine 50-Prozent-Stelle, ihr Mann arbeitet zu 75 Prozent und empfinde die zusätzliche Zeit mit den Kindern als große Bereicherung. Die große Karriere könne man allerdings mit einer Teilzeit-Stelle nicht mehr machen. Es gebe einfach Projekte, bei denen man für den Kunden spät am Tag noch erreichbar sein müsse. Und wenn man erst spätabends nach Hause komme, schlafen die Kinder schon. „Man muss viele Abstriche machen”, sagt sie und hat auch für die Arbeitgeber durchaus Verständnis: „Zwei 50-Prozent-Kräfte sind nicht dasselbe wie eine 100-Prozent-Kraft.”
Ähnliche Erfahrungen hat auch Stella Bodensteiner: „Ich war als Mitarbeiterin auch Mutter, danach bin ich Chefin geworden”, erzählt sie. Manche ihrer Mitarbeiterinnen arbeiteten in Teilzeit „und ich schaffe es nicht, ihre Karriere zu fördern.” Man müsse Aufgaben finden, die zum Arbeitszeitmodell passten. Das sei nicht immer leicht.
Frauen bräuchten viel mehr innere Stabilität, findet Stella Bodensteiner, und sie müssten sich klar entscheiden: „Wenn ich sage, ich kümmere mich jetzt meinen Kunden, dann muss ich mir verzeihen, dass ich in dieser Zeit nicht für die Kinder da bin.”
Den Beschäftigten im kbo-Kinderzentrum geht es nicht anders, berichtete Psychologe Dr. Friedrich Voigt. Viele der Therapeutinnen seien ebenfalls zerrissen zwischen Familie und Beruf: Diese Spannung lasse sich kaum lösen.
Daniela Weidlich plädierte dafür, verschiedene Modelle für die verschiedenen Phasen des Lebens zu finden. Mit kleinen Kindern gehe es beruflich eben langsamer, aber hinterher könne man ja wieder Gas geben. Oft sei es für Frauen auch schwierig, nach einer Teilzeit-Phase wieder auf Vollzeit zu gehen. Das sei eine Anforderung, der sich die Unternehmen stellen müssten.
„Unternehmen sparen Kosten, wenn sie ihre Leistungsträger an sich binden”, stellte Silke Mekat heraus. Abfindungen, Stellenausschreibungen und Einarbeitung von neuen Mitarbeitern seien viel teuerer. Als Unternehmensberaterin wirbt sie für eine familienbewusste Personalpolitik. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels werde es für Unternehmen immer wichtiger, sich attraktiv aufzustellen. Diese Herausforderung nehmen mehr und mehr Arbeitgeber an: „In relativ kurzer Zeit hat sich viel entwickelt”, so Mekat, „es passiert etwas!” Dabei gehe es längst nicht mehr nur um Kinderbetreuung: In einer alternden Gesellschaft werde immer mehr zum Thema, dass sich Mitarbeiter um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern.
„Man muss sich auch nach dem Wert der Arbeit zuhause fragen. Natürlich würde ich nie von der Gesellschaft verlangen, dass sie mir 5.000 Euro oder mehr im Monat zahlt, die diese Arbeit wert ist. Aber die 100 oder 150 Euro, die jetzt als Betreuungsgeld gezahlt werden sollen, würde ich als Beleidigung empfinden”, meinte Ingrid Lipp, „ dieses Geld sollte lieber in qualitativ hochwertige Betreuungsangebote gesteckt werden.”
Die Qualität der Kinderbetreuung (wozu auch eine ausreichende Personalstärke zählt) wurde in der Gesprächsrunde zum entscheidenden Punkt erklärt. Silke Mekat forderte eine Qualitätssicherung für Betreuungseinrichtungen, da Eltern die Qualität der Kitas schlicht nicht beurteilen könnten. Dr. Voigt bekräftigte, dass die Qualität der Betreuung entscheidend für das Kindeswohl sein. Allerdings sei die Frage, ob ein Kind besser in der Familie oder in einer Kita betreut werde, keine Frage, die man mit Ja oder Nein beantworten könne. „Auf die Bindung kommt es an, das Kind braucht Sicherheit und Stabilität”, so der Psychologe. So gebe hochmotivierte Eltern, aber eben auch überforderte Mütter und Väter. „Man muss aufs Kind schauen”, sagte Voigt, „jedes Kind ist anders.” Manche hätten große Probleme, wenn sie in eine Krippe gegeben werden, andere seien sehr „pflegeleicht” und selbständig. Gute Betreuung bedeute natürlich nicht, dass in der Krippe Englischkurse und Geigenunterricht angeboten werden: „Ein guter Betreuer kann die Bedürfnisse des Kindes lesen.”
„Das unterscheidet sich gar nicht von der Arbeitswelt”, kommentierte Stella Bodensteiner Voigts Aussage: „Genauso können gute Führungskräfte die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter lesen.” Und die hätten sich stark gewandelt. In den Bewerbungsgesprächen gehe es heute gar nicht mehr vorrangig um Geld und Dienstwagen. Lebensqualität sei vielen Menschen wichtiger - auch Männern. Immerhin 44 Prozent der Väter in ihrem Unternehmen würden (zumindest für kurze Zeit) in Elternzeit gehen. „Wir müssen die Väter ins Boot holen”, ergänzte Daniela Weidlich, „damit Familie nicht Frauenthema, sondern Elternthema ist.”
Ohne gute Kinderbetreuung lassen sich Familie und Beruf kaum unter einen Hut bringen. In München sollen allein in diesem Jahr 52 Kitas fertiggestellt werden, die - so hat es OB Christian Ude bei den Haushaltsberatungen vorgerechnet - 1.884 Krippen-, 1.300 Kita- und 325 Hortplätze umfassen. Der Streit, wo Kinder am besten aufgehoben sind, ist mit der Diskussion um Familie und Beruf untrennbar verknüpft. Der Soziologe Tilman Alert meint gar, die Annahme, dass beides miteinander vereinbar wäre, sei eine „elterliche Selbstsuggestion”.
Harald Neubauer, Chef der Arbeitsagentur München:
„Wir müssen versuchen, Frauen nach der Erziehungsphase wieder rascher in Beschäftigung zu bringen und mehr Frauen von Teil- in Vollzeitbeschäftigung zu bekommen. Deutsche Frauen nennen Kinderbetreuung und Pflege Angehöriger als Hauptgrund für ihre Teilzeitarbeit. Wenn es gelänge, die Arbeitszeiten von Teilzeitkräften aufzustocken, könnte man ein Stück des Beschäftigungsdefizits abfangen.”
Daniela Jehle, Leserin:
„Leider strebt unsere 'neue Politik' zur Sicherung der Existenzgrundlage eine Berufstätigkeit beider Eltern an. Hierbei bleiben jedoch die Kinder auf der Strecke, und zwar genau die Kinder, die später diesen Staat tragen sollen. Leider ist es in unserer Gesellschaft nicht viel wert, seine Kinder selbst zu betreuen, zu fördern und zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen. Eine Massenbetreuung in den Kitas kann keinesfalls besser sein, als verantwortungsvolle Erziehungsarbeit durch Eltern!”
Martin Zeil, stv. bayerischer Ministerpräsident (FDP):
„Es ist nicht Aufgabe des Staates, jedem einen Weg vorzuschreiben, wie er Familienleben und Kinderbetreuung organisiert. Der Staat muss stattdessen dafür sorgen, dass sich die Menschen frei entscheiden können!”
Christine Haderthauer, bayerische Familienministerin (CSU):
„Es gibt in unserem Staat mehr Menschen, die sich für die artgerechte Haltung von Tieren einsetzen, als für die 'artgerechte Haltung' von Babys. In den ersten drei Lebensjahren geht es um Bindung, nicht um Bildung! Unter Einjährige gehören nicht in die Krippe! Wie ein Kind betreut werden soll, muss man den einzigen Fachleuten in dieser Frage überlassen: den Eltern. Krippe ist okay, eine Nanny ist okay und Zuhausebleiben ist auch in Ordnung.”
Isabell Zacharias, Landtagsabgeordnete (SPD):
„Die aktuelle Familienpolitik hält bestens ausgebildete Frauen am heimischen Herd fest. Stattdessen brauchen wir partnerschaftliche Kindererziehung und bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wir streichen Betreuungsgeld und Ehegattensplitting und schaffen mehr Ganztags-Kitas.”
Familie ist ein Versprechen an die Kinder: da zu sein. Aber wie kann man Familie und Beruf miteinander vereinbaren? Welche Antwort haben Sie? Wie erleben und bewältigen Sie den Spagat zwischen Familie und Beruf? Schildern Sie uns Ihre Situation! Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften (Redaktion Wochenanzeiger, Stichwort „Familie”, Fürstenrieder Str. 7-11, 80687 München, redaktion@muenchenweit.de).