Aldina Imamovic strahlt übers ganze Gesicht. „Ich hatte so viel Glück mit Walter”, sagt sie. Die 33-Jährige aus Bosnien hat über das Projekt „Wohnen für Hilfe” des Seniorentreffs Neuhausen ein Zimmer im Haus von Walter Tießler in Fürstenried bekommen. Für die junge Frau eine große Erleichterung, denn sie macht derzeit eine Ausbildung als Fachverkäuferin und hat nicht viel Geld zur Verfügung. Zuvor wohnte sie in einer WG in Ismaning und nach Abzug ihres Mietanteils musste sie jeden Euro zweimal umdrehen, um über die Runden zu kommen. Jetzt lebt sie in einem 19-Quadratmeter-Zimmer und hat sich – statt Miete zu zahlen – dazu verpflichtet, pro Quadratmeter eine Stunde im Monat im Haus und im Garten zu helfen, also insgesamt 19 Stunden.
So genau nimmt es Walter Tießler allerdings nicht. „Ich brauchte jemanden mit Führerschein”, meint er. Denn er wisse nicht, wie lange er selbst noch mobil sei. Der knapp 91-Jährige hat zwar einen Rollator als Unterstützung, ist aber ansonsten sehr rüstig. „Aldina möchte mir am liebsten alles abnehmen, aber ich muss doch sehen, dass ich selber zurecht komme”, schmunzelt er. Wichtig ist ihm, dass die junge Bosnierin, die jetzt ein Jahr in München ist, ihr Deutsch perfektioniert. Ansonsten gießt Aldina den Garten, hilft den großen Vogelkäfig, in dem über ein Dutzend Kanarienvögel leben, sauber zu machen, kehrt die Terrasse, spritzt die Biotonne aus und dergleichen mehr.
Letzthin hat sie auch Falläpfel aufgeklaubt und Apfelmus daraus gemacht. Eine Ausnahme allerdings, denn für den Hausherrn muss sie nicht kochen. Das macht der alte Herr selbst – denn er ist ein Profi. Walter Tießler war in seinem Berufsleben Küchenmeister und hat in der Münchner Rück drei Casinos mit 64 Mitarbeitern geleitet. Gleichzeitig war er viele Jahrzehnte Prüfer bei der IHK. Schon damals seien viele Menschen mit ihren Problemen zu ihm gekommen, hätten sich bei ihm ausgesprochen, berichtet er.
Ein Grund dafür mag seine herzliche, den Menschen zugewandte Art sein. Er habe in seinem Leben so viel Gutes erfahren, sagt er. „Das will ich anderen Menschen zurückgeben.” Für Aldina, die in München nur wenige Kontakte hat, war das Zimmer bei Walter Tießler jedenfalls wie ein Sechser im Lotto. „Walter hat mir gesagt: Du bist keine Fremde im Haus. Du bist ein Teil der Familie. Das bedeutet mir sehr viel „, erzählt sie. Mit dem Du habe sie sich am Anfang zwar schwer getan, aber Walter habe darauf bestanden. Der nickt nur und meint, er habe sich immer mit seinen Schützlingen geduzt.
Neben Aldina lebt noch Jasmina, eine weitere junge Frau, in Walter Tießlers Haus. Aldina und Jasmina bewohnen das Obergeschoss, der Senior hat sein Reich im Erdgeschoss. Dass jemand im Haus ist, tut dem Witwer gut, auch wenn er die beiden Frauen den ganzen Tag über nicht sieht. Sonntags allerdings gehen sie oft zu dritt zum Essen. „Ich bin wirklich nicht einsam. Man spürt ja, wenn jemand da ist”, stellt er fest. Auch während der Ausgangsbeschränkungen durch die Corona-Pandemie hätte sich da nichts geändert.
Auf „Wohnen für Hilfe” wurde er von einem seiner Söhne aufmerkam gemacht. „Ich bin begeistert von dem Projekt”, betont Walter Tießler und bedauert, dass sich nicht noch mehr alleinstehende Senioren mit großen Häusern oder Wohnungen zu diesem Schritt entschließen. Und ganz entschieden fügt er hinzu: „Ich kann es jedem nur empfehlen!”
Ins Leben gerufen wurde „Wohnen für Hilfe” zum Wintersemester 1996/97 vom Studentenwerk München und dem Seniorentreff Neuhausen. Nähere Infos zu dem Projekt gibt es unter https://www.seniorentreff-neuhausen.de/ unter dem Button „Wohnen für Hilfe”. Telefonische Auskunft erhält man unter der Nummer (089) 1392841910. Ansprechpartnerin sind Brigitte Tauer und Ursula Schneider-Savage. Im Würmtal kann man sich bei Interesse auch an die Gautinger Insel (Grubmühlerfeldstraße 10) wenden.