Michael Piazolo, der bayerische Kultusminister, spricht im Interview über den Wert von Schulabschlüssen in Zeiten einer Pandemie, die Auswirkungen auf die Ausbildungs- und Zukunftschancen von Jugendlichen, die psychischen Belastungen für die Schüler und Schülerinnen, den erneuten Schullockdown und seine Hoffnungen.
12Job: Was ist ein Schulabschluss während der Corona-Pandemie wirklich wert?
Michael Piazolo: Wir befinden uns aktuell in einer weltweiten Pandemie. Ich mache mir trotzdem keine Sorgen um die Qualität der bayerischen Schulabschlüsse. Ich nenne Ihnen gerne drei Gründe dafür: Unsere Lehrpläne setzen schon lange auf langfristigen Wissenserwerb. Das hilft unseren Schülerinnen und Schülern nun, weil Phasen, in denen vielleicht nicht alles sofort reibungslos geklappt hat, weniger stark ins Gewicht fallen. Der zweite Grund für meine Zuversicht ist, dass wir auf die Qualität unserer Bildungsabschlüsse achten. Wir schaffen gezielt Freiräume, erlassen Prüfungen, die für die Schulabschlüsse nicht unmittelbar benötigt werden, und grenzen auch die Themengebiete ein. So schaffen wir für unsere Absolventinnen und Absolventen faire Bedingungen, ohne Abstriche bei der Qualität machen zu müssen. Der dritte und vielleicht wichtigste Grund ist: Wir haben bestens ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer, die mit der Situation gut umgehen und ihre Klassen und Kurse zielgerichtet auf die Prüfungen vorbereiten. Die Lehrkräfte leisten hier über das normale Maß hinaus hervorragende Arbeit.
Wie beurteilen Sie die Ausbildungs- und Zukunftschancen der „Corona-Generation?“
Ich sehe die bayerischen Schülerinnen und Schüler gut gerüstet für ihre zukünftige Ausbildung oder ein Studium. „Eine einschneidende Phase im Leben aller Menschen“
Was stimmt Sie optimistisch, dass ein „Corona-Abschluss“ für die betroffenen Jahrgänge nicht ein Leben lang Nachteile bringen wird?
Die Corona-Pandemie ist eine einschneidende Phase im Leben aller Menschen, also natürlich auch im Leben jedes Schülers und jeder Schülerin. Ich bin dennoch optimistisch: Ein guter Teil des Unterrichts sowohl in diesem wie auch im vergangenen Schuljahr konnte und wird im gewohnten Präsenzunterricht abgehalten werden. Zudem haben wir die Abschlussjahrgänge als Erstes wieder in die Schulen zurückgeholt, sobald und soweit das Infektionsgeschehen dies zugelassen hat. Und für die Phasen, in denen das nicht möglich war, haben wir vielfältige Möglichkeiten des Distanzlernens gefunden. Ich sehe also aus schulischer Sicht keinen Grund dafür, lebenslange Nachteile zu befürchten.
Viele Schüler und Schülerinnen fühlen sich überfordert mit dieser doch außergewöhnlichen Schulsituation und verspüren einen erhöhten Leistungsdruck. Wie schätzen sie die psychischen Belastungen für die Schüler und Schülerinnen ein?
Unsere Schülerinnen und Schüler haben ein Recht auf gute Bildung. Zeitlichen Druck – zum Beispiel durch eine Ballung von Schulaufgaben oder Probearbeiten – werden wir vermeiden. So haben wir zum Beispiel die Zahl der verpflichtend vorgegebenen Schulaufgaben oder Probearbeiten reduziert, die Abschlussprüfungen in allen Schularten verschoben und den Termin für das Übertrittszeugnis nach hinten verlegt. Wie schon erwähnt, werden vor allem in den Abschlussklassen Inhalten gestrichen, die nicht prüfungsrelevant sind. So bleibt mehr Zeit für die Prüfungsvorbereitung und die Schüler können sich darauf verlassen, dass nur das in der Prüfung drankommt, was auch besprochen wurde.
Für SchülerInnen, die im Frühjahr/Sommer ihren Abschluss und jetzt einen Ausbildungsplatz suchen, dürfte es besonders schwer sein, denn sie waren innerhalb eines Jahres zweimal von Schulschließungen betroffen. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Ich gehe davon aus, dass auch im kommenden Ausbildungsjahr zahlreiche Unternehmen Auszubildende benötigen und einstellen werden. Es konkurrieren auf diesem Markt ja nicht Absolventen, die von der Pandemie betroffen waren, mit solchen, für die das nicht zutrifft. In ganz Deutschland konnte aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorübergehend kein Präsenzunterricht stattfinden. Umso wichtiger ist es, die hohe Qualität der Abschlüsse sicherzustellen. Es steht ganz außer Frage, dass die Situation für die Schülerinnen und Schüler dabei schwer war und ist. Das ist sie für die allermeisten Menschen in diesen Tagen. Entscheidend ist: Die Schulabschlüsse der bayerischen Absolventinnen und Absolventen stehen für hochwertige Schulbildung und fundierte Kenntnisse. Das nützt ihnen bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.
Der Fernunterricht in der ersten Welle war holprig. Funktioniert es Ihrer Ansicht nach in der zweiten Welle besser? Ganz reibungslos ist es – Stichwort mebis – ja nun auch diesmal nicht gelaufen.
Aus den ganz unterschiedlichen Erfahrungen der ersten Welle haben wir viele Schlüsse gezogen. Wir haben ein Konzept für den Distanzunterricht entworfen, dem die positiven Erfahrungen und Anregungen aller Beteiligten aus der ersten Phase der Schulschließungen zugrunde liegen. So wissen Schülerinnen und Schüler, deren Erziehungsberechtigte und die Lehrkräfte stets, was von ihnen erwartet wird und welche Regeln gelten. Außerdem stellen wir damit sicher, dass die Schülerinnen und Schüler auch im Distanzunterricht einen verlässlich strukturierten Schultag haben. Und, was mir besonders wichtig ist: Wir stärken damit den direkten Kontakt zwischen Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrkräften.
Da Sie mebis ansprechen: Wir haben mebis über die Weihnachtsferien ertüchtigt. Seitdem läuft dieses Angebot gut und stabil und kann in vollem Umfang eingesetzt werden. Das gilt auch für den digitalen Unterricht im Allgemeinen. Ich bekomme viele positive Rückmeldungen von Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften, dass der Distanzunterricht gut funktioniert. Dass unser aller Ziel weiterhin die schnellstmögliche Rückkehr zum Präsenzunterricht ist, steht dabei außer Frage.
Haben Sie Hoffnung, dass die Schüler und Schülerinnen vielleicht auch gestärkt aus der Krise hervorgehen?
Zunächst einmal: Ich bin sicher, dass die bayerische Schulfamilie diese Krise gemeinsam meistern wird. In jeder Krise liegt auch eine Chance. Viele Schülerinnen und Schüler werden einen großen Schritt in Richtung Eigenverantwortlichkeit und Selbstständigkeit machen, der ihnen im späteren Leben hilft. Uns allen ist sehr bewusst geworden, welchen Stellenwert vermeintliche Selbstverständlichkeiten und persönliche Beziehungen haben. Ich hoffe, dass das zu einem neuen Miteinander und einer Konzentration auf das, was einem wirklich wichtig ist, führt. Dann kann daraus womöglich tatsächlich eine Stärkung des Einzelnen und der Gesellschaft erwachsen.
Wenn Sie den Schülern und Schülerinnen Mut machen müssten: Was würden Sie Ihnen sagen?
Ich möchte den Schülerinnen und Schülern sagen, dass wir alle – ob Lehrkräfte, Schulleitungen oder Bildungspolitiker – vor allem sie im Blick haben und für sie die bestmöglichen Bedingungen schaffen wollen. Unser gemeinsames Ziel, für das wir alle seit Beginn der Pandemie kämpfen, ist es, sie auch unter diesen Umständen auf die Anforderungen ihres zukünftigen Lebens vorzubereiten. Deshalb: Liebe Schülerinnen und Schüler, ihr seid in dieser schwierigen Zeit nicht allein!