Es sind meistens kleine Begebenheiten, irgendwo am Rande des Alltags, kaum beachtet, die plötzlich zum Schlüsselerlebnis werden. Bei Priska Fiebig war das Schlüsselerlebnis ein einfacher Wasserkocher, gebraucht, aber gut erhalten.
„Der Wasserkocher stand hier bei uns im Schaufenster”, erinnert sich Priska Fiebig. Eine Frau, eine Geflüchtete, habe ihn entdeckt und sich so sehr darüber gefreut. „Sie hat geweint vor Freude, weil sie nun endlich mit ihrer Familie Tee trinken konnte. Da wusste ich, dass ich hier richtig bin.” Priska Fiebig lächelt zufrieden.
Hier – das ist ein ganz besonderer Laden: das Sozialraumprojekt MI&BE (Miteinander, Integration, Begleitung, Engagement). Seit gut zwei Jahren gibt es die Einrichtung des Diakonischen Werks Rosenheim, Jugendhilfe Oberbayern, in der Solothurner Straße 93. Die Idee für diesen Laden hatte sich im Jahr 2017 entwickelt, quasi im Keller zwischen Pappkartons. Denn dort, irgendwo in Ramersdorf, gab es die Kleiderkammer für Jugendliche.
„Jedesmal, wenn die Jugendlichen sich Kleidung aussuchen wollten, mussten sie im Keller in den Pappkartons wühlen”, sagt Miriam Egeler, Geschäftsbereichsleiterin für stationäre Angebote der Diakonie Rosenheim. „Da bringt man natürlich nicht gerne Freunde mit, denn das war ihnen peinlich. Wir wollten deshalb eine ansprechendere Umgebung, etwas, wo man sich gerne aufhält.” Der Kontakt zur Münchner Wohnungsbaugesellschaft Gewofag habe schließlich die Lösung gebracht. „Die Gewofag hat uns die Ladenfläche in der Solothurner Straße angeboten – für eine symbolische Miete, die wir mit den Betriebskosten aufbringen müssen”, so Miriam Egeler. Die Bedingung sei gewesen, die Einrichtung für den Stadtteil zu öffnen. Und so kommt es, dass sich nun auf rund 250 Quadratmetern neben Kleidung auch Bücher, Geschirr, Haushaltswaren, Kinderwagen, Spielzeug und vieles mehr finden. Vorbeikommen darf jeder. Dass es hier inzwischen Umkleidegarderoben, Kleiderstände und frisch gestrichene Wände gibt, ist einem weiteren ganz praktischen Umstand zu verdanken: dem aktiven Einsatz von Unternehmen.
Doch diese Unternehmen mussten erst einmal gefunden werden. „Wir haben uns am Gute-Tat-Marktplatz der Stiftung Gute Tat beteiligt”, sagt die Religionspädagogin und Erzieherin Bettina Walz, ebenfalls hauptamtlich bei der Diakonie Rosenheim. Dabei gehe es um die Vernetzung von Unternehmen und sozialen Organisationen. „Die Vorgabe dieser Veranstaltung war, dass wir uns verkleiden und darstellen, wo wir Hilfe brauchen.” Also hätten sie sich einen Bauchladen umgeschnallt und mit Playmobilmännchen zum Beispiel eine Malerszene dargestellt. Und weil sich das Team ja auch Garderoben wünschte, sei auch eine wandelnde Umkleidekabine ins Rennen geschickt worden. Mit Erfolg! Um die Malerarbeiten kümmerte sich eine Medienunternehmen, eine andere Gruppe schreinerte eine Theke und von einem Bekleidungsgeschäft gab es schließlich die begehrten Umkleidegarderoben sowie Kleiderständer. Der Laden nahm Gestalt an, die Kartons waren endgültig Geschichte.
Feste Preise gibt es im MI&BE nicht. Wer hierher kommt, der tauscht Dinge oder nimmt etwas mit – gegen eine Spende. Gut erhaltene Dinge, die nicht mehr benötigt werden, können zu den Öffnungszeiten des Ladens vorbeigebracht werden. „Außerdem haben wir eine Box vor dem Geschäft, in der kurzfristig auch etwas abgelegt werden kann”, sagt Bettina Walz.
Doch MI&BE ist vielmehr als nur ein Laden. Vernetzung und gemeinnützige Hilfe stehen hier im Mittelpunkt. An einer Wand können über „Ich suche...” oder „Ich biete...” verschiedene Dinge gesucht oder angeboten werden. Wer Hilfe braucht, der findet im Team des Projekts eine erste Anlaufstelle, die Basis sozusagen. „Wir können dann bei Bedarf an Fachstellen weitervermitteln”, betont Miriam Egeler. So ist das Projekt alles unter einem Dach: ein Geschäft mit verschiedenen Abteilungen, ein Beispiel für Nachhaltigkeit und ein Laden der Menschlichkeit. „Wir schauen hier aufeinander”, bringt es Priska Fiebig auf den Punkt, die mit ihrem Mann Peter die Einrichtung mit viel ehrenamtlichen Engagement unterstützt. „Sieben Ehrenamtliche sind wir im Moment”, rechnet sie kurz nach. „Aber es dürfen ruhig noch mehr sein.” Putzengel könnten sie noch gebrauchen, aber auch Personen, die sich mit eigenen Angeboten einbringen wollen. „Wenn jemand zum Beispiel einen Nähkurs anbieten möchte, kann er das gerne hier machen.” Was sie sich noch wünschen würden? „Retourwaren zum Beispiel von Bekleidungsgeschäften sollen lieber bei uns abgegeben werden, bevor sie geschreddert werden”, sagt Miriam Egeler und erhält Zustimmung der Mitarbeiterinnen. „Daran haben wir wirklich Bedarf.”
MI&BE hat montags von 17 bis 20 Uhr und freitags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, kann sich per Mail an mi-be@jh-obb.de wenden oder anrufen unter Tel. (089) 2154623-31.
Was ist das Besondere an dem Sozialraumprojekt MI&BE? Wir fragten nach:
Miriam Egeler, Diakonie Rosenheim:
Das Mi&BE ist etwas ganz Besonderes geworden, aus einer Spinnerei ist ein Projekt gewachsen. Es ist faszinierend zu sehen, wie es sich entwickelt hat, gewachsen ist und weiterentwickeln wird. In der Zwischenzeit ist es für einige Menschen, egal ob alt oder jung, ein sozialer Treffpunkt und fester Bestandteil in ihrem Stadtteil geworden. Der Stadtteil sowie unsere Gesellschaft sind bunt und das spiegelt sich in den Menschen vor Ort wieder. Für manche Besucher und Besucherinnen hat sich auch die Möglichkeit ergeben, das Projekt auf vielfältige Art und Weise zu unterstützen, man muss sich nur unser Ehrenamtlichen-Team anschauen, welches sehr beeindruckend ist.
Bettina Walz, Diakonie Rosenheim: Das MI&BE liegt mir besonders am Herzen, weil es Brücken baut, Toleranz fördert, Mitmenschlichkeit wieder in den Vordergrund rückt und nur gelingen kann, wenn alle Akteure gemeinsam ihren Blickwinkel öffnen, für die Dinge die wichtig sind. „Wichtig für mich als einer der „Akteure“, gelebte Mitmenschlichkeit und unbürokratisches Handeln sowie denken. Der Effekt, der dadurch entsteht, kann vieles verändern, verbessern oder auch animieren, selbst Akteur zu werden. Ich denke, das MI&BE greift eine Lücke auf, die vielen Besucher hilft, sei es durch ein Gespräch, eine Tasse warmen Tee oder ein neues Kleidungsstück. Vor einem Jahr sagten die Besucher einmal: „Das ist wie unser offenes Wohnzimmer hier” und ich glaube das trifft es ganz genau.