Veröffentlicht am 08.03.2021 12:32

Ein kleiner Untermenzinger wird ein großer Lederhosenspezialist


Von Walter G. Demmel
Bild 7 (Foto: Stadlbauer)
Bild 7 (Foto: Stadlbauer)
Bild 7 (Foto: Stadlbauer)
Bild 7 (Foto: Stadlbauer)
Bild 7 (Foto: Stadlbauer)

In meinem Artikel „Die Untermenzinger Bäckerei Schmid …“ vom April 2019 schrieb ich: „Meinen Zeitzeugen werde ich in einem anderen Artikel als bayerischen Lederhosenspezialisten noch vorstellen.“ Mein Zeitzeuge, ein ehemaliger Volksschullehrer, heißt Alfred Anton Stadlbauer, für dessen Geschichte jetzt die Zeit gekommen ist. Er selbst beginnt seinen Lebenslauf mit: „Ich bin im Oktober 1947 in das Rückgebäude (Bild 1) der Bäckerei Schmid, Rueßstr. 18 hineingeboren worden und habe dort mit meiner Familie bis zum Sommer 1962 gelebt. Zur Schule gegangen bin ich von 1954 bis 1959 (5. Klasse) in die Volksschule in der Eversbuschstraße und anschließend in die damalige Oberrealschule in Dachau.“ Diese besuchte er mit seinem Freund Josef Loher aus der Grandauerstr. 8.

Vorher hatte die Familie Maier im ersten Stock als Erstbezieher in einem neuerbauten Wohnhaus in der damaligen Eichen-, der heutigen Ludwig-Radlkofer-Straße am Rande der Angerlohe in Allach zur Miete gewohnt. Aus dieser Familie stammte die 1924 geborene Mutter Anna unseres Herrn Stadlbauer. Später zog die Maier-Familie, wie oben erwähnt, zum Bäcker Schmid.

Wenn wir uns das Bild 2 betrachten, sehen wir den etwa 5-jährigen Fredi Stadlbauer im Vorgarten des Rückgebäudes der Bäckerei Schmid auf einer betonierten Beeteinfassung sitzen. In der hirschledernen Kurzen, die von einer Frau Krick, einer in der Pringsheimstr. 4 wohnenden Kürschnerin, auf Wunsch der Mutter und Oma speziell angefertigt wurde, blickt er fröhlich zum Fotografen. Die Lederne war allerdings so groß gemacht worden, dass der Knabe jahrelang hineinwachsen konnte. Aber: Früh zeigt sich der Lederhosen-Liebhaber!

Schon der dreijährige Fredi, wie die Mutter verwundert feststellte, zeigte beim sonntäglichen Spaziergang mit der Familie in der Rueßstraße Interesse ausschließlich an alten, von einheimischen Trachtlern getragenen Lederhosen.

Obwohl erst nach dem Krieg geboren, weiß Herr Stadlbauer auch einiges aus der Kriegszeit zu berichten, was ihm seine Mutter und seine Oma erzählt haben. Er spricht von einem Kellerabteil im Wohngebäude der Bäckerei Schmid, der als Luftschutzraum mit einer sehr stabilen, dicken Tür mit langen Verschlusshebeln ausgestattet war. Darin fanden bei Fliegerangriffen Frau Schmid – der Mann war als Soldat an der Ostfront – mit ihren zwei Kindern Josef und Hildegard, die Familie Maier aus dem Rückgebäude und nahewohnende Nachbarn, z.B. die Familien Raab (Nr. 20) und Ortner (Nr. 22) Schutz. Herr Ortner war ausgebildeter Luftschutzwart. Ein weiterer Nachbar mit Familie war auf Nr. 16 der Gründer der Allacher Porzellanmanufaktur Franz Nagy, der aber einen eigenen Keller hatte. Herr Ortner wurde ab Juni 1945 bei Nagy als Keramikarbeiter eingestellt.

Herr Stadlbauer weiß von einem besonderen Fliegerangriff zu berichten: „Die erwähnten Personen hatten im beschriebenen Raum Schutz gesucht, als eine brennende Stabbrandbombe durch das Dach in das Bäckerwohnhaus (Bild 3, 1939) einschlug. Der längliche Brandkörper brannte sich durch das 1. Stockwerk und eine Stufe der in das 1. Stockwerk führenden Holztreppe. Die Bombe landete schließlich auf der genau darunter befindlichen Betonstufe der Kellertreppe. Das Ganze blieb von den im Schutzraum harrenden Menschen nicht unbemerkt. Aufgabe des Luftschutzwartes wäre es gewesen, die Stabbombe so schnell wie möglich aus dem Haus und möglichst weit weg vom Gelände zu werfen, da bekannt war, dass diese nach einer gewissen Zeit explodieren und einen großen Schaden anrichten würde. Meine patente Oma schmiss die Stabbrandbombe kurzerhand aus dem kleinen Kellerfenster in den Hof zwischen Bäckerwohngebäude, Rückgebäude (unten Bäckerei, oben Wohnung meiner Familie) und dem Haus der Familie Raab. So konnte durch das beherzte Eingreifen der Oma ein größeres Unglück verhindert werden.“

Anfang der 70er Jahre hatte Herr Stadlbauer sein Lehramtsstudium in Pasing abgeschlossen und später in Egling an der Paar an der damaligen Volksschule eine Lehrerstelle angetreten. Zu dieser Zeit hatte er sich endlich seinen Wunsch nach einer alten, handwerklich und künstlerisch hochwertigen Lederhose erfüllt. Leider ging diese bei einem Autounfall unwiederbringlich verloren. Er hatte sein Herz schon längst an sämisch gegerbte, handgenähte und handbestickte Lederhosen verloren.

Mit dem Sammeln von alten und ramponierten Lederhosen wurde schnell klar, dass er sich für notwendige Reparaturen und Restaurierungen auch das Flicken und Nähen aneignen musste.

In den späten 1980er-Jahren trat Stadlbauer an einem Handwerkertag auf der Glentleiten, im Freilichtmuseum des Bezirks Oberbayern, erstmalig als Lederhosenflicker auf (Bild 4). In den 1990er Jahren ist er auch bei den bekannten Kaltenberger Ritterspielen, westlich des Ammersees im Landkreis Landsberg/Lech, mit einer kleinen Auswahl seiner Fundstücke und handwerklichen Vorführungen zu sehen (Bild 5).

Natürlich müssen die meist verdreckten Lederhosen vom Flohmarkt zu Hause in Mering vorbereitet werden für eventuell anfallende Reparaturen (Bild 6). Hier ist er bei der Arbeit zu sehen, dem Lederhosenwaschen. Geschrubbt wird auf einem riesigen Profi-Nudelbrett, das er nach eigenen Angaben während einer Autofahrt östlich von München beschädigt gefunden hat. Hier werden die Lederhosen bei Sonnenschein mit schützendem Schawa (Schürze) im Garten kräftig gebürschtelt.

Alfred Anton Stadlbauer steht (Bild 7) glücklich in einer langen Kurzen der Nachkriegsjahre, mittig mit rechts und links zwei Boarischen im Heugwand, dem Arbeitskleid der Bäuerinnen aus dem Raum Aichach. In den 1990er Jahren sind die weit ausladenden, abstehenden Beinlinge der Kurzen absolut aus der Mode gekommen, aber als Sammelstück begehrt.

Bei einem Sprung in unsere Tage meldet das Murnauer Tagblatt zum Wochenende 12./13. Juli 2014: „Der Siegeszug der Lederhose. Alfred Anton Stadlbauer präsentiert seine umfangreiche Sammlung im Seehauser Heimatmuseum“. Wie man erfährt, hat Stadlbauer seit 1982 viele Lederhosen aus Bayern, der Steiermark und dem Salzburger Land zusammengetragen. Für die Ausstellung in Seehausen bildeten speziell ausgewählte Stücke die Grundlage. „Lederhosen sind für mich Kulturwerke, die sowohl handwerklich als auch künstlerisch und materiell unschlagbar sind.“ Es habe in seinem Leben durchaus Zeiten gegeben, in denen er wegen der Strapazierfähigkeit dieses alpinen Beinkleides nichts anderes tragen wollte. Und das als Volksschullehrer?

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