»Da schau her« – ein Ur-Münchner hat seine Meinung!

München · Albrecht Ackerland über Giesing bleibt Giesing

Und plötzlich ist Giesing hip. Die letzte gratlige Boazn ist verschwunden, überall Einheitsbrei aus hochpreisigen Boutiquen, die Designerware aus Dänemark verscheppern, loungeartigen Cafés mit edelster Sixties-Einrichtung, Weinhandlungen, großstädtischen Bars und Friseuren. Und plötzlich kostet der Wohnquadratmeter 17 Euro. Und plötzlich wohnen hier mehr und mehr Menschen, die nach München kommen, weil hier sich das Geld so gut verdienen lässt, die dann aber eben auch Großstadtflair haben wollen.

Je mehr es sich nach Berlin anfühlt, desto eher kommt ein Viertel bei diesen Menschen in Frage. Ach, so schön, hier tobt das Leben. Und plötzlich fällt diesen Menschen auf, dass sie viel zu viel Geld für ihre Wohnung zahlen, aber dafür ständig Menschen auf dem Gehsteig haben, die sich sogar nachts erdreisten, oberhalb der Zimmerlautstärke ihrem Leben Ausdruck zu verleihen. Sie rauchen vor den Nichtraucherlokalen. Sie haben Bier getrunken und sind laut. Sie halten die Stimmung des Viertels hoch, jene Stimmung, weswegen der mit den 17-Euro-Quadraten einst hergezogen ist. Und plötzlich müssen die ersten Bars wieder schließen. Weil Herr 17 Euro sehr gerne die Polizei anruft, das KVR auch und außerdem im Bezirksausschuss rumgschaftelt, er ist ja schließlich wer. Und plötzlich ist Giesing langweilig.

Weitere Artikel zum Thema

Giesing wird es nie so ergehen, wie es derzeit dem Gärtnerplatz- und dem Glockenbachviertel ergeht. Zumindest wird es hoffentlich noch sehr, sehr lange dauern. Denn hier oben ist alles ein bisschen komplizierter. Und greisliger. Und der Giesinger stammt bekanntlich von den Griechen ab und von den Löwen. Ein gute Mischung – störrisch, lebenslustig, laut, wild.

Und plötzlich ist aus dem pleitegegangenen Karstadt am Giesinger Berg, der zuletzt ein Hertie war, das so genannte „Puerto Giesing“ geworden. Schade aber ist, dass die Künstler und Macher dort aber nicht einfach ihre Feste und Projekte feiern dürfen. Nein, wir sind ja nicht in Neapel. Da muss der Brandschutz kommen, und dann kommt noch mal der Brandschutz, bevor der Brandschutz kommt. Und dann fällt der Lokalbaukommission ein, dass sie jetzt auch mal kommt, und dann kommt schließlich die Lokalbaukommission. Und dann der Brandschutz.

Andererseits: Wieso soll es den Menschen von „Puerto Giesing“ anders ergehen als den Sechzger-Fans und damit eigentlich einem jeden Giesinger, der sein Viertel halbwegs liebt? Das größte Denkmal des Viertels, ein Bollwerk gegen einen großen Haufen Investorenmist, der sich gern dort breitmachen würde, das Sechzger, ist auch halb gesperrt, wird von der Stadt geschmäht und belächelt. Und sollte am liebsten gleich verschwinden.

Ein großer Grund ist das, zur schönen Tradition zu kommen, die das Sechzger bekommen hat: die Aktion XXXX-Tausend. Hier lässt sich erleben und dafür Sorge tragen, dass es nicht irgendwann heißt: Und plötzlich ist Giesing hip.

Artikel vom 20.05.2010
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...