Veröffentlicht am 27.11.2019 08:45

„Das Thema kam deutlich zu kurz”


Von Tanja Beetz
Dr. med. Claudia Levin (Foto: Levin)
Dr. med. Claudia Levin (Foto: Levin)
Dr. med. Claudia Levin (Foto: Levin)
Dr. med. Claudia Levin (Foto: Levin)
Dr. med. Claudia Levin (Foto: Levin)

Das Leben ist endlich. Jeder weiß das. Doch es gibt Menschen, die wissen, dass ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Weil sie unheilbar krank sind. Die Aufgabe der Ärzte ist es, mit diesen Menschen zu reden. Und mir ihren Angehörigen. Kein leichtes Unterfangen. Gerade wenn man am Anfang einer medizinischen Laufbahn steht. „Welche Rolle spielt der Tod im Medizinstudium? Wie werden angehende Ärzte auf den Umgang mit sterbenden Menschen und deren Angehörige vorbereitet?” Das wollten wir wissen und hörten uns um.

„Es kommt zu wirklich guten Gesprächen”

Dr. med. Claudia Levin, Ärztin für Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) beim Hospizdienst DaSein e.V., Lehrbeauftragte der TU München: Für Medizinstudenten gehört Palliativmedizin zu den Prüfungsfächern. An einem Tag in ihrem Studium sollen sie möglichst direkten Kontakt zu Sterbenden haben. Man sieht ihnen ihre zwiespältigen Gefühle schon an, wenn sie das Haus betreten. Unser Haus ist das Johannes-Hospiz der Barmherzigen Brüder in München. Studenten der TU München bekommen dort Patienten in der allerletzten Lebensphase zugeteilt und lernen kennen, wie man ihnen hier medizinisch gegen Angst, Atemnot, Übelkeit usw. hilft, aber vor allem, was bei diesen Menschen sonst noch zählt und möglicherweise wichtiger ist als die medizinische Versorgung. An diesem Praktikumstag kommt es oft zu wirklich guten Gesprächen, auch weil die Patienten gefragt werden sollen, was sie sich von ihrem Arzt in ihrer Situation wünschen und was ihnen im Leben wichtig ist. Medizinstudenten treten ihr Studium in der Regel an, weil sie Interesse an Menschen und ihren Krankheiten haben und um Kranke zu heilen oder um in der Forschung bessere Heilmethoden zu entwickeln.

Das Studium ist auf Verständnis der normalen und krankhaften Abläufe im menschlichen Körper und auf die Grundlagen und spezifischen Methoden bei der Heilung von Krankheiten ausgerichtet. In diesem Setting bedeutet Sterben an einer Krankheit eine Kapitulation, die man nicht selten durch eine Aufeinanderfolge immer weniger aussichtsreicher Therapien zu verhindern sucht. Therapiezieländerung heißt in diesem Zusammenhang einzugestehen, dass es keine Chance auf Heilung oder eine akzeptable Lebensverlängerung mehr gibt und von nun an eine Konzentration auf Lebensqualität und effektive Behandlung von aktuellen Beschwerden stattfinden soll. Dieser Schritt war für Mediziner schon immer schwer, aber er ist zum Wohl der Patienten in ihrer letzten Lebensphase wichtig und notwendig. Im Johannes-Hospiz werden die Studenten mitten in diese Situation hinein versetzt und erleben, wie befreiend der Perspektivwechsel sein kann.

„Immer wieder eine Herausforderung”

Kerstin Hecher, Medizinstudentin im Praktischen Jahr, derzeit im Krankenhaus Neuwittelsbach: Der Tod spielt im Medizinstudium eine Nebenrolle, welche einen durch das ganze Studium ein wenig begleitet. Erstmals wird man im Fach Anatomie mit dem Tod in Form von Verstorbenen konfrontiert, welche sich für die Anatomie gespendet haben. Später werden im Fach Palliativmedizin theoretisch die Sterbestadien an Hand von Bildern und Videos gezeigt. Zudem erlernt man im Fach Rechtsmedizin die korrekte Durchführung einer Leichenschau, sowie „sichere Todeszeichen” zu erkennen. Zusätzlich übt man in Form eines Rollenspiels, wie man Angehörigen mitteilt, dass der Patient verstorben ist. Dennoch ist es im klinischen Alltag immer wieder eine Herausforderung und eine Situation, die man nicht lernen kann, aber meistern muss.

„Das Thema ,Tod' kam deutlich zu kurz”

Maximilian Schwinn, Assistenzarzt im Klinikium Starnberg: Während des Studiums wird man bereits im ersten Semester im Rahmen des berühmt-berüchtigten „Präp-Kurses” (Anatomiekurs) mit dem Tod konfrontiert. Dies hat zwar nichts direkt mit dem Tod eines Patienten zu tun, jedoch bekommt man bereits zu diesem frühen Zeitpunkt einen kleinen Vorgeschmack auf die enorme soziale und ethische Verantwortung, die mit dem Beruf des Arztes einhergeht. Bis auf ein kurzes Rollenspiel, in dem die Überbringung einer schlimmen Diagnose simuliert wurde, kam das Thema „Tod” und der Umgang damit im weiteren Verlauf meines Studiums deutlich zu kurz. Das große zusammenfassende Stichwort hierfür ist die „ärztliche Gesprächsführung”, die solche Themen beinhaltet und die meiner Meinung nach eine noch größere Rolle in der Ausbildung spielen sollte. Hier ist ausreichendes Empathieempfinden essentiell und gewinnt zunehmend vor allem im Hinblick der rasch fortschreitenden Digitalisierung an Bedeutung. Der Mensch und insbesondere der kranke oder totkranke Mensch hat Gesprächsbedarf und häufig ein Mitteilungsbedürfnis bezüglich seiner Krankheit und Leidensgeschichte. Dies wird oft unterschätzt und kommt allzu oft im klinischen Alltag deutlich zu kurz. Zu Zeiten der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist dies nicht verwunderlich. Jedoch wächst auch der junge Arzt mit seinen Aufgaben und gemäß dem Spruch „learning by doing” wird auch der nicht allzu erfahrene Arzt schnell lernen, mit solchen Situationen umzugehen. Zur Not kann man immer noch Pathologe werden.

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