Aus dem Hertie-Kaufhaus wird »Puerto Giesing«

Giesing · Freie Kunstszene

Machen aus dem Tempel des Konsums einen Tempel der modernen Muse: Zerah Spindler mit dem Video-Künstler Nassermann.	Foto: mst

Machen aus dem Tempel des Konsums einen Tempel der modernen Muse: Zerah Spindler mit dem Video-Künstler Nassermann. Foto: mst

Giesing · Lange Zeit war das Hertie-Warenhaus an der Tegernseer Landstraße 64 Dreh- und Angelpunkt für die Giesinger. Hier kaufte man ein, traf sich und kannte die Mitarbeiter. Die unverhoffte Wende kam im August 2009, als das Haus wegen der angekündigten Insolvenz der Warenhauskette schließen musste. Seit dieser Zeit stand das Gebäude leer, die Scheiben waren mit Packpapier verhängt. Jetzt aber sind wieder die Lichter in dem Gebäude gegenüber der Tela-Post angegangen.

Nicht der Konsum, sondern die Kunst soll dort allerdings bis zum Abriss des Hauses im Sommer 2010 das Sagen haben. Besser gesagt: Die Subkultur und freie Kunstszene Münchens, die im »Puerto Giesing« ihren vorübergehenden Kulturhafen gefunden hat. »Puerto Giesing« – »Der Hafen von Giesing«, so heißt das neueste Projekt von Zerah Spindler, die im Münchner Stadtleben keine Unbekannte ist. Sie selbst bezeichnet sich gerne als »semifiktive Veranstaltungsgeneratorin«: eine Kunstfigur, »die nichts anderes tut, als Kontakte zu knüpfen«, wie sie ihre Arbeit als Künstlerin und Projektgestalterin umreißt. Mit dem Label »München 852« sorgt sie jetzt im Münchner Südosten für Aufbruchstimmung. Das 4.000 Quadratmeter große Gebäude soll eine Plattform für Künstler werden, ein gigantisches Kunst- und Partyprojekt, das Künstlern aller Couleur offensteht.

Voraussetzung ist Kreativität: Jeder, der eine prickelnde künstlerische Idee hat, kann an die mit Graffitis besprühte Eisentür im zweiten Stock anklopfen und wird sogleich von der 41-Jährigen herzlich empfangen. Ihre Vision für die verbleibende Zeit bis zum Abriss: allen, die keinen Namen in der Szene haben, die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen. »München ist nicht einfach stille, tote Hochkultur. Wir bieten allen Leuten eine Plattform, die sich nicht der schwer verdaulichen etablierten Kunst verschrieben haben«, weiß Spindler. So wie der Giesinger Video-Künstler Nassermann, weiße Plastikbrille, rotes Polo-Shirt, schwarze, zu einem Zopf zusammengebundene Haare. Er hat eben einfach mal vorbeigeschaut, um der Veranstaltungsgeneratorin sein Projekt vorzustellen: eine Unterwassersequenz mit Synchronschwimmerinnen, die er in einem Schwimmbad in fünf Metern Tiefe mit einer Kamera festgehalten hat.

Nassermann spielt die Videoinstallation auf dem mitgebrachten Laptop ab: Auf einer CD sind schemenhafte Wesen zu sehen, die mit grazilen Bewegungen auf- und abtauchen, flugs entgleiten, um dann an einer ganz anderen Stelle auf der Datenträgerscheibe wiederzukehren. Spindler ist begeistert angesichts der Eleganz und der Zeitlosigkeit dieser Erscheinungen: »Da brauchen wir unbedingt Musik dazu!“, lobt sie und zieht an ihrer Zigarette. Die Tür ins Haus steht zwar allen Künstlern offen, doch auf gut Glück geht gar nichts: Wer bei »Puerto Giesing« andocken will, muss persönlich bei Spindler vorbeischauen. Telefonische Anfragen reichen nicht, wie sie betont: »Schließlich will ich mir ja einen Eindruck von dem Projekt machen und sehen, ob das etwas für uns ist.«

Bis zu 3000 Mails mit Anfragen erhält die 41-Jährige täglich. Räumlich ist in dem Gebäude mit Blick auf charmante Hinterhöfe inzwischen alles so gut wie unter Dach und Fach: Derzeit ist man noch dabei, Toiletten einzubauen, Wände einzuziehen und die Theken herzurichten. Stattfinden werden die Veranstaltungen hauptsächlich im Untergeschoss des früheren Hertie-Hauses in den oberen Stockwerken und auch im Keller des ehemaligen Frischemarkts. Zahlreiche Kreative sind mit von der Partie, etwa der Modedesigner Patrick Mohr, die Künstlerin Anna Mac Carthy, der Maler David Dott oder auch die Video-Collage-Künstlerin »nanadix«. Damit Giesing nichts von seiner Vielfalt und Lebendigkeit einbüßt: »Ich liebe dieses Viertel. Es ist mein persönlicher Stadtteilhype«, schwärmt Spindler.

Veranstaltungen findet man im Internet unter www.puerto-giesing.de/events mst

Artikel vom 11.05.2010
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