Veröffentlicht am 24.09.2018 12:41

Die fünf Farben der Trauer


Von Tanja Beetz
Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur. (Foto: Norman Pretschner)
Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur. (Foto: Norman Pretschner)
Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur. (Foto: Norman Pretschner)
Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur. (Foto: Norman Pretschner)
Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur. (Foto: Norman Pretschner)

Welche Prozesse der Trauer durchlaufen die Angehörigen eines verstorbenen Menschen? Geht jeder Hinterbliebene durch dieselben Trauerphasen? Wir haben nachgefragt:

„Extreme Gefühle”

Gibt es verschiedene Trauerphasen wirklich – und welche kennt man?

Nicole Rinder, Trauerbegleiterin und stellv. Geschäftsleitung bei Aetas Lebens- und Trauerkultur: Es ist oft von den Phasen der Trauer die Rede. Das klingt nach einem festen, vorhersehbaren Verlauf. Es ist aber so, dass nicht jeder Trauernde alle Phasen erlebt, manche sich wiederholen, andere ganz kurz auftreten oder die Reihenfolge unterschiedlich ist. Erfahrungsgemäß hilft es aber Betroffenen, wenn man Ihnen erklärt, dass gewisse „Phasen” auftauchen könnten, denn einige finden sich dort wieder. Wir möchten die Trauer gerne bildlich darstellen und sprechen von den Farben der Trauer oder auch von Traueraufgaben. Trauer kann sich in den unterschiedlichsten Formen zeigen, sie ist bunt und vielfältig, so wie jeder Mensch einzigartig ist. Wichtig ist, Gefühle zuzulassen und auszuleben. Man kennt fünf Farben der Trauer. Zum einen kann es die Verleugnung geben. „Das ist nicht wahr”, ist häufig die Reaktion auf den Tod eines geliebten Menschen. Wenn der Verlust dem Hinterbliebenen klar vor Augen steht, reagiert er oft mit Verzweiflung . Der Trauernde bäumt sich gegen sein Schicksal auf und erlebt extreme Gefühle wie Wut und Hass, leidet unter Schuldgefühlen oder weist anderen Schuld zu. Eine dunkle, tiefe Phase der Trauer zeigt sich in der Farbe der Vereinsamung . Erschöpfung und Resignation dominieren dort. Eine ganz andere Welt erleben Trauernde in der Farbe der Vergebung . Sie akzeptieren das Unabänderliche, beginnen loszulassen und erleben oft eine große Sehnsucht nach Veränderung. In der Farbe der Versöhnung haben Trauernde den Verlust in das eigene Leben integriert und können ihr Schicksal so annehmen, wie es ist.

„Pendeln zwischen beiden Polen”

Irene Schuster, Koordinatorin und Trauerbegleiterin Malteser Ambulanter Hospiz- und Palliativberatungsdienst: Lange Zeit dienten die Phasenmodelle der Trauerbewältigung (z.B. von Verena Kast) zur Erklärung für den Prozess, den ein Mensch bei schweren Verlusten durchläuft. Diese Modelle beinhalten im Kern folgende Phasen: Leugnen des Verlustes – Heftige Emotionen – Erinnern und Abschied nehmen – Aufbruch und neuer Selbst- und Weltbezug. In der Praxis lassen sich einzelne Elemente der Phasenmodelle bei vielen Trauernden finden. In unseren Trauergruppen geht es oft darum, auch nach längerer Zeit, noch heftige Gefühle zu zeigen und die Umbrüche im eigenen Leben mitteilen zu dürfen. Einzelne Phasen lassen sich bei vielen Trauernden finden, allerdings nicht grundsätzlich alle und nicht in der vorgegebenen zeitlichen Abfolge. Trauer verläuft sehr individuell und lässt sich nicht in ein Schema pressen. Ein stimmigeres Modell ist das „Duale Prozessmodell” (Stroebe/Schut). Dieses geht davon aus, dass trauernde Menschen zwei parallele Prozesse durchlaufen. Auf der einen Seite steht der Verlust des geliebten Menschen und der Blick zurück in die Vergangenheit mit all den schmerzhaften Erinnerungen. Auf der anderen Seite steht eine zukunftsorientierte Bewältigung, die auf das Weiterleben, den Erhalt des Alltags und auf den Neuaufbau der eigenen Welt gerichtet ist. Auch das kann schmerzhaft sein, da das Leben neu und oft völlig anders organisiert werden muss. Dabei pendeln die Trauernden ständig zwischen den beiden Polen. Das braucht Zeit, Kraft und Menschen im Umfeld, die diesen Prozess mitbegleiten können.

„Nicht zeitlich einzugrenzen”

Cornelia Romme, Dipl.-Theologin und Trauerbegleiterin Christophorus Hospiz Verein e.V.: Stirbt ein Mensch, mit dem wir eng verbunden sind, so bricht eine Welt zusammen. Die Welt des gemeinsamen Erlebens, hat unwiderruflich ein Ende gefunden. Um in einer solchen Situation bestehen zu können, werden Menschen zu Trauernden. Trauer ist eine Fähigkeit, die es uns ermöglicht, mit Verlusten leben zu lernen. Wer trauert, befindet sich in einem Prozess, in dessen Verlauf sich die Trauer mit ihren Gefühlen verändert und wandelt. Zunächst hat man versucht, den Trauerprozess in verschiedene Phasen aufzuteilen. Hier hat vor allem die Psychotherapeutin Verena Kast ein Modell entwickelt, in dem von vier Trauerphasen gesprochen wird. Da die Erfahrung mit trauernden Menschen aber zeigte, dass Trauer sehr individuell gelebt wird, spricht man heute nicht mehr von Trauerphasen. So hat der amerikanische Trauerforscher William Worden den Trauerprozess in vier Aufgaben eingeteilt, vor die trauernde Menschen gestellt werden. Aufgabe 1: Die Wirklichkeit des Verlusts, den Tod für wahrzunehmen. Ganz langsam zu begreifen: Der geliebte Mensch ist wirklich tot. Ich träume nicht, ich bilde es mir nicht ein, nein es ist tatsächlich so, auch wenn ich mir das eigentlich gar nicht vorstellen kann. Aufgabe 2: Gefühle der Trauer durchleben. Trauer setzt sich aus einer Vielzahl von Gefühlen zusammen, die unterschiedlich stark ausgeprägt sind, je nach Persönlichkeit des Trauernden und abhängig von der jeweiligen Beziehung, die zum Verstorbenen bestand. Es sind Gefühle von Verzweiflung, Wut, Angst, Schuld, Sehnsucht, Einsamkeit, Ohnmacht, Dankbarkeit, Liebe, Leere u.v.m. Aufgabe 3: Sich an eine veränderte Umwelt ohne den Verstorbenen anpassen. Trauernde lernen, sich in ihrer neuen Wirklichkeit zurechtzufinden, in der die oder der Verstorbene fehlt. Aufgabe 4: Dem verstorbenen Menschen einen neuen Platz im eigenen Leben geben. Es geht hier keinesfalls um das so viel beschworene Loslassen, sondern darum, die Anwesenheit des geliebten Menschen in meinem Innern spüren zu können. Der Verstorbene kann so zum inneren Lebensbegleiter werden. Diese Aufgaben sind nicht als Phasen zu verstehen, nach deren Durchlaufen das Ende der Trauer steht. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, Trauer zeitlich festzulegen und einzugrenzen. Ebenso ist erwiesen, dass Trauerprozesse nicht linear von Aufgabe 1 bis 4 verlaufen, denn Trauer ist ein wechselnder Prozess. Selbst wer die verstorbene Person bereits als inneren Lebensbegleiter erfahren hat, kann durch ein bestimmtes Ereignis wieder die in Aufgabe zwei beschriebenen Gefühle durchleben. Das ist keineswegs als Rückschritt zu werten. Wer einen geliebten Menschen verloren hat, für den wird die Trauer zur Lebensbegleiterin.

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