Meine Großmütter haben sich zeitlebens nicht ein einziges Mal so weit von ihrem Geburtsort entfernt wie die Strecke, die ich heute gelegentlich an einem einzigen Tag mit dem Auto zurücklege (meine Großväter taten es - aber das war allein dem Krieg geschuldet). Reisen - und Urlaub - waren früher anders.
Und doch wussten auch meine Großeltern: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Reisen ist indes nicht nur eine Quelle von Erzählungen und Erinnerungen an Vergangenes, sondern es greift auch in die Zukunft und bringt uns etwas von dort: Es lässt wunderbare Träume zu, die - was vielleicht das Beste an ihnen ist - nicht um jeden Preis erfüllt werden wollen.
Im „Corona-Sommer” werden viele Urlaube deutlich eingeschränkter, aber vielelicht eben auch näher und womöglich beschaulicher oder intensiver verbracht werden.
Wir haben unsere „Trümpfe” gebeten, von ihrem allerersten Urlaub zu erzählen. Was haben sie erlebt? Was ist an Erinnerungen geblieben? Und wo würden sie auf jeden Fall noch einmal hinreisen?
Ulrike Mascher, Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK Bayern:
In den Sommerschulferien 1951 ging es mit meinen Eltern und meiner Schwester an den Bodensee auf die Insel Reichenau. Einmal sind wir mit dem Dampfer auf die Schweizer Seite gefahren. Meine Schwester und ich haben unser Ferientaschengeld in Franken gewechselt. Davon haben wir uns je eine Tafel echte SCHWEIZER Schokolade gekauft – ein großer Genuss! Wir standen staunend in dem Laden voll vieler verschiedener, bunt verpackter Schokoladentafeln. Das kannten wir nicht. Und dazu der ungewöhnliche Dialekt, das kräftige Schwyzerdütsch. Die Ferien am Bodensee mit dem Ausflug in die Schweiz – ins Ausland! – waren für mich ein großes Abenteuer.
Auch heute noch bin ich im Urlaub gerne auf einer Insel, zum Beispiel in Dänemark oder in den Niederlanden. Zumindest Wasser zum Schwimmen muss unbedingt in der Nähe sein. Am liebsten sind mir Ferienwohnungen mit Kochmöglichkeit. In Italien oder Frankreich auf einem Markt einzukaufen und dann zu kochen, gehört für mich zum Genuss in der Fremde.
Ich bin keine Weltumseglerin oder Kilometerfresserin. Wahrscheinlich suche ich mir dieses Jahr ein Urlaubsziel in der Nähe. Nächstes Jahr – gut geimpft – geht es dann vielleicht noch einmal nach Sizilien oder nach Apulien. Auf jeden Fall nach Italien.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a.D. und stv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung:
Seit es als Antwort auf die Corona-Pandemie wieder Grenzschließungen innerhalb der Europäischen Union gab, für ca. 160 Länder noch Reisewarnhinweise bestehen und kein Urlauber zum Ende seiner Ferien in Quarantäne geschickt werden möchte, hat Urlaub daheim einen neuen Klang bekommen – Ausspannen, neugierig sein auf landschaftliche, kulinarische, historische und kulturelle Schönheiten kann man auch in Deutschland bewusst genießen.
Da erinnere ich mich an meine schönen Urlaube als junges Mädchen mit der ganzen Familie an der Nordsee, auf Langeoog oder Norderney. Da haben wir immer in einer Pension gewohnt, in der man sich sein Frühstück selbst machte. Auf einer Anrichte im Frühstücksraum standen mit den Namen beklebt die mitgebrachten, selbst eingekochten Marmeladen, Honig, Zucker, Caro-Kaffee und die Stoffhüllen für die Servietten. Das war unbewusst sehr umweltschonend, keine in Plastik abgepackte Konfitüre und Portionen für Butter, Käse oder Streichmettwurst. Animateure am Strand waren überflüssig. Ganz oben stand der Sandburgenbau um die gemieteten Strandkörbe herum, der mit voluminösen Motiven beeindrucken sollte. Denn natürlich war das Ziel, beim Wettbewerb einen guten Platz zu bekommen. Ohne Smartphone lernten meine beiden Schwestern und ich immer sehr schnell Freunde kennen. Ich habe diese Urlaube als schöne Gemeinschaftserlebnisse mit viel Abwechslung in Erinnerung.
Immer entfernter, immer exotischer, immer teurer muss Urlaub nicht sein, aber auch nicht spießig, kleinkariert und nostalgisch. Ich halte nichts davon, den Menschen ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn sie unbedingt nach Südafrika oder auf die Philippinen reisen wollen. Aber Nord- und Ostsee oder die Berge im Voralpenland können sportlich, wetter- und essensmäßig mit den Angeboten im Ausland unbedingt mithalten. Ich möchte gern nach Pandemie-Zeiten im Perigord Urlaub machen und die Trüffel, Käse, Weine genießen – mit dem neuesten Krimi um den Stadtpolizisten Bruno unter dem Arm.
Dr. Walter G. Demmel, Stadtteilhistoriker:
Diese Erinnerung an die Kinderzeit könnte auch eine Anregung für heute sein: Tage auf einem Bauernhof im schönen Bayerwald. Nach den schrecklichen Erlebnissen des 2. Weltkriegs und dem Einmarsch der Amerikaner, den ich in Reichertshofen bei Ingolstadt erlebt hatte, waren meine Eltern und ich (Jg. 36) in einer sehr kleinen Zweizimmer-Wohnung in Ering / Inn, wo mein Vater seit 1947 Zollbeamter an der deutsch-österreichischen Grenze war, gelandet. In den Sommerferien 1948 fuhren meine Mutter und ich per Bahn – mein Vater hatte Dienst – nach Altnußberg bei Teisnach im oberen Bayerischen Wald zu meiner Großmutter mütterlicherseits „in Urlaub“.
Wir fuhren damals noch nicht „in Urlaub“, sondern „hoam“ ins Elternhaus meiner Mutter. Für mich 12-Jährigen war alles ein Riesenerlebnis, weil ich mit meinem Onkel, dem der kleine Bauernhof gehörte, in aller Frühe für seine fünf Kühe mit ihm Grünfutter holen und sie anschließend mit füttern durfte. Meine Großmutter war im fotgeschrittenen Alter noch eine gute Köchin. Auch ihr durfte ich helfen, z.B. beim „Hoiberdatschi” oder „Hoiberwacker”, wie man dort auch sagt, machen. Wir nahmen einen Korb und einen Hoiberkamm, stiegen hinter dem Haus ziemlich steil bergan bis in den nahen Wald und ernteten in kurzer Zeit die fürs Mittagessen nötige Menge an Heidelbeeren. Alles andere war dann Omas Arbeit, weil es schnell gehen mußte, ich blieb aber höchst interessierter Zuschauer und Vorkoster.
Nun fällt mir noch ein besonderes Erlebnis bei einem anderen Mittagessen in diesem Bauernhof ein. Diesmal gab es Wildschweinbraten mit Knödln und vermutlich Rotkraut oder auf gut bayrisch Blaukraut. Zu Gast war, wie oft, der großgewachsene und bayernweit bekannte Abt Corbinian Hofmeister vom nicht allzu weit entfernten Kloster Metten bei Deggendorf, wo ich seit November 1947 Internatsschüler war. Abt Corbinian kam öfters nach Altnußberg, weil mein Großonkel, der aus diesem Bauernhof stammte, Prior, d. h. Stellvertreter des Abtes war.
Als wir alle voll mit unserem Essen beschäftigt waren, sagte mein damals etwa fünfjähriger Cousin Hanse plötzlich zum Prior: „Onkel megst du a Wuidsau sei?“, was ein homerisches Gelächter zur Folge hatte. Alles in allem, Ferien wie gewünscht.
Oder sollte ich die Wochen „Im Woid dahoam“ Urlaub nennen?
Winfried Bürzle:
Die Aufforderung der spanischen Polizisten morgens gegen sechs Uhr ist freundlich, aber bestimmt: „Deja el parque“. Wir sollen den Park verlassen. Im Stadtpark von Barcelona hatten wir uns wenige Stunden zuvor nach rund 14-stündiger Fahrt unter Bäumen zum Schlafen gelegt. Wir, das waren zwei 17 Jahre alte Mädchen und ich, ein 21-jähriger, der wenige Monate vorher, im Mai 1974, sein Abitur abgelegt hatte. Es war nicht mein erster Urlaub im Ausland, auch wenn für meine Generation damals schon eine Fahrt über den Brenner eine kleine Weltreise war. Mit Freunden war ich in klapprigen Schrottkisten zuvor auch schon im damaligen Jugoslawien, Italien, Österreich oder in der Schweiz unterwegs.
Aber es war der erste Trip, den ich alleine in weiblicher Begleitung gemacht habe und den ich mein Leben lang nicht mehr vergessen werde. Die beiden jungen Damen fanden es cool, im nagelneuen schicken Alfa (ein selbst gemachtes Abiturgeschenk aus einem kleinen Erbe) ins Ausland kutschiert zu werden. Und ich kam mir vor wie ein großer Macker, der sich und zwei bildhübsche Mädels in eine Finca an der Costa Dorada bei Tarragona einquartierte.
Was wir in diesen drei Wochen Strand- und Party-Urlaub dann alles erlebten und teils erleben mussten, das kann man getrost als „Lehrgeld“ für jugendliche Leichtsinnig- und Unbekümmertheit bezeichnen. Nach wenigen Tagen standen bei unserer Rückkehr mitten in der Nacht alle Türen und Fenster unserer Finca offen. Einbrecher hatten nicht mal Gewalt anwenden müssen, weil wir nicht abgeschlossen hatten. Zum Glück waren wir drei ja arme Kirchenmäuse, die ihr Hab und Gut bei sich trugen.
Wenige Tag später war mein Autoschlüssel in einer Diskothek vom Tisch verschwunden. Ich stand gefühlte zehn Stunden neben meinem Wagen Wache, bis die Schlüssel wieder auftauchten. Ein etwa 40-jähriger, heißblütiger Spanier wollte mir in einer Bar an den Kragen, weil seine etwa gleichaltrige Begleiterin mit mir Greenhorn geflirtet hatte. So manch Merkwürdiges mehr hat sich bis zu unserer Heimreise zugetragen. Und da machte an der spanisch-französischen Grenze mein Auto schlapp. Mit den letzten Kröten konnte ich die Reparaturkosten und die Tankfüllungen bis in die Heimat berappen.
Die beiden Mädels habe ich später aus den Augen verloren, die Geschichte aber nie mehr aus dem Sinn. Und Spanien habe ich bis heute als Urlaubsland ins Herz geschlossen. Auch wenn es auch dort immer seltener passiert, dass mich eine 40-jährige anflirtet …
Ulrike Mascher ist Landesvorsitzende des Sozialverbandes VdK Bayern, der sich für Rentner, Behinderte, chronisch Kranke, Pflegebedürftige, ältere Arbeitnehmer und Arbeitslose stark macht.
Winfried Bürzle blickt auf 30 Jahre Radio-Erfahrung zurück (u.a. als CvD bei Bayern 1 und Nachrichtenchef bei der BLR). Der Coach und Fachbuchautor beschäftigt sich gerne mit Medien, Sprache und Rhetorik.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war von 1992 bis 1996 sowie von 2009 bis 2013 Bundesjustizministerin. Heute ist sie die stv. Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung.
Walter G. Demmel promovierte in Bayerischer Landesgeschichte und gründete 2008 die Geschichtswerkstatt Allach-Untermenzing. Als Stadtteilhistoriker dokumentiert er die Geschichte dieses Viertels.